Die Tomatensoße von Marcella Hazan gilt als eine der besten und gleichzeitig simpelsten Soßen der Welt. Sie besteht im Wesentlichen nur aus einer Dose Tomaten, Butter, Salz und einer in zwei Hälften geschnittenen Zwiebel, die während des Köchelns ihren Geschmack an die Soße abgibt, aber später meist einfach entsorgt wird. Marcella Hazan, eine der innovativsten und einflussreichsten Kochbuchautorinnen Italiens, hat mit ihrem Rezept einen Klassiker geschaffen, dessen Geschmack kaum zu übertreffen ist. Doch gerade die Zwiebel, die viele Köche nach dem Kochen wegwerfen, verdient mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Denn sie ist nicht nur ein Würzmittel, sondern kann selbst zum Star verschiedenster Rezepte werden.
Die Zwiebel saugt im Kochprozess Butter, Tomatensäure und Salz auf, verwandelt sich in eine samtige, aromatische Komponente, die eine Vielzahl von Zubereitungen bereichert und kulinarisch neue Wege eröffnet. Die meisten kennen die klassische Variante, bei der die Zwiebelhälften nach dem langen Köcheln einfach entsorgt werden, da sie ihre Aufgabe darin gesehen wird, Geschmack abzugeben. Diese Praxis ist jedoch ein Verlust, denn die Zwiebel speichert das össenzielle Aroma – sie ist süß, leicht säuerlich, buttrig und durchtränkt mit dem fruchtigen Charakter der Tomate. Diese Kombination macht die Zwiebel zu einer reichen Zutat, die mit wenigen Handgriffen zu weiteren schmackhaften Gerichten verarbeitet werden kann. Eine besonders kreative Anwendung ist die Adaption in der chinesischen Küche, namentlich beim bekannten Gericht „Fān qié chǎo dàn“, also dem Tomaten-Eier-Rührei.
Normalerweise wird bei diesem Gericht frische Tomate verwendet, die in Öl geschmort wird, bevor die Eier hinzugefügt werden. Die vorgegarte Hazan-Zwiebel kann den frischen Tomatenanteil ersetzen und verleiht dem Gericht durch ihre bereits intensive Geschmackstiefe ein vollkommen neues Niveau. Die Zwiebel wird einfach klein gehackt inklusive des austretenden Safts, dann scharf in einer Pfanne mit Öl angerichtet, bevor die gebratenen Eier zurück in die Pfanne kommen. Mit einer Prise Ingwer oder etwas Shaoxing-Wein ergänzt, wie es der Koch Francis Lam empfiehlt, entstehen so wunderbar aromatische Varianten, die sowohl traditionell als auch innovativ schmecken. Auch in mediterranen Gerichten, die auf dem Zusammenspiel von saftigen Tomaten und robustem Gemüse basieren, spielt die Zwiebel eine hervorragende Rolle.
Besonders grüne Blattgemüse wie Grünkohl, Rapini oder Brokkoli rabe gewinnen durch die Zugabe der Tomatensoßen-Zwiebel an Geschmackstiefe und Süße. Beim Zubereiten werden die Zwiebelstreifen zusammen mit etwas Olivenöl in der Pfanne angeschwitzt, anschließend das Gemüse und bei Bedarf noch frische Kirschtomaten hinzugefügt. Die Kombination wird langsam gegart, damit sich die Aromen vermischen und ein samtiges Mundgefühl entsteht. Dieses Gericht erinnert an die Küche Süditaliens, etwa Sizilien oder Griechenland, und bietet eine hervorragende Möglichkeit, einen schnellen, saisonalen und sehr schmackhaften Gemüsegang zuzubereiten. Dabei entfaltet die Zwiebel ihren unverwechselbaren Geschmack und verleiht dem Gericht eine harmonische Tiefe.
Das Potential der Tomatensoßen-Zwiebel geht noch weiter über diese Anwendungen hinaus. Sie kann als Geschmacksträger für Aufstriche und Dipps dienen, indem man sie mit etwas Frischkäse oder Ricotta vermischt und so herzhafte Brötchenaufstriche zaubert. Ebenfalls eignet sie sich als Einlage für Suppen oder als raffinierter Belag für Pizza, wo sie den Geschmack der Tomatensoße subtil verstärkt und die Kombination mit Käse oder Kräutern wunderbar ergänzt. Ihre Textur, die nach dem langen Kochen zart, fast cremig ist, sorgt für ein angenehmes Mundgefühl und einen komplexen, angenehm süßlich-tomatigen Geschmack. Diese Nutzungsmöglichkeiten zeigen, wie das bewusste Verwenden der Reste in der Küche nicht nur nachhaltig ist, sondern auch den kulinarischen Horizont erweitert.
Marcella Hazans Rezeptzeugnis ist damit nicht nur ein Plädoyer für schlichte und hervorragende Geschmackskombinationen, sondern auch für die Wertschätzung jeder einzelnen Zutat, selbst wenn sie auf den ersten Blick nur eine Nebenrolle spielt. Die vermeintlich wegwerfbare Zwiebel wird so zum eigentlichen Schatz, den es zu heben gilt. Die Philosophie, Lebensmittel möglichst restlos zu verwenden, ist in Zeiten steigender Nachhaltigkeitsansprüche aktueller denn je. Die Tomatensoßen-Zwiebel ist ein Paradebeispiel dafür, dass weniger oft mehr sein kann und dass Achtsamkeit in der Küche auch zu überraschenden Geschmackserlebnissen führt. Es lohnt sich, beim nächsten Kochen nicht nur auf die Hauptzutaten, sondern auch auf die vermeintlichen Abfallprodukte zu achten und ihnen mit Wertschätzung zu begegnen.