Die Geschichte beginnt in einer eher nüchternen Umgebung: Ein bescheidenes Zuhause in Nordirland, geprägt von Zerbrechen und Entbehrungen. Viele Jugendliche träumen davon, die Welt zu verändern, doch manche suchen einfach nur nach einem Ausweg aus ihrer Realität. Für Lee Skillen war es eine beige Tastatur – diejenige seines ersten Computers, eines Commodore 64 –, die der erste Schritt zu einem anderen Leben wurde. Eine kleine, scheinbar unscheinbare Maschine, deren Einfluss auf sein Leben gewaltiger nicht sein könnte. Der Commodore 64 war damals nicht einfach nur ein Computer.
Für Lee und viele andere Kinder seiner Generation bedeutete er Flucht, ein Portal in eine andere Welt. Das langsame Laden von Spielen von Kassettenbändern mit dem charakteristischen quietschenden Geräusch, das Gefühl von Magie beim ersten Starten, die Farben und Animationen auf einem uralten Fernseher – all das weckte die Vorstellungskraft und erweckte eine Leidenschaft für Technik und Programmierung. Es war eine Verbindung, die mehr als nur Unterhaltung war: Sie war ein Rettungsanker in einer schwierigen Kindheit. Lee wuchs in einem zerbrochenen Zuhause auf. Seine Eltern trennten sich, und in seiner Welt fehlte es an Stabilität, Freude und Halt.
Er wurde in der Schule gemobbt, fühlte sich ausgegrenzt und allein. Freunde, die von Ferien in Amerika erzählten, ließen seinen Alltag noch trostloser wirken. Doch statt vor der Realität zu kapitulieren, zog er sich in die Welt der Computer zurück. Für ihn waren sie nicht nur Geräte, sondern Überlebenshilfe – eine Möglichkeit, Kontrolle über etwas zu erlangen, wenn das Umfeld ihm das Gefühl gab, keine Kontrolle zu haben. Die Programme, Spiele und Musik des C64 weckten in ihm Neugierde und lernbereitschaft.
Anfangs kopierte er Programmlisten aus Computerzeitschriften und änderte sie, um sie zum Laufen zu bringen. Spielend lernte er die Grundlagen von Programmierung kennen, ohne es damals bewusst zu merken. Fehler in Zeilen und Befehle, die die Farben des Bildschirms änderten, wurden zu kleinen Experimenten, die ihm halfen, die Funktionsweise der Maschine zu verstehen. Diese Experimente brachten ihn dazu, komplexere Fragen zu stellen: Wie erzeugt der SID-Chip Musik? Wie sind Spiele programmiert? Wie laufen Netzwerke? Vom C64 wechselte Lee später auf einen Amiga, der ihm weitere Möglichkeiten bot. Spiele wie Shadow of the Beast und Monkey Island fesselten ihn, aber auch Programme wie Deluxe Paint förderten seine Geduld und seine technischen Kenntnisse.
Nach und nach stieg er auf PCs um, sammelte illegale Software, um bessere Werkzeuge zum Programmieren und Hacken zu bekommen, und baute Fähigkeiten auf, die ihm später in seiner Karriere zugutekamen. Trotz schulischer Schwierigkeiten und dem Abbruch der Schulausbildung blieb sein Interesse an Technik ungebrochen. Sein erster richtiger Kontakt mit der damals noch jungen Welt des Internets begann mit Multi-User Dungeons (MUDs). Diese textbasierten Online-Welten, Vorläufer der heute bekannten MMORPGs, waren für Lee nicht nur ein Spielplatz, sondern auch eine soziale Plattform. Hier fand er Menschen, mit denen er sich austauschen konnte, die ihn akzeptierten.
Gleichzeitig begann er, seinen eigenen MUD zu programmieren und lernte dabei C und C++ auf Systemebene. Der Einstieg in das Internetschaffen steigerte seine Leidenschaft. Anfang der 2000er Jahre entdeckte er binnewz.net, eine manuell gepflegte Usenet-Indexierungsseite. Als der Betreiber aufgab, wurde der darin enthaltene Code öffentlich gemacht.
