Jayant Vishnu Narlikar, einer der herausragendsten Astrophysiker und Kosmologen unserer Zeit, verstarb im Mai 2025 friedlich in seinem Zuhause in Pune, Indien. Mit 86 Jahren hinterlässt er ein beeindruckendes wissenschaftliches Erbe und eine Linie von Forschungsideen, die weit über das übliche Verständnis des Universums hinausgehen. Narlikars Lebenswerk war geprägt von einem unermüdlichen Streben nach Erkenntnissen, die konventionelle Theorien hinterfragen und erweitern. Besonders bekannt wurde er für seine alternativen Modelle zur vorherrschenden Urknalltheorie, die den Ursprung und die Entwicklung des Kosmos beschreiben. Sein Engagement für Wissenschaft und Bildung in Indien hat zudem zahlreiche Generationen junger Forscher inspiriert und Institutionen nachhaltig geprägt.
Geboren am 19. Juli 1938 in Kolhapur, Maharashtra, wuchs Jayant Narlikar in einem intellektuellen Umfeld auf. Sein Vater, Vishnu Vasudev Narlikar, war ein angesehener Mathematiker und Leiter der Mathematikfakultät an der Banaras Hindu University (BHU). Seine Mutter, Sumati Narlikar, war ebenfalls eine herausragende Gelehrte auf dem Gebiet der Sanskrit-Sprache. Diese familiäre Prägung trug maßgeblich zu seinem frühen Interesse an Wissenschaft und akademischer Exzellenz bei.
Nach dem Bachelorabschluss an der BHU setzte Narlikar seine wissenschaftliche Laufbahn an der renommierten Universität Cambridge fort, wo er 1963 promovierte und 1976 den Doctor of Science (ScD) erwarb. Es war auch während dieser Zeit, dass er eine bedeutende Partnerschaft mit Sir Fred Hoyle einging, die seine Forschungen nachhaltig beeinflussen sollte. Die Zusammenarbeit mit Fred Hoyle, einem führenden britischen Astrophysiker, war von zentraler Bedeutung für Narlikars wissenschaftliche Richtung. Gemeinsam entwickelten sie die Hoyle–Narlikar-Theorie der konformen Gravitation, die als Alternative zur Urknalltheorie dient. Während das Urknallmodell postuliert, dass das Universum aus einem einzigen, explosiven Ereignis entstanden sei, vertraten Narlikar und Hoyle das Konzept eines ewigen und unveränderlichen Universums ohne Anfang und Ende.
Diese Theorie ging von einer kontinuierlichen Materieschöpfung aus, die dazu beiträgt, die beobachtete Ausdehnung des Universums mit einem konstant bleibenden Dichtezustand zu erklären. Ein bedeutender Aspekt ihrer Theorie war die Einbeziehung des Mach’schen Prinzips. Demnach wird die Trägheit eines Objekts durch die Massenverteilung im gesamten Universum beeinflusst, wodurch eine tiefgreifende Wechselwirkung zwischen lokalen und globalen Gravitationsfeldern postuliert wird. Jayant Narlikar erweiterte diese Ideen später zur Quasi-Steady-State-Kosmologie (QSSC), einem Modell, das periodische kleine Schöpfungsereignisse beschreibt, statt eines einzigen Urknalls. Obwohl die evidenzbasierte Unterstützung für die Urknalltheorie weiterhin überwältigend ist, stellt Narlikars Ansatz eine bedeutende und innovative Alternative dar, die zum stetigen Diskurs in der theoretischen Kosmologie beiträgt.
Neben seiner Forschung war Jayant Narlikar eine prägende Persönlichkeit für die institutionelle Wissenschaftsentwicklung in Indien. Nach seiner Rückkehr nach Indien im Jahr 1972 trat er dem Tata Institute of Fundamental Research (TIFR) bei, wo er maßgeblich am Aufbau der Theoretischen Astrophysikgruppe beteiligt war. Später, im Jahr 1988, gründete er mit Unterstützung der University Grants Commission das Inter-University Centre for Astronomy and Astrophysics (IUCAA) in Pune. Unter seiner Leitung wurde IUCAA zu einem international anerkannten Forschungszentrum, das Wissenschaftler aus aller Welt anzieht und exzellente Bildungsprogramme anbietet. Auch nach seiner offiziellen Emeritierung blieb Narlikar dem Zentrum eng verbunden und wirkte als Mentor und Berater weiter.
