In der Welt der Softwareentwicklung steckt oft ein grundlegender Konflikt zwischen zwei scheinbar gegensätzlichen Herangehensweisen: dem Streben nach Perfektion einerseits und pragmatischem Schnellschuss andererseits. Entwickler und Unternehmen stehen vor der Wahl, entweder den schnellen Weg zu gehen und mit technischen Schulden zu leben oder den langwierigen Weg einer sorgfältigen Architektur zu beschreiten, die Nachhaltigkeit gewährleistet. Doch es gibt eine dritte Möglichkeit, die oft übersehen wird, aber immense Vorteile bietet: das Best Simple System for Now (BSSN) – das beste einfache System für den Moment. Das Konzept des BSSN basiert darauf, eine Softwarelösung zu bauen, die so einfach wie möglich gestaltet ist und genau die Anforderungen erfüllt, die aktuell bestehen – ohne Überengineering und ohne spekulative Vorhersagen über die Zukunft, die womöglich nie eintreten. Diese Herangehensweise bedeutet, den Fokus auf das Hier und Jetzt zu richten, anstatt Zeit, Geld und Ressourcen auf Features oder Architekturen zu verwenden, die erst in ferner Zukunft benötigt werden könnten.
Warum ist das relevant? Traditionelle Entwicklungsmethoden neigen dazu, Systeme zu konzipieren, die für alle denkbaren Schwierigkeiten und Anforderungen gerüstet sein wollen. Das führt häufig zu komplexen Codebasen, überladenen Architekturen und einer großen Anzahl an Schnittstellen und Erweiterungspunkten – viele davon ungenutzt und potenzielle Fehlerquellen. Solche Systeme sind schwer wartbar, führen zu Projektverzögerungen und kosten langfristig mehr, da jede Änderung umfangreiche Tests und Anpassungen erfordert. Der zentrale Gedanke hinter dem BSSN ist die Erkenntnis, dass es kaum möglich ist, die tatsächlichen zukünftigen Anforderungen präzise vorherzusehen. Evolutionäre Entwicklungen im Markt, neue Technologien oder veränderte Kundenwünsche sorgen dafür, dass Annahmen über die Zukunft oft falsch sind.
Statt also große Spekulationen in Designentscheidungen einfließen zu lassen, wird das System so gebaut, dass es die jetzt notwendigen Anforderungen abdeckt und gleichzeitig flexibel genug ist, um Änderungen leicht zu integrieren. Das bedeutet, Funktionen oder Komponenten nicht vorzeitig zu verallgemeinern oder zu abstrahieren, sondern sie so spezifisch wie nötig zu gestalten. Eine übersichtliche, kohärente Codebasis, die klar verständlich ist und deren Verhalten vorhersehbar ist, schafft eine solide Grundlage für kontinuierliche Weiterentwicklung. Dabei zählt Qualität: Die Codequalität ist angemessen robust und zuverlässig, aber eben nicht übertrieben perfektionistisch oder unterversorgt. Somit entsteht ein System, das „best and simple“ ist – bestmöglich und zugleich einfach.
Diese Methode trägt auch den wirtschaftlichen Faktoren Rechnung. Große Projekte mit langem Entwicklungszyklus, die erst am Ende eine veröffentlichbare Version hervorbringen, sind mit hohem Risiko verbunden. Sollte der Markt, Kundenwünsche oder interne Prioritäten sich verändern, können umfangreiche Investitionen verloren sein. Durch eine iterative, fortlaufende Entwicklung, bei der frühzeitig ein funktionierendes Produkt vorliegt, kann Feedback genutzt werden, um zielgerichtet weiterzuentwickeln. Dies minimiert das Verlustrisiko und verbessert die Kapitalrendite, indem schneller Wert für den Kunden geschaffen wird.
Gleichzeitig hilft das BSSN, den sogenannten „Cost of Delay“, also die Kosten der Verzögerung, zu reduzieren. Je früher eine Lösung in die Hände der Nutzer gelangt, desto früher generiert das Produkt Ertrag und desto schneller kann auf Veränderungen reagiert werden. So werden veraltete Annahmen vermieden und stattdessen ein dynamischer Entwicklungsprozess mit besserer Abstimmung auf reale Bedürfnisse ermöglicht. Implementierung des BSSN erfordert allerdings Disziplin, Mut und Demut. Disziplin, um kontinuierlich die Codequalität hochzuhalten, Routinen einzuhalten und technische Schulden nicht anzuhäufen.