Lee beteiligte sich an einem Nachfolgeprojekt namens Newzbin, das bald zu einer echten Erfolgsgeschichte wurde. Trotz früher technischer Limits und einer behelfsmäßigen Arbeitsumgebung – ISDN-Modems, CRT-Monitore – entstand eine innovative Suchmaschine für Usenet-Inhalte, eine revolutionäre Idee, deren Wegbereiter Lee wurde. Die Gründung von Newzbin war kein leichter Weg. In einer Zeit, in der das Internet noch nicht die heutige Verbreitung und Regulierung hatte, funktionierte alles über IRC-Chats, nächtelanges Coden und völliges Vertrauen in Mitstreiter, die man größtenteils nur virtuell kannte. Lee wurde unerwartet zum Systemadministrator.
Die Zusammenarbeit fand vollständig digital statt – ohne persönliche Treffen. Man programmierte und kommunizierte zu Zeiten, die für die meisten untypisch waren, unterstützte sich gegenseitig und entwickelte technische Innovationen. Der Höhepunkt kam im November 2003 mit der Einführung des NZB-Dateiformats – einer einfachen, aber effektiven Methode, um Inhalte auf Usenet zu finden und herunterzuladen. Die NZB-Datei enthielt nur Verweise auf Nachrichten, die zusammengefügt ein vollständiges Dateiarchiv ergaben. Das Format veränderte die Art und Weise, wie Nutzer Usenet-Inhalte fanden und verwendeten, und sorgte für einen bisher ungesehenen Komfort und eine neue Generation von Abertausenden aktiver Nutzer.
Doch der Erfolg hatte auch seine Schattenseiten. Newzbin geriet ins Visier der Filmindustrie und Rechteinhaber, darunter die mächtige MPAA und Disney. Die rechtlichen Auseinandersetzungen endeten 2010 mit der Schließung der Seite. Zivilrechtliche Kosten und Druck führten dazu, dass das Projekt eingestellt wurde. Für Lee bedeutete das einen Verlust – aber auch eine wertvolle Lernerfahrung.
Die Auseinandersetzung mit Recht, Technologie und Ethik prägte ihn und zeigte die Grenzen auf, innerhalb derer Innovationen gedeihen können. Trotz seines Erfolgs verfügte Lee zunächst über keine akademischen Qualifikationen. Es wurde ihm klar, dass ein Abschluss nicht nur eine formale Bestätigung seines Könnens wäre, sondern auch Türen öffnen könnte, die ihm bisher verschlossen geblieben waren. Obwohl er von der renommierten Queen’s University abgelehnt wurde, erhielt er an der Ulster University die Chance, nach dem Nachholen eines A-Levels ein Software-Engineering-Studium zu absolvieren. Mit Ehrgeiz und Disziplin erreichte er einen Abschluss mit Auszeichnung – ein Beweis für seine Fähigkeiten, Leidenschaft und seinen Willen.
Die Kombination aus praktischer Erfahrung, technischer Expertise und akademischem Abschluss ebnete ihm den Weg in die Geschäftswelt. Von der Arbeit an Projekten für die New Yorker Börse über die Mitbegründung eines Fintech-Startups bis hin zur Position als CTO eines Cloud-Software-Unternehmens baute Lee seine Karriere stetig aus. Heute entwickelt er mit seinem Team Lösungen, die die komplexen Lieferketten von Software-Artefakten weltweit sichern und verwalten – eine ganz andere, aber ebenso wichtige Art von Technologie wie die Maschinen seiner Jugend. Lee blickt auf eine Vergangenheit zurück, die von Schwierigkeiten geprägt war – von Jugend ohne Perspektive, Depressionen und Problemen mit dem Mental Health – doch auch von Triumph und Erfüllung. Sein Weg zeigt, dass technische Neugier, Einsatz und eine Portion Glück ganze Leben verändern können.
Seine Geschichte ist eine Inspiration für alle, die sich in schwierigen Lebensumständen befinden und durch Leidenschaft und Ausdauer Neues schaffen wollen. Dabei ist ihm eines besonders wichtig: Die Botschaft, dass niemand mit schwierigen Gefühlen allein sein muss. Gerade in Zeiten von Depressionen oder Lebenskrisen ist es mutig, Hilfe zu suchen und darüber zu sprechen. Der digitale Rückzugsort und sein beigefarbener Computer waren für ihn der Anfang – doch erst das Überwinden von Schmerz und das Finden von Gemeinschaft ließen ihn in der Welt ankommen. Der einst junge Junge aus Belfast, der in dunklen Nächten vor einem flackernden CRT-Bildschirm saß, steht heute auf der Bühne einer globalen Technologiebranche, mit Mitarbeitern in aller Welt und einem Leben, das er sich nie hätte träumen können.