Die Welt der Retro-Computer fasziniert seit jeher zahlreiche Technikliebhaber und IT-Enthusiasten. Besonders spannend ist die Frage, wie moderne Betriebssysteme auf älterer Hardware funktionieren, die ursprünglich nicht für heutige Softwareanforderungen ausgelegt wurde. Ein besonders interessantes Projekt in diesem Bereich ist die Erprobung moderner Linux-Kernel, speziell der Versionen 5.x und darüber, auf einem Computer aus dem Jahr 1997, ausgestattet mit einem Intel Pentium 100 MHz Prozessor und 256 MB Arbeitsspeicher. Diese Kombination stellt eine Herausforderung dar, da die Ressourcen begrenzt sind und neuere Linux-Distributionen meist höhere Systemanforderungen haben.
Zudem sind oftmals spezielle Treiber und Kernelanpassungen nötig, um die Hardware korrekt anzusprechen. Doch weshalb fasziniert es so sehr, modernes Linux auf einem solch alten System zum Laufen zu bringen? Zum einen ist es der Stolz und die Neugier des Retro-Enthusiasten, der verstehen will, wie weit man mit minimaler Hardware kommen kann. Zum anderen bietet die Erfahrung wertvolle Einblicke in die Entwicklung von Betriebssystemen und zeigt auf, welche technischen Fortschritte in den letzten Jahrzehnten erzielt wurden. Die Suche nach einer geeigneten Hardware begann mit der Erkenntnis, dass emulierte Umgebungen wie QEMU zwar wertvoll sind, aber oft nicht alle Feinheiten und Eigenheiten echter x86-Retrohardware akkurat abbilden können. Daher stand der Wunsch im Vordergrund, echtes Bare-Metal-Computing zu betreiben.
Ein moderner Linux-Kernel auf einem echten 486er oder älter zu betreiben stellt jedoch einige Hürden dar, vor allem weil viele Distributionen mittlerweile auf mindestens i686 als Zielarchitektur setzen. Der i586-Standard, der für die Pentium-Reihe steht, wird kaum noch offiziell unterstützt, obwohl er über eigene, wichtige neue Instruktionen verfügt, die den Unterschied zur i486-Architektur ausmachen. Im Zuge dieses Experiments wurde initial die Frix-Plattform eingesetzt, ein FPGA-basiertes 486-System, das jedoch einige Limitierungen aufwies. Das Fehlen von Erweiterungsoptionen und die Notwendigkeit umfangreicher Kernel-Patches machten das System zwar benutzbar aber weit entfernt von einem praktischen Alltagsrechner. Das Projekt zeigte jedoch deutlich, dass ein echter Pentium-PC eine deutlich bessere Basis darstellt.
Ein glücklicher Zufall beim Besuch eines lokalen Computer-Marktes führte zum Erwerb eines Pentium-100-MHz-Systems mit 256 MB PC133 SDRAM und einem Mainboard vom Typ Zida 5SVA. Dieses Setup war für das Vorhaben ideal: Es bot echte ISA- und IDE-Anschlüsse und erlaubte den Einbau moderner Peripheriegeräte wie eines DVD-RW-Laufwerks und eines Floppy-Emulators namens Gotek. Die Suche nach einer geeigneten Linux-Distribution, die auf dieser Hardware ohne tiefgreifende Modifikationen läuft, war das Kernziel. Da viele aktuelle Distributionen entweder keine 32-Bit-Unterstützung mehr anbieten oder mindestens i686 voraussetzen, wurden gezielt distros mit i586- oder i486-Target getestet. Mageia Linux 8, das auf i586 kompiliert ist, schied früh aus.
Zwar ist die Systemgröße nach der Installation akzeptabel, doch die minimale Installer-Anforderung von mindestens 1 GB RAM machte die Nutzung auf dem 256 MB-System unmöglich. Zudem gab es Probleme mit dem IDE-Treiber, die zu Kernel-Panics führten. Alpine Linux, bekannt für sein kleines Footprint und minimalistischen Ansatz, konnte zumindest im Live-Modus starten und eine Installation wurde durchgeführt. Leider führte ein Neustart zu Bootproblemen, bei denen der Bootloader oder der IDE-Controller nicht korrekt zusammenarbeiteten. Das Entfernen von SYSLINUX zu Gunsten von GRUB brachte keine Besserung auf realer Hardware, obwohl unter Emulation keine Probleme auftraten.