Jayant Narlikars Einfluss beschränkt sich nicht nur auf die Forschung. Er war ein leidenschaftlicher Verfechter der Wissenschaftskommunikation und bemüht, die komplexen Phänomene der Astrophysik einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Seine zahlreichen Bücher in Englisch und Marathi sind sowohl bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als auch bei jungen Lesern und Laien beliebt. Durch engagierte Vorträge, populärwissenschaftliche Texte und Medienbeiträge trug er entscheidend dazu bei, das Verständnis und die Begeisterung für Naturwissenschaften in Indien zu steigern. Seine Auszeichnung mit dem Sahitya Akademi Award für seine autobiografischen Schriften in Marathi unterstreicht seine Fähigkeit, wissenschaftliche Inhalte auf eindrucksvolle und verständliche Weise zu vermitteln.
Auf persönlicher Ebene war Narlikar durch ein familiäres Umfeld geprägt, in dem Wissenschaft als Lebensinhalt zelebriert wurde. Seine Ehefrau, Dr. Mangala Narlikar, ist ebenfalls eine Mathematikerin und akademische Persönlichkeit. Ihre drei Töchter – Geeta, Girija und Leelavati – haben alle wissenschaftliche Karrieren eingeschlagen, was das gesamte Familienleben zu einem Zentrum des intellektuellen Austauschs macht. Besonders berührend ist das umfangreiche Filmarchiv, das die Familie an das National Film Archive of India (NFAI) übergeben hat.
Dieses Archiv enthält private und akademische Filmszenen von Cambridge über die USA bis zu Familienereignissen und bietet damit einzigartige Einblicke in das Leben eines der bedeutendsten Wissenschaftler Indiens. Jayant Narlikar hinterlässt eine bleibende Wirkung in der globalen Wissenschaftsgemeinschaft. Seine Karriere, die mehr als fünf Jahrzehnte umspannt, zeichnete sich durch eine einzigartige Kombination aus akademischer Exzellenz, institutioneller Vision und gesellschaftlichem Engagement aus. Indien und die internationale Astrophysik-Community erinnern sich an ihn als einen brillanten Denker, der stets den Mut hatte, etablierte Paradigmen zu hinterfragen und durch neue Perspektiven zu bereichern. Als Reaktion auf seinen Tod würdigte auch Premierminister Narendra Modi die Verdienste Narlikars.
In seinen Worten spiegelte sich die Wertschätzung für Narlikars umfassendes Wirken wider, welches sowohl theoretische Innovationen, institutionellen Aufbau als auch die Vermittlung von Wissenschaft an die breite Öffentlichkeit umfasste. Diese Anerkennung zeigt, wie sehr Jayant Narlikar als Symbol für wissenschaftlichen Fortschritt und als leuchtendes Vorbild für kommende Generationen gilt. In der Rückschau auf sein Leben und sein Werk wird sichtbar, dass Jayant Narlikar weit mehr als nur ein Wissenschaftler war. Er war ein Impulsgeber für neue Denkweisen, ein Mentor für zahlreiche junge Talente und ein Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Seine kritische Haltung gegenüber der Urknalltheorie hat zu einem intellektuellen Diskurs beigetragen, der fundamental für das Verständnis unseres Universums ist.
Während die Wissenschaft weiterhin Daten sammelt und Theorien testet, bleibt das Vermächtnis Narlikars eine Inspiration, kritisch und kreativ zugleich zu forschen. Sein Geist lebt fort in den wissenschaftlichen Institutionen, die er mitbegründet hat, in den Publikationen, die Generationen lehrten, und in der Neugier, die er in unzähligen Menschen entfacht hat. Jayant Vishnu Narlikar wird als eine der prägendsten Figuren der modernen Astrophysik in Erinnerung bleiben – ein Meister des kosmischen Denkens, der die Grenzen des Möglichen stets neu definierte.