Mut, um bestehende Paradigmen zu hinterfragen und neue Wege zu beschreiten – ohne die Sicherheit einer vermeintlich „perfekten“ Lösung. Demut, um anzuerkennen, dass niemand die Zukunft präzise vorhersagen kann und dass eine adaptive, lernfähige Haltung in der Softwareentwicklung essenziell ist. Ein praktischer Aspekt ist das bewusste Vermeiden von überflüssigen Abstraktionen und Spezialisierungen. Es geht darum, Funktionen genau so zu implementieren, dass sie die aktuelle Aufgabe lösen – nicht mehr und nicht weniger. Sollte sich herausstellen, dass eine Komponente angepasst oder erweitert werden muss, ist die Einfachheit des Systems ein Vorteil, da Änderungen leichter implementierbar sind und keine komplexen Abhängigkeiten löchrig geworden sind.
Ein Beispiel aus der Praxis ist die Entscheidung, komplexe Bibliotheken oder Frameworks nicht standardmäßig zu nutzen, nur weil sie mächtige Features bieten. Stattdessen kann ein speziell zugeschnittenes kleines Modul, das nur genau die benötigten Funktionen bereitstellt, deutlich effizienter, wartbarer und performanter sein. Dies senkt die Abhängigkeiten und das Risiko von Bugs oder Sicherheitslücken deutlich. Best Simple System for Now bedeutet auch, dass Entwickler die Balance finden zwischen „Sketching“ und voll ausgearbeiteter Lösung. Skizzenhafte Implementierungen sind keine Hacks, sondern wohlstrukturierte Prototypen mit ausreichender Qualität, die den Weg für weitere Entwicklung weisen, ohne die Gesamtqualität zu gefährden.
Sie ermöglichen schnelle Iterationen und erleichtern das Sammeln von Feedback. Wichtig ist die Pflegbarkeit der Codebasis. Eine gut gepflegte, einfache Basis animiert das Entwicklerteam, die Software kontinuierlich zu verbessern, sie zu verstehen und weiterzuentwickeln. Schlechte Praktiken wie Code-Duplikate, unnötige Verkomplizierungen oder unpassende Abstraktionen führen nicht nur zu Frustration, sondern letztlich auch zu ineffizienter Entwicklung und höheren Kosten. Das BSSN-Konzept betont die Bedeutung von Gewohnheiten und Zusammenarbeit.
Gute Gewohnheiten im Team, wie regelmäßiges Refactoring, frühzeitige Code-Reviews oder Paarprogrammierung, können helfen, die Einfachheit und Qualität dauerhaft zu bewahren. Ein gemeinsames Verständnis über die Prinzipien des BSSN bildet die Grundlage für ein harmonisches, produktives Umfeld, in dem technische Schulden bewusst vermieden werden. Außerdem gehört zur Philosophie des BSSN das Vertrauen in das Feedback aus der Praxis. Anstatt auf Annahmen oder vielleicht übertriebene Theorien zu hören, werden reale Nutzerdaten und Erfahrungen gesammelt und fließen in kontinuierliche Anpassungen ein. So entsteht eine Evolution statt Revolution – ein stetiger Lernprozess, der das System mit den tatsächlichen Anforderungen wachsen lässt.
Auf der anderen Seite erfordert die Umsetzung des BSSN, bewusst auf den Drang zu verzichten, das System für alle Eventualitäten vorzubereiten. Dies setzt ein hohes Maß an Selbstreflexion und die Fähigkeit voraus, dem Impuls zur Spekulation zu widerstehen. Dabei hilft ein klarer Fokus auf die aktuell wirklichen Bedürfnisse und die Bereitschaft, bei Bedarf zurückzuschrauben oder neu zu denken. Aus wirtschaftlicher Sicht profitieren Unternehmen von der Möglichkeit, ihrem Kunden schneller wertvolle Funktionalität zu liefern, ohne den Aufwand zu erhöhen. Dies führt zu besserer Kundenzufriedenheit, schnellerem Markteintritt und einer insgesamt agilen Marktbearbeitung.