Ethereum, als zweitgrößte Kryptowährung und führende Smart-Contract-Plattform, hat seit seiner Gründung maßgeblich das Gesicht der Blockchain-Technologie geprägt. Doch trotz seines technologischen Fortschritts und seiner Innovationskraft steht ETH aktuell an einem kritischen Wendepunkt. Alon Muroch, Gründer von SSV Labs und ein erfahrener Entwickler aus dem Ethereum-Ökosystem, warnt vor einer zunehmenden Divergenz, die das Gleichgewicht zwischen Ethereum als Blockchain und dem ETH-Token selbst bedroht. Diese Entwicklung wirkt sich nicht nur auf die Preisentwicklung aus, sondern stellt eine der zentralen Herausforderungen dar, die das Ökosystem in den kommenden Jahren bewältigen muss. Die Ansichten von Alon Muroch sind dabei besonders relevant, da SSV Network etwa 10 % aller gestakten ETH sichert und somit tief in der Validierungsinfrastruktur von Ethereum verwurzelt ist.
Für ihn ist klar, dass die Probleme nicht primär technischer Natur sind, sondern vor allem auf die Wahrnehmung und den Nutzen des Tokens zurückzuführen sind. Das Ethereum-Netzwerk stehe beispielhaft für Dezentralisierung und Sicherheit, aber der Wert und die Bedeutung des Tokens in den Augen der Nutzer, Investoren und Institutionen hätten sich nicht ausreichend weiterentwickelt. Die sogenannte „gefährliche Divergenz“ beschreibt das Phänomen, dass die Blockchain selbst weiterhin wächst, mehr Nutzer und Anwendungen anzieht, während der ETH-Token im Vergleich dazu deutlich an Wert und Relevanz einbüßt. Diese Kluft erachtet Muroch als alarmierend, denn sie könne langfristig das Vertrauen in das gesamte Ökosystem untergraben. Wo früher der Besitz von ETH eine klare Funktion und einen direkten Nutzen im Ökosystem hatte – etwa durch ICO-Beteiligungen oder DeFi-Liquidität – fehlt heute eine überzeugende Geschichte, warum man ETH halten sollte.
Muroch betont, dass Ethereum heute ein „Rollup-zentriertes“ Skalierungsmodell erfolgreich etabliert hat und mit seiner dezentralen Validatorenbasis technisch hervorragend aufgestellt ist. Die Herausforderung liege primär darin, eine narrative Brücke zu schlagen, die traditionelle Finanzinstitutionen und den breiten Mainstream anspricht. Für viele Investoren sind Schlagworte wie „Dezentralisierung“ oder „TPS“ (Transaktionen pro Sekunde) keine überzeugenden Kaufargumente. Stattdessen wollen sie klare finanzielle und sicherheitsrelevante Vorteile erkennen. Dabei steht Ethereum im Wettbewerb mit anderen Blockchains wie Solana, Polkadot oder Cosmos, die offensiver und zielgerichteter ihr wirtschaftliches Profil kommunizieren.
Projekte, die einst ausschließlich auf Ethereum setzten, experimentieren heute verstärkt mit alternativen Plattformen aufgrund vermeintlich besserer ökonomischer Anreize. Doch laut Muroch ist die Attraktivität von Ethereum nach wie vor hoch, wenn man technische Leistung und Sicherheit betrachtet. Entscheidend sei es nun, diesen Vorteil auch in einem finanziellen und narrativen Sinn klar herauszustellen und dem ETH-Token damit wieder eine klare Rolle zu geben. Für Muroch liegt ein großes Potenzial darin, Ethereum als Vertrauens- und Sicherheitslayer für das „Internet des Werts“ zu positionieren. Eine solche Rolle würde den Nutzen des Tokens langfristig stärken, da Anwendungen, die auf Ethereum basieren, stetige Einnahmenströme generieren, die in Form von Belohnungen an ETH-Halter zurückfließen.
Diese Idee steht im Zentrum der von SSV Labs entwickelten „Based Applications“. Diese neuartige Klasse von Anwendungen nutzt Ethereum-Validatoren direkt für Sicherheit und dezentrale Dienstleistungsfunktionen – von Orakeln über Brücken bis hin zu KI-Agenten – und schafft dadurch eine engere Verzahnung von Ökosystem und Token. Im Vergleich zu Wettbewerbern wie Eigenlayer, das sich auf kapitalbasierte Sicherheitsmodelle fokussiert, setzen die Based Applications auf reale Validatoren und bieten dadurch nicht nur eine deutlich kostengünstigere, sondern auch sicherere Alternative. Die daraus entstehenden Einnahmen kommen den ETH-Inhabern zugute, was einen positiven Kreislauf stützt: Mehr Sicherheit und mehr Wertbindung fördern eine bessere Tokenperformance. Diese technische Vision wird ergänzt von Murochs Forderung nach einem deutlich professionelleren Umgang mit Marketing, Narrative und Öffentlichkeitsarbeit.
Während Ethereum in der Vergangenheit eher auf seine technologische Überlegenheit gesetzt habe, seien heute Anstrengungen notwendig, die überzeugend kommunizieren, was Ethereum einzigartig macht – und vor allem warum Nutzer und Investoren ETH halten sollten. Der Vergleich zu Bitcoin zeigt dabei eine weitere Herausforderung: Bitcoin profitiert von seiner limitierten Tokenanzahl und einer klaren Kaufgeschichte. ETH habe hingegen keinen direkten Mainstream-Konkurrenten zu schlagen, da es bereits die größte Smart-Contract-Plattform ist. Stattdessen müsse Ethereum eine neue „Erweiterung“ definieren, die über pure technische Überlegenheit hinausgeht. Beispielsweise könnte das Vertrauen in die Sicherheit und die breitgelegte Validatorenbasis des Netzwerks den Grundstein legen für ein neues Nutzenversprechen.
Kritisch sieht Muroch auch den oftmals diskutierten Rückschritt in Richtung Proof of Work bei Wettbewerbern oder Nostalgikern. Für ihn war der Wechsel zu Proof of Stake der richtige Weg, um zukunftsfähiger und ressourcenschonender zu agieren. Bitcoin werde aus technischen Gründen nicht auf ähnliche Systeme umsteigen, was Ethereum für ihn als technologisch fortschrittlicher bestätigt. Dies unterstreicht seine Überzeugung, dass Ethereum eine bedeutende Rolle in der Zukunftstechnologie des Web3 und der dezentralen Wertübertragung spielen kann, wenn es gelingt, die bestehenden Divergenzen zu überwinden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Ethereum trotz seiner technologischen Stärke gegenwärtig in einer Phase des Umbruchs steckt.