Die Welt der Wirtschaftsprüfung ist traditionell von großen internationalen Kanzleien, den sogenannten Big Four, dominiert. Unternehmen jeder Größenordnung setzen auf deren Expertise, um die finanzielle Integrität sicherzustellen und Vertrauen bei Investoren, Mitarbeitern und der Öffentlichkeit zu schaffen. Der jüngste Fall von P&O Ferries, einem der größten britischen Fährbetreiber, stellt diese gängige Praxis infrage und bringt eine ungewöhnliche Entscheidung ans Licht: Das Unternehmen hat die renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG durch eine kleine, gerade einmal vierköpfige Firma ersetzt. P&O Ferries machte im Laufe der letzten Jahre immer wieder Schlagzeilen, zunächst negativ geprägt durch die Entlassung von 786 britischen Fahrern im Jahr 2022. Diese wurden durch Personal von sogenannten Niedriglohn-Agenturen aus Ländern wie Indien, den Philippinen und Malaysia ersetzt.
Die Entscheidung hatte weitreichende Kritik ausgelöst, insbesondere im Hinblick auf Sozialverträglichkeit und unternehmerische Verantwortung. Diese Situation schuf bereits einen angespannten Kontext, als KPMG im März 2025 ihren Rückzug als Wirtschaftsprüfer des Unternehmens erklärte. Im offiziellen Rücktrittsschreiben gab KPMG an, es sei nicht möglich gewesen, die Abschlussprüfungen für das Geschäftsjahr 2023 innerhalb des von der Geschäftsführung vorgegebenen Zeitrahmens zu den geforderten Standards abzuschließen. Diese Aussage wirft ein starkes Licht auf die internen Prozesse von P&O Ferries und auf den Umgang mit finanzieller Transparenz. Für ein Unternehmen dieser Größe und mit der wirtschaftlichen Bedeutung von P&O sind solche Verzögerungen äußerst ungewöhnlich und problematisch.
Die Veröffentlichung der Geschäftszahlen von P&O Ferries für 2022 erfolgte fast elf Monate verspätet. Die Zahlen offenbarten erhebliche Kosten von über 47 Millionen Pfund, die für den Austausch der britischen Seeleute aufgewandt wurden – eine Investition, deren Legitimität und Effizienz kontrovers diskutiert wurde. Während traditionelle Prüfer wie KPMG solche Zusammenhänge oftmals kritisch hinterfragen, eröffnet der Wechsel zur kleinen Firma Just Audit & Assurance (JAA) nun neue Unsicherheiten und Fragen zur Qualität der Prüfung. Just Audit & Assurance mit Sitz in Witney, Oxfordshire, beschäftigt lediglich vier Mitarbeiter, verfügt aber eigenen Angaben zufolge über ein Netzwerk, durch das bis zu 35 Personen für Prüfungen mobilisiert werden können. Die für P&O Ferries veranschlagte Prüfungsgebühr soll sich auf circa 265.
000 Pfund belaufen, was etwa acht Prozent der Einnahmen der kleinen Wirtschaftsprüfung entspricht und somit einen bedeutenden Anteil am Gesamtertrag darstellt. Im Vergleich dazu beliefen sich die Prüfungsgebühren bei P&O Ferries 2022 auf 1,3 Millionen Pfund – deutlich mehr als jetzt. Kritiker wie der Arbeitsmarktexperte und Rechnungswesen-Professor Prem Sikka warnen vor möglichen Interessenkonflikten. Ein kleines Unternehmen, das stark von einem einzigen großen Mandanten abhängig ist, könnte unter Druck geraten, zu nachgiebig zu sein, um den Auftrag nicht zu gefährden. Im Kontext eines Großkonzerns mit vier Millionen Passagieren jährlich und tausenden Beschäftigten besteht die berechtigte Sorge, dass die Prüfungsmeinung beeinflusst werden könnte – ein Risiko, das bei etablierten internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften als geringer eingeschätzt wird.
Auf der anderen Seite betont Jonathan Russell, Mehrheitseigner und „verantwortlicher Prüfer“ bei JAA, dass sein persönlicher Fokus nicht auf finanziellen Anreizen liege und er seine Prüfungsmeinung kompromisslos vertreten werde. Diese individuelle Haltung ist wichtig, doch stellt sich gleichzeitig die Frage, ob ein so kleines Unternehmen in der Lage ist, die komplexen Anforderungen einer Prüfung bei einem Großkonzern vollständig und unabhängig zu erfüllen. Diese Situation wirft Grundsatzfragen zur Rolle der Wirtschaftsprüfung in Zeiten zunehmender Unternehmenskomplexität und sich ändernder Wirtschaftsstrukturen auf. So zeigt sich, dass die Einhaltung von Fristen und die ordnungsgemäße Prüfung der Jahresabschlüsse nicht nur eine gesetzliche Pflicht ist, sondern auch für das Vertrauen von Investoren, Kunden und der Öffentlichkeit entscheidend sein kann. Unternehmen wie P&O Ferries stehen heute vor gewaltigen Herausforderungen: Wettbewerbsdruck, Kostensenkungen und zugleich die Notwendigkeit, verantwortungsvoll mit Mitarbeitern und Finanzen umzugehen.
Die Beauftragung einer kleinen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft könnte sich als Versuch deuten lassen, den Prüfungsprozess zu beschleunigen oder Kosten zu sparen – allerdings um den Preis möglicher Zweifel an der Unabhängigkeit und Qualität der Prüfung. Darüber hinaus unterstreicht dieser Fall die Bedeutung einer transparenten und nachvollziehbaren Unternehmensführung. Wenn ein traditionsreiches Unternehmen mit großer Reichweite seine Zahlen so spät vorlegt und den Prüfer wechselt, greifen automatisch Fragen über die interne Finanzkontrolle und die Motivation des Managements um sich. Im maritimen Sektor, der oft durch hohe Investitionskosten, komplexe regulatorische Anforderungen und eine Vielzahl an Stakeholdern geprägt ist, ist eine gewissenhafte und unabhängige Wirtschaftsprüfung unerlässlich. Sie gewährleistet, dass Risiken erkannt und rechtzeitig adressiert werden, und schützt die Interessen aller Beteiligten – von den Anlegern bis zu den Mitarbeitern.