Die dezentralisierte Finanzwelt, auch bekannt als DeFi, hat in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erlebt und bietet Nutzern weltweit eine Alternative zu traditionellen Finanzdienstleistungen. Ein zentraler Bestandteil dieser Entwicklung sind automatisierte Market-Maker (AMMs), die den Handel von digitalen Assets ohne Zwischenschaltung von Vermittlern auf der Blockchain ermöglichen. Innerhalb dieses Umfelds sorgt seit Kurzem eine Klage für großes Aufsehen: Das DeFi-Protokoll Bancor hat gegen die dezentrale Börse Uniswap eine Klage eingereicht, in der Uniswap vorgeworfen wird, Kerntechnologie von Bancor unrechtmäßig verwendet zu haben. Dieser Rechtsstreit beleuchtet die Herausforderungen im Spannungsfeld von Innovation, geistigem Eigentum und dem offenen Charakter der Blockchain-Technologien. Die Klage wurde vor dem US-Bezirksgericht für den südlichen Bezirk von New York eingereicht und richtet sich konkret gegen die Verwendung des sogenannten Constant Product Automated Market Maker-Modells (CPAMM), welches von Bancor im Jahr 2017 patentiert wurde.
Dieses Modell ermöglicht den automatischen Token-Swap auf der Blockchain ohne den Einsatz von traditionellen Orderbüchern und ist eine der Schlüsselinnovationen, die den DeFi-Sektor geprägt haben. Bancor, dessen Protokoll aktuell einen Gesamtwert von rund 59 Millionen US-Dollar in gesperrten Geldern (Total Value Locked, TVL) aufweist, sieht sich durch Uniswap massiv benachteiligt. Uniswap, einer der größten dezentralen Exchanges mit einem TVL von knapp 5 Milliarden US-Dollar, soll dieser Technologie seit der Einführung der ersten Version im Jahr 2018 unautorisierterweise Gebrauch gemacht haben. In der Klageschrift wird behauptet, dass Uniswap seine gesamte Plattform, bis hin zur aktuellsten Version Uniswap v4, auf der Grundlage der patentierten Bancor-Technologie entwickelt habe, ohne zuvor eine Lizenz einzuholen oder eine Erlaubnis einzuholen. Das klingt zunächst ungewöhnlich in der Welt der DeFi-Protokolle, die üblicherweise für ihr offenes, kollaboratives und transparentes Wesen bekannt ist.
Der Projektleiter von Bancor, Mark Richardson, äußerte sich in einer offiziellen Pressemitteilung, dass die patentierte Technologie von Bancor zu den wichtigsten Innovationen im Blockchain-Bereich gehöre und stolz auf die Rolle sei, die Bancor bei der Revolutionierung der DeFi-Welt spiele. Dennoch könne man nicht zulassen, dass andere Organisationen diese Erfindung kontinuierlich ohne Autorisierung verwenden und dadurch im Wettbewerb einen unfairen Vorteil erlangen. Die Klage wird somit als notwendiger Schritt zur Verteidigung der eigenen Innovationen und zur Bewahrung fairer Wettbewerbsbedingungen dargestellt. Auf Seiten von Uniswap gab es eine klare und direkte Reaktion. Ein Sprecher von Uniswap Labs bezeichnete die Klage als unbegründet und erklärte, man werde sich vehement verteidigen.
Die Uniswap-Protokollsoftware sei bereits seit Jahren öffentlich zugänglich und könne von jedem eingesehen und genutzt werden. Aus Sicht von Uniswap lenke die Klage nur unnötig von den bedeutenden Fortschritten und dem historischen Momentum für DeFi ab. Der CEO von Uniswap Labs, Hayden Adams, hatte sich ebenfalls in einem Twitter-Post (ehemals X) über das Verfahren geäußert. Er nannte die Klage „möglicherweise die dümmste Angelegenheit, die ich je gesehen habe“ und betonte, dass er hoffe, sich erst wieder mit dem Thema befassen zu müssen, wenn es das Gericht so anweise. Trotz der starken Worte und der öffentlichen Zurückweisung beeinflusste das Bekanntwerden der Klage den Markt: Seit dem Bekanntwerden ist der Uniswap-Token UNI um etwa zwei Prozent gefallen und notiert aktuell bei rund 5,87 US-Dollar.
Die mediale Wahrnehmung und der Kursrückgang spiegeln die Unsicherheit wider, die solch ein Rechtsstreit in einem ansonsten schnell wachsendem und von Innovationen geprägtem Markt auslösen kann. Die technische Grundlage der Klage, das Constant Product Automated Market Maker-Modell, ist ein Algorithmus, der Liquiditätsanbieter und Trader in DeFi-Protokollen zusammenbringt. Anders als bei klassischen Börsen werden hier keine Käufer und Verkäufer direkt zusammengeführt, sondern Liquiditätspools gebildet, innerhalb derer Preisfindung und Austausch zustande kommen. Die frühe Entwicklung dieses Modells gilt als einer der Meilensteine des DeFi und wurde maßgeblich von Bancor vorangetrieben. Dass diese Technologie patentiert wurde, ist in der Open-Source-Community umstritten, da sie häufig die freie Nutzung von Software fördert und Innovation durch Offenheit ermöglicht.
Die Klage wirft einen drohenden Schatten auf das ansonsten kooperative Miteinander in der Blockchain-Entwicklung und könnte eine Welle weiterer Rechtsstreitigkeiten und Patentstreitigkeiten auslösen. Die dezentrale Finanzbranche befindet sich an einem Scheideweg. Einerseits wächst der Markt unaufhaltsam, mit immer neuen Ideen und Protokollen, die auf offenen Standards basieren. Andererseits stehen durch zunehmende Patentansprüche und das Aufkommen von institutionellen Akteuren zunehmend klassische unternehmerische Schutzmechanismen im Vordergrund. Dieses Spannungsfeld zeigt sich exemplarisch im Fall Bancor gegen Uniswap, denn die Entscheidung des Gerichts könnte den Umgang mit geistigem Eigentum im DeFi-Bereich grundlegend verändern.
Neben den unmittelbaren Auswirkungen auf die beiden Protokolle hat die Klage auch größere Bedeutung für Nutzer, Investoren und Entwickler. Wenn patentierte Technologien durchgesetzt werden können, besteht das Risiko, dass Innovationsflüsse gehemmt werden und kleinere Projekte benachteiligt bleiben. Manche sehen darin aber auch eine Chance, Innovationen klarer zu schützen und klare Spielregeln für die Zukunft zu etablieren. Der Fall könnte als Präzedenzfall dienen und den rechtlichen Rahmen für die Blockchain- und DeFi-Technologie in den USA und möglicherweise international definieren. Darüber hinaus zeigt der Streit um die CPAMM-Technologie die zunehmende Professionalisierung und Regulierung des DeFi-Sektors.
Was einst als unregulierter Wildwuchs startete, wandelt sich nun in einen industriellen Markt mit kommerziellen Interessen, strategischem Wettbewerb und rechtlichen Fragestellungen. Investoren achten zunehmend auf Schutzrechte und Marktmacht, was die Entwicklung und Vermarktung von DeFi-Protokollen beeinflusst. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich der Fall entwickelt und welche Auswirkungen er auf die gesamte Branche haben wird. Die dezentrale Finanzwelt steht vor der Herausforderung, Innovation und Offenheit mit rechtlichen Schutzmechanismen zu vereinbaren, um nachhaltiges Wachstum zu gewährleisten. Parallel zur juristischen Auseinandersetzung arbeiten beide Parteien weiterhin an der Weiterentwicklung ihrer Produkte.