In unserer modernen Welt umgibt uns Infrastruktur – Brücken, Straßen, Bahnhöfe und Überführungen sind allgegenwärtig. Sie verbinden Orte, erleichtern den Alltag und sind unerlässlich für Wirtschaft und Gesellschaft. Dennoch haben viele dieser Bauwerke eines gemeinsam: Sie wirken oft trist, blockartig und leblos. Warum ist das so, und warum können wir uns nicht einfach schönere Infrastruktur leisten? Diese Frage wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das weit über reinen Städtebau hinausgeht und tief in unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prioritäten eingebettet ist. Der erste Eindruck zählt, und das gilt besonders bei Infrastruktur.
Ein beeindruckendes Beispiel liefert die Mary McAleese Bridge in Irland, deren Bau im Jahr 2000 begann. Sie ist nicht nur funktional, um eine Wasserschneise zu überbrücken, sondern auch ein optisches Statement. Mit ihrer majestätischen, fast schon organisch wirkenden Architektur vermittelt sie Optimismus, Fortschritt und eine gewisse Leichtigkeit – Eigenschaften, die das übliche Bild einer Brücke übersteigen. Dieses Bauwerk zeigt, dass Infrastruktur durchaus schön gestaltet werden kann, wenn man den Willen und die Mittel dazu hat. Leider ist diese Art der Infrastruktur eher die Ausnahme als die Regel.
Viele Brücken, Überführungen und Straßen wirken dagegen trüb und streng. Ihre Gestaltung ist meist geprägt von Funktionalität, Kosteneffizienz und Minimalismus, frei von Verspieltheit oder einem Hauch von Kunst. Diese grauen Kolosse symbolisieren oftmals eher Sparzwang und fehlenden Gestaltungswillen als Optimismus und Kreativität. Der Eindruck der trostlosen Infrastruktur übertragen sich unbewusst auf das Lebensgefühl der Menschen. Täglich begegnen wir einer Umgebung, die uns eher niederdrückt als inspiriert.
Hier stellt sich die Frage: Was hält Städteplaner und Entscheidungsträger davon ab, Infrastruktur ästhetisch aufzuwerten? Ein wesentlicher Faktor ist ohne Zweifel die Kostenfrage. In Zeiten knapper öffentlicher Kassen dominiert der Rationalismus: Es wird genauestens geprüft, wie jede investierte Million möglichst effizient genutzt werden kann. Kunst und Schönheit gelten oft als Luxus, nicht als notwendige Elemente städtischer und gesellschaftlicher Entwicklung. Doch diese Betrachtung greift zu kurz. Denn Schönheit ist kein Selbstzweck, sondern kann vielfältige positive Auswirkungen haben.
Zum einen steigert eine ansprechend gestaltete Infrastruktur das Wohlbefinden der Menschen. Besonders auf dem Weg zwischen Zuhause und Arbeitsplatz, der für viele Privatpersonen den größten Teil ihres Tages einnimmt, kann ein schöner Anblick den Kopf klären, Frustration mildern und einen Moment der Ruhe schaffen. Diese subtile, aber stetige Verbesserung der Lebensqualität ist durch kahle Betonklötze kaum zu erreichen. Zum anderen spiegelt ansprechende Infrastruktur Optimismus einer Gesellschaft wider. Historisch gesehen sind besonders schöne Bauwerke oft Indikatoren für Hochzeiten kultureller und wirtschaftlicher Blüte.
Ob architektonische Meisterwerke wie der Petersdom, die Pyramiden von Ägypten oder die kunstvoll gestalteten Brücken und Plätze in europäischen Städten – sie alle sind Ausdruck eines Landes, das sich selbst positiv sieht, das in seine Zukunft investiert und eine Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schaffen möchte. Hierbei ist der Aspekt der 'Visitenkarte an die Zukunft' besonders wichtig: Durch Schönheit setzen Gesellschaften ein Zeichen für ihre Werte und ihre Hoffnung auf eine bessere Welt. Doch Schönheit kann nicht nur Traditionen und Historie widerspiegeln, sondern auch Inspiration für Veränderungen sein. Beispielsweise finden sich in weniger wohlhabenden Gegenden wie Mumbai oder kleinen Städten in Irland immer wieder liebevoll gestaltete Details, die trotz einfacher Materialien beeindrucken. Diese kleinen Kunstwerke sind ein Beweis dafür, dass Schönheit kein Privileg der Reichen sein muss.
