Die Finanzmärkte gelten gemeinhin als empfindlich gegenüber großen geopolitischen Ereignissen. Wenn Länder in Konflikte verstrickt sind, erwarten viele Anleger Unsicherheit, Volatilität und im schlimmsten Fall einen Einbruch an den Börsen. Doch die jüngsten Reaktionen auf die Eskalation zwischen Israel und dem Iran überraschen. Trotz eines scheinbar brisanten geopolitischen Konflikts zeigen die US-Aktienmärkte eine bemerkenswerte Ruhe und sogar steigende Kurse. Das wirft die Frage auf, warum die Börse den Israel-Iran-Konflikt so gelassen hinnimmt und ob ein solches Verhalten denn normal ist.
Um diese Fragen zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf historische Muster, wirtschaftliche Zusammenhänge und die Rolle der Ölpreise als wichtiger Einflussfaktor. Historisch betrachtet sind Aktienmärkte durchaus gewohnt daran, auf geopolitische Ereignisse zunächst mit Kursverlusten zu reagieren, allerdings sind diese Rücksetzer oft zeitlich und in der Tiefe begrenzt. Eine Analyse von Deutsche-Bank-Experten zeigt, dass der S&P 500 Index nach einem geopolitischen Schock im Durchschnitt zunächst rund sechs Prozent in den darauffolgenden drei Wochen verliert. Doch genau so schnell erholen sich die Märkte wieder und gleichen die Verluste in den darauf folgenden drei Wochen aus. Dies belegt, dass negative Marktreaktionen häufig kurzzeitig sind und Anleger sich rasch von Schocks erholen.
Der Grund hierfür liegt in der Funktionsweise der Märkte und dem Verhalten der Investoren. Anfangs sorgt ein Konflikt für erhöhte Unsicherheit, was zu kurzfristigem Verkaufsdruck führen kann. Doch sobald klar wird, dass der Konflikt keine unmittelbaren oder nachhaltigen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum oder auf die Unternehmensgewinne hat, kehren Investoren zurück in den Markt. Die Börse bewertet letztlich die realwirtschaftlichen Folgen, nicht nur politische Schlagzeilen. Im Fall des aktuellen Israel-Iran-Konflikts zeigen sich genau diese Zusammenhänge.
Trotz der anhaltenden Gefechte und der potenziellen Gefahren für die globale Sicherheit haben Anleger offenbar wenig Sorgen, dass sich daraus ein ernsthafter Ölpreisschock entwickelt. Denn ein entscheidender Faktor, der den Aktienmarkt nachhaltig belasten kann, ist eine drastische und anhaltende Steigerung der Ölpreise. Historisch haben Ölpreis-Schocks wie die Ölkrise der 1970er Jahre oder die Invasion Kuwaits durch den Irak 1990 die Märkte deutlich erschüttert, da sie sowohl die Inflation antreiben als auch das Wirtschaftswachstum bremsen. Aktuell sind die Ölpreise zwar Anfang der Woche nach den Spannungen zunächst gestiegen, haben aber schnell wieder nachgegeben. Die Märkte bewerten offenbar, dass die Lieferketten und die globale Versorgungslage relativ stabil bleiben.
Risiken sind eingepreist, aber nicht dramatisch – dies wird auch deutlich durch die nur minimal steigenden Risikoprämien bei Credit-Spreads und der stabilen Lage im weltweiten MSCI-Weltaktienindex. Zudem sind andere wirtschaftliche Faktoren entscheidend für die Stärke der Börsen. Die Geldpolitik bestimmt weiterhin maßgeblich die Marktstimmung. Laufen Inflation und Zinspolitik weiterhin im vorhersehbaren Rahmen, dann können geopolitische Konflikte leichter abgefedert werden. Investoren beobachten aktuell genau, wie Zentralbanken auf wirtschaftliche Rahmenbedingungen reagieren.
Ein kurzfristiger Konflikt ohne langfristige wirtschaftliche Auswirkungen kann so von den Märkten schnell als „überschaubares Risiko“ eingestuft werden. Auch hilft die niedrige Aktienquote in Portfolios der Anleger, größere Verkäufe zu vermeiden. Weniger Engagement am Markt bedeutet weniger Gründe für Panikverkäufe. Die Marktteilnehmer agieren somit gelassener und nehmen die Volatilität gelassener hin. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Globalisierung und Diversifikation.
Selbst wenn ein regionaler Konflikt Spannung erzeugt, können Investoren aus anderen Weltregionen und Sektoren dennoch Chancen sehen, was den Druck auf die Märkte reduziert. Der Vergleich mit der jüngsten größeren geopolitischen Krise, der russischen Invasion in der Ukraine 2022, veranschaulicht den Unterschied. Damals kam es unter anderem zu einem massiven Ölpreisschock, der die Inflation beschleunigte und zu einer drastischeren Reaktion der Zentralbanken führte. Diese Faktoren trieben die Märkte nachhaltig nach unten. Heute sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anders, und es fehlt die unmittelbare Auswirkung auf die Ölversorgung und das weltweite Wachstum.
Nicht zuletzt spielen psychologische Faktoren eine Rolle. Investoren haben in den letzten Jahren gelernt, geopolitische Risiken schneller einzuordnen und differenzierter zu bewerten. Informationsverbreitung und Markttransparenz sind deutlich besser geworden. Gleichzeitig verfügen institutionelle Akteure über komplexe Risikoabsicherungsmechanismen, die plötzliche Schocks abfedern. Dies unterstützt die Stabilität in unsicheren Zeiten.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Reaktion der Börse auf den Israel-Iran-Konflikt durchaus im Rahmen dessen liegt, was aus historischer Sicht zu erwarten ist. Solange kein nachhaltiger Einfluss auf das Ölangebot, die Inflation oder das globale Wachstum entsteht, bleiben die Märkte wenig erschüttert. Investoren scheinen sich bewusst zu sein, dass geopolitische Unsicherheiten zwar präsent sind, aber oft vorübergehend bleiben und keine dauerhafte Krise bedeuten. Für Anleger bedeutet das, dass eine ruhige Analyse der realwirtschaftlichen Auswirkungen eines Konflikts wichtiger ist als emotionale Entscheidungen aufgrund von Nachrichtenüberschriften. Das Verständnis der komplexen Dynamiken hinter den Börsenreaktionen und die Konzentration auf wirtschaftliche Fundamentaldaten helfen, kluge Investmententscheidungen zu treffen.
Der Markt hat sich als resilient erwiesen und zeigt, dass geopolitische Krisen häufig kurzfristige, aber keine langfristigen Risiken darstellen, solange die wirtschaftlichen Grundlagen stabil bleiben. So bleibt der Aktienmarkt trotz der angespannten Lage im Nahen Osten erstaunlich gelassen – ein Zeichen dafür, dass die Finanzwelt gelernt hat, politische Krisen im richtigen Kontext zu bewerten und sich nicht von kurzfristiger Panik leiten zu lassen.