Die Big Four – Deloitte, PwC, EY und KPMG – haben die professionelle Dienstleistungsbranche über Jahrzehnte hinweg geprägt und dominieren sie bis heute mit weltweiter Präsenz und umfangreichen Leistungsportfolios. Doch wie viele mächtige Imperien vor ihnen stehen diese globalen Unternehmen nun an einem historischen Wendepunkt. Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt sich rasant und bringt dabei nicht nur technische Innovationen, sondern auch tiefgreifende Herausforderungen und Chancen mit sich, die das gesamte Geschäftsmodell der Big Four infrage stellen könnten. Die Automatisierung datenintensiver Aufgaben und die Nutzung von KI-gesteuerten Analysewerkzeugen verändern die Art und Weise, wie Audits, Steuerberatung und strategische Beratung durchgeführt werden, grundlegend. Experten wie Alan Paton, ehemaliger Partner bei PwC, prognostizieren, dass viele standardisierte und strukturiert ablaufende Tätigkeiten innerhalb von drei bis fünf Jahren durch automatisierte Prozesse ersetzt werden könnten.
Dies hat das Potenzial, bis zu 50 Prozent der derzeitigen Arbeitsplätze in diesen Bereichen zu eliminieren. Zudem existieren bereits KI-Lösungen, die den Audit-Prozess zu 90 Prozent automatisieren können, was eine bedeutende Effizienzsteigerung und Kostenreduktion für die Kunden bedeutet. Diese Umwälzungen setzen die Big Four unter enormen Druck, ihre traditionellen Preis- und Organisationsstrukturen anzupassen. Kunden hinterfragen zunehmend, ob sie weiterhin hohe Honorare für Beratungsleistungen zahlen sollten, deren Antworten künftig von KI-Tools in Echtzeit geliefert werden könnten. Die Gefahr besteht darin, dass die Rolle des klassischen Beraters verkümmern könnte, sofern die Unternehmen sich nicht auf hoch spezialisierte und individuelle Beratungsangebote konzentrieren, die über das reine Datenhandling hinausgehen.
Gleichzeitig gibt es Stimmen aus dem Markt, die vor einer übertriebenen Angst vor einer Verdrängung des Menschen durch Maschinen warnen. Casey Foss, Chief Commercial Officer des mittelgroßen Beratungsunternehmens West Monroe, unterstreicht, dass KI Berater vor allem entlastet, indem sie ihnen repetitive Aufgaben abnimmt und so Raum für kreative und strategische Arbeit schafft. Der Mensch bleibt unverzichtbar, wenn es darum geht, komplexe Probleme ganzheitlich zu verstehen und Lösungen mit fachlichem Urteil und „Bauchgefühl“ zu entwickeln. Dies gilt insbesondere in einem Umfeld, das sich weiterhin durch hohe Unsicherheiten und individuell unterschiedliche Kundenbedürfnisse auszeichnet. Für die Big Four ist die Herausforderung jedoch nicht nur technologischer Natur.
Vielmehr müssen sie auch ihre organisatorischen Strukturen flexibilisieren und ihr Geschäftsmodell neu denken. Die klassische Fokussierung auf Masse und breite Serviceangebote reicht künftig nicht mehr aus. Stattdessen wird Spezialisierung und Agilität entscheidend, um im Wettbewerb mit innovativen Mittelstandsunternehmen und schnell adaptierenden Marktteilnehmern bestehen zu können. Mittelständische Beratungsfirmen sehen sich gegenüber den Giganten teilweise im Vorteil, da sie ohne große bürokratische Hürden schneller neue KI-Technologien implementieren und wenden können. Dies verschafft ihnen einen Wettbewerbsvorteil, der in einem schnelllebigen Umfeld an Bedeutung gewinnt.
Die Digitalisierung und Automatisierung stellen die Arbeitswelt bei den Big Four zudem vor soziale Fragen: Sind die Mitarbeiter bereit, sich auf neue Rollen zu spezialisieren, und wie gelingt eine erfolgreiche Umschulung und Weiterbildung? Der Wandel erfordert Investitionen in Know-how und kulturelle Anpassungen, um mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Das Spannungsfeld zwischen traditioneller Unternehmenskultur und Innovationsdruck wird eines der zentralen Themen der nächsten Jahre sein. Gleichzeitig eröffnet KI den Big Four aber auch beachtliche Chancen. Die Verbesserung der Datenanalyse, das Erkennen von Mustern und Frühwarnsystemen sowie die Automatisierung routinemäßiger Abläufe können Beratungsqualität und Effizienz deutlich steigern. Werden diese Vorteile gezielt genutzt, lassen sich neue Geschäftsfelder erschließen und Dienstleistungen mit höherem Mehrwert anbieten.
Dadurch können langfristig nicht nur Kosten gesenkt, sondern auch Kundenbeziehungen intensiviert werden. Abschließend lässt sich sagen, dass die Big Four am Scheideweg stehen. Künstliche Intelligenz wird ihre Marktposition nicht zwangsläufig zerstören, aber sie zwingt zu radikalen Veränderungen in Arbeitsprozessen, Geschäftsmodellen und Unternehmenskulturen. Unternehmen, die sich frühzeitig und konsequent mit den Möglichkeiten und Herausforderungen von KI auseinandersetzen, können gestärkt aus dem Wandel hervorgehen. Doch wer sich auf traditionellen Pfaden ausruht, läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren – und das könnte das Ende einer Ära bedeuten, in der die Big Four das Maß aller Dinge waren.
Für den deutschen Markt, in dem diese Unternehmen traditionell eine wichtige Rolle spielen, ist es essenziell, sich dieser Dynamik bewusst zu sein und die KI-Transformation aktiv zu gestalten, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben.