Im Budongo-Wald in Uganda haben Wissenschaftler eine faszinierende Verhaltensweise von Schimpansen dokumentiert, die das Verständnis über die Ursprünge von Mensch und Medizin neu beleuchten könnte. Forscher beobachteten, wie diese Primaten nicht nur ihre eigenen Verletzungen behandeln, sondern auch aktiv anderen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft erste Hilfe leisten. Dabei kommen bestimmte Heilpflanzen zum Einsatz, die chemische Eigenschaften besitzen, welche die Wundheilung fördern und das Infektionsrisiko senken. Diese bemerkenswerte Beobachtung stärkt die Hypothese, dass medizinische Fürsorge im Tierreich verbreiteter ist als bisher angenommen und zeigt Parallelen zu den ersten Formen menschlicher Gesundheitspflege. Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf zwei Schimpansengruppen, Sonso und Waibira, im Budongo-Wald.
Trotz der Unterschiede in der Sozialstruktur und Gewöhnung dieser Gruppen offenbarten sich in beiden zahlreiche Fälle von Selbst- und Fürsorge bei Wunden, oft hervorgerufen durch Kämpfe oder durch von Menschen gesetzte Fallen wie Schlingen. Besonders die Sonso-Gruppe zeigte häufiger Pflegeverhalten, was möglicherweise mit einer stabileren sozialen Rangordnung oder besseren Möglichkeit zur Beobachtung zusammenhängt. Die Behandlungsmethoden der Schimpansen sind vielfältig: Sie lecken die Wunden direkt, um Schmutz zu entfernen und antimikrobielle Substanzen aus dem Speichel aufzutragen. Manchmal drücken sie mit den Fingern auf die Verletzung oder tupfen frische, zerkleinerte Blätter auf die Wundstelle. Besonders auffällig ist, dass oft mehrere Techniken kombiniert werden und sich individuelle Präferenzen abzeichnen.
Dieses komplexe Verhalten zeugt von einem hohen kognitiven Niveau sowie einem feinen Gespür für Hygiene und Heilung. Neben der Behandlung von Wunden umfasst das Gesundheitspflegeverhalten auch hygienische Praktiken wie das Reinigen der Genitalien mit Blättern nach der Paarung oder das Säubern nach dem Stuhlgang. Solche Verhaltensweisen könnten das Infektionsrisiko reduzieren und signalisieren ein ausgeprägtes Verständnis für Hygiene. Beeindruckend ist, dass außerhalb der direkten Selbstversorgung auch Fälle erfasst wurden, in denen Schimpansen anderen Tieren in ihrer Gruppe Aktiv helfen. Sie entfernten etwa gefangene Schlingen oder behandelten offenkundige Verletzungen bei Artgenossen, selbst wenn diese nicht zur eigenen Verwandtschaft gehörten.
Diese altruistischen Handlungen sind von großer Bedeutung, da sie zeigen, dass die Tiere nicht nur instinktiv reagieren, sondern offenbar Schmerzen und Leid bei anderen erkennen und aktiv Hilfe leisten, ohne direkten Vorteil daraus zu ziehen. Die Fürsorge über familiäre Grenzen hinweg stärkt das Bild einer sozialen Intelligenz, die als eine Grundlage für die Entstehung menschlicher Gesundheitssysteme betrachtet werden kann. Die Pflanzen, die bei den ersten-Hilfe-Maßnahmen Verwendung finden, sind keine zufällige Wahl. Chemische Analysen einiger dieser Gewächse zeigen Inhaltsstoffe, die antimikrobielle, entzündungshemmende oder schmerzlindernde Wirkungen besitzen, die auch in der traditionellen Medizin Afrikas Anwendung finden. Somit bieten die Beobachtungen nicht nur einen Einblick in die Verhaltensbiologie der Schimpansen, sondern könnten auch die Suche nach neuen Naturstoffen für die medizinische Anwendung inspirieren.
Dennoch gibt es Einschränkungen bei der Erforschung: Die unterschiedliche Gewöhnung der Gruppen führt zu Beobachtungsunterschieden, und die Anzahl prosocialer Pflegehandlungen bleibt vergleichsweise gering, was es erschwert, klare Muster zu erkennen. Weitere interdisziplinäre Studien sind nötig, um die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen zu verstehen, die solche Verhaltensweisen fördern oder hemmen. Solche Untersuchungen könnten auch klären, ob das hohe Verletzungsrisiko durch Schlingen in Budongo die verstärkte Fürsorge begünstigt. Die Entdeckung von medizinischer Erste Hilfe bei Schimpansen wirft ein neues Licht auf die evolutionären Wurzeln menschlicher Medizin. Sie zeigt, dass die Fähigkeit zur Selbst- und Fremdversorgung mit Heilmitteln eine soziale und kognitive Grundlage hat, deren Anfänge weit vor der menschlichen Kultur liegen.