Überraschenderweise zeigte AOSC OS/Retro, eine auf i486 ausgelegte Distribution, das größte Potential. Diese bootete im Live-Modus sowie von der Festplatte ohne erkennbare Fehler und startete sogar systemd erfolgreich – und das auf einem für systemd recht betagten Pentium 100 MHz. Allerdings folgte kurz nach dem Login ein reproduzierbarer Hard Freeze, ohne Fehlermeldungen oder Kernel-Panics. Dieses Verhalten ließ darauf schließen, dass es möglicherweise Probleme mit bestimmten Treibern oder Kernelmodulen gab, die schwer zu diagnostizieren sind. ArchLinux32, ein Projekt, das die 32-Bit-Unterstützung von Arch Linux aufrechterhält, wurde ebenfalls mit der i486-Version getestet.
In der Emulation funktionierte es sehr gut, doch auf echter Hardware machten spezifische Treiberprobleme bei der IDE-Ansteuerung einen produktiven Einsatz nahezu unmöglich. SYSLINUX als Bootloader brachte zwar Fortschritte gegenüber GRUB, doch der Kernel konnte keine Root-Datei-Systeme mounten und stürzte ab. Die eigentliche Überraschung kam mit Tiny Core Linux. Trotz seiner sehr minimalistischen Bauweise und dem Fokus auf i486DX als Mindestanforderung, brachte Tiny Core Linux das alte Pentium-System tatsächlich stabil zum Laufen. Die grafische Oberfläche startete erwartungsgemäß ruckelig, aber nutzbar.
Die Installation über die GUI war problemlos und die Stabilität des Systems verlieh Hoffnung, dass moderne Linux-Kernels durchaus mit optimierten Distributionen auf ältlicher Hardware funktionieren können. Die Erfahrung zeigt, dass der Kernel, die Treiber und die Kernelkonfigurationen in Verbindung mit verwendeten Bootloadern den Schlüssel zum Erfolg darstellen. Moderne Distributionen, die auf komplexe Hardware-Stacks und aktuelle Features ausgelegt sind, bieten oft keine Unterstützung für alte IDE-Controller oder chaotische BIOS-Implementierungen, wie sie bei den Mainboards aus der Pentium-Ära häufig vorkommen. Daher ist es nicht allein die CPU-Architektur, sondern das Zusammenspiel aller Systemkomponenten, das über den Erfolg entscheidet. Weitere Kandidaten wie Gentoo Linux bieten zwar die Möglichkeit, durch vollständige Neukompilierung eine maßgeschneiderte Installation zu ermöglichen, jedoch ist der Aufwand auf einem 100-MHz-Prozessor mit begrenztem RAM kaum praktikabel.
Die Umsetzung erfordert ein robustes Cross-Compiling außerhalb der Zielhardware. Demgegenüber wirken spezialisierte Embedded-System-Builds wie Yocto oder Buildroot als Alternativen, die jedoch eher den Einsatz in eingebetteten Systemen als die Nutzung als Desktop- oder Allround-Linux vorsehen. In der Praxis lassen sich einige moderne Linux-Distributionen speziell für den Einsatz auf Retro-PCs nicht ohne Weiteres verwenden, weil sie entweder auf 64-Bit-Architekturen fokussiert sind oder die Mindestanforderungen an die Hardware und Treiber nicht erfüllen. Projekte wie Debian, Manjaro oder Ubuntu haben die Unterstützung von i586 oder gar i486 längst eingestellt zugunsten von i686 und höher. Das erschwert die Wahl und macht den Einsatz von spezialisierten oder minimalistischen Distributionen zur einzigen Möglichkeit.
Die Erkenntnisse dieser Experimente sind nicht nur für Retro-Enthusiasten von Bedeutung, sondern auch für Entwickler und Systemintegratoren, die verstehen wollen, welche Einflussfaktoren die Kompatibilität und Leistungsfähigkeit von Betriebssystemen auf älteren PCs bestimmen. Während moderne Linux-Systeme mit ihren hohen Anforderungen und komplexen Komponenten oft zu ressourcenintensiv für alte Hardware sind, zeigen minimalistische Distributionen und angepasste Kernel können diese Lücke füllen. Die Community um ArchLinux32, Tiny Core Linux und ähnliche Projekte bemüht sich fortwährend, 32-Bit-Support und Kompatibilität zu erhalten, auch wenn der allgemeine Trend klar in Richtung 64-Bit-Architektur geht. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob diese Bemühungen fortgeführt werden oder ob 32-Bit-Systeme endgültig in den Ruhestand geschickt werden. Für Besitzer von PCs aus den 90er Jahren bleiben die Möglichkeiten technisch spannend, aber limitiert.