Kreative Gestaltung kann durch einfache Mittel, wie farbenfrohe Bemalungen oder spielerische Strukturen, erreicht werden und somit auch Tristesse in urbanen Räumen vertreiben. Ein oft übersehener Aspekt ist aber auch das Verhältnis von Gesellschaft zu Infrastruktur. Wenn öffentliche Bauwerke stets nur funktional und abweisend gestaltet sind, entwickelt sich automatisch eine negative Haltung gegenüber allem, was von Menschenhand geschaffen ist. Dies führt dazu, dass urbaner Raum als bloße Notwendigkeit wahrgenommen wird, nicht als Lebensraum mit Identität. Diese Verachtung schwächt wiederum den Willen zur Pflege, zur Renovierung und zur Innovation im Infrastrukturbereich.
Es entsteht eine Abwärtsspirale, bei der weniger investiert wird und zugleich die Akzeptanz für neue Projekte sinkt. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das Großprojekt HS2 in Großbritannien, das als High-Speed-Verbindung London mit dem industrialen Norden des Landes verknüpfen sollte. Das Vorhaben wurde von einem erheblichen Widerstand begleitet, nicht nur wegen der Kosten, sondern auch wegen der Ängste, dass die neue Infrastruktur die Landschaft verschandeln würde. Als Reaktion wurden viele Streckenabschnitte aufwendiger und teurer als nötig unterirdisch gebaut. Das führte letztlich zur Streichung wichtiger Teilprojekte und einem massiven Anstieg der Gesamtkosten – ein Paradebeispiel dafür, dass schlechte Gestaltungsbereitschaft und Ängste vor 'hässlicher' Infrastruktur kontraproduktive Ergebnisse nach sich ziehen.
Das Problem liegt somit nicht nur im Budget, sondern auch in der Mentalität gegenüber Bauprojekten. Der sogenannte „Treasury Brain“ – eine Denkweise, die Kostenreduktion um jeden Preis priorisiert – verhindert oft visionäre und ästhetische Ansätze. Die Folge ist, dass Infrastruktur als notwendiges Übel behandelt wird, nicht als Chance zur Schaffung von Lebensqualität und Identifikation. Nicht zuletzt zeigt sich dieses Dilemma auch im privaten Sektor. Selbst in der Industrie und im Produktionsumfeld, wo Funktionalität oberste Priorität hat, besteht häufig das Spannungsfeld zwischen Nutzwert und ästhetischer Gestaltung.
Maschinen oder Anlagen, die stolz und besonders gestaltet sind, erzeugen eine bessere Wahrnehmung bei Besuchern und Investoren und können den Erfolg langfristig fördern. Dennoch wird oft zugunsten der Vormachtstellung von Kosten und Nutzen auf jegliche optische Aufwertung verzichtet. Wie aber können wir aus dieser Sackgasse herauskommen? Ein möglicher Weg liegt darin, den Begriff der Wirtschaftlichkeit neu zu definieren und Ästhetik als festen Bestandteil der Kosten-Nutzen-Rechnung zu akzeptieren. Die Investition in gut gestaltete Infrastruktur zahlt sich auf vielen Ebenen aus – durch höhere Akzeptanz, gesteigertes Wohlbefinden und nicht zuletzt durch die Förderung der Kreativität in der Gesellschaft. Politisch und gesellschaftlich müssen Entscheider stärker sensibilisiert werden für die Bedeutung von Schönheit und Gestaltung im öffentlichen Raum.
Auch die Einbindung von Künstlern und Designern in frühzeitige Planungsprozesse kann dazu beitragen, innovative und zugleich funktionale Lösungen zu schaffen. Solche interdisziplinären Ansätze sind bereits in einigen Teilen der Welt erfolgreich, wo Infrastruktur nicht mehr nur als technische Notwendigkeit gesehen wird, sondern als Bühne für Kultur und Gemeinschaft. Ob letztlich ein Brückengeländer mit geschwungenen Formen, eine farbenfrohe Unterführung oder eine futuristisch gestaltete Hochbahn – all dies sind Ausdrucksformen, die uns täglich daran erinnern, dass Technik und Ästhetik sich nicht ausschließen müssen. Schönheit ist weder Luxus noch überflüssiger Aufwand, sondern ein integraler Bestandteil einer lebenswerten und zukunftsfähigen Gesellschaft. Am Ende geht es darum, wieder mehr Vision und Mut in unsere Planung zu bringen.
Denn ohne Inspiration, ohne das Streben nach etwas „Schönem“, werden wir kaum neue Wege finden, wie wir das Leben in den Städten und Gemeinden verbessern. Es ist an der Zeit, den Künstlern mehr Raum zu geben und den Blick über reine Zahlen hinauszuheben. Die Antwort auf die Frage „Warum können wir nicht schöne Infrastruktur haben?“ ist daher eine Einladung zum Umdenken: Weniger Sparzwang, mehr Kreativität, mehr Optimismus. So können wir nicht nur schönere Brücken und Straßen bauen, sondern auch eine Gesellschaft, die stolz auf ihr Erbe und ihre Zukunft ist.