Byju Raveendran, einst bekannt als brillanter Mathematiklehrer aus einem kleinen Dorf in Kerala, Indien, stand an der Spitze eines der größten Edtech-Unternehmen der Welt. Gegründet 2011 entwickelte sich Byju’s rasch zu einer dominanten Kraft im Bereich der digitalen Bildung. Die Lern-App wurde zur ersten Wahl für Millionen indischer Schüler und Studenten, die ihre Fähigkeiten für anspruchsvolle Berufs- und collegebezogene Prüfungen verbessern wollten. Doch heute ist von der dynamischen Erfolgsgeschichte eine Schattenseite geblieben, geprägt von Betrugsvorwürfen, Milliardenverlusten und dem Verschwinden von 533 Millionen US-Dollar. Diese Krise wirft ein Schlaglicht auf die offenbaren Probleme in der Tech-Branche und auf die Herausforderungen eines rasant expandierenden Unternehmens.
Byju’s Beginn ist eine Geschichte von einfachem Ursprung und großem Ehrgeiz. Raveendran, Sohn zweier Lehrer, liebte schon früh Mathematik. Seine Passion und seine Fähigkeit, komplexe mathematische Sachverhalte verständlich zu erklären, machten ihn zu einem beliebten Tutor, der bald ganze Hörsäle und sogar Sportstadien füllte. Seine Präsenz und sein Unterrichtsstil, bei dem er Schülern Lerntricks, Mustererkennung und schlaues Zeitmanagement vermittelte, bahnten den Weg für seinen Aufstieg. Der Sprung ins digitale Zeitalter erfolgte früh.
Als Smartphones und kostengünstiger Internetzugang in Indien Einzug hielten, konzipierte Raveendran zusammen mit seinem Team von ehemaligen Schülern eine App, die personalisierte Lerninhalte für Schüler aller Altersgruppen bot. Diese Innovation, kombiniert mit ambitioniertem Marketing, begeisterte Investoren weltweit und katapultierte Byju’s in eine ungeahnte Wachstumsspirale. Finanzielle Förderungen flossen in das Unternehmen, angeführt von Schwergewichten wie Sequoia Capital, Chan Zuckerberg Initiative und mehreren bedeutenden indischen Investoren. Mit jedem weiteren Investitionszyklus erhöhte sich die Bewertung des Unternehmens und ermöglichte eine rasante Expansion: neue Inhalte, stärkere Vertriebsteams und eine aggressive Akquisitionsstrategie, durch die Byju’s seine Reichweite in den USA, Europa und andernorts massiv ausbaute. Doch der Erfolg hatte seine Schattenseiten.
Der kommerzielle Druck, stetig neue Abonnenten zu gewinnen, führte offenbar zu fragwürdigen Vertriebsmethoden. Berichte über zu aggressive Verkaufspraktiken, die insbesondere einkommensschwache Familien unter Druck setzten, machten die Runde. Manche Eltern berichteten von Täuschungsversuchen und irreführenden Versprechen seitens der Verkaufsteams. Die Finanzierung von Abonnements über Kredite wurde dabei zu einem immer häufiger genutzten Mittel, um die hohen Gebühren der Plattform zu ermöglichen. Die Folgen daraus waren Zahlungsrückstände, hohe Kündigungsraten und eine undurchsichtige Abonnentenzahl.
Die COVID-19-Pandemie brachte zunächst einen Boom für Edtech. Byju’s sah sich als Retter vieler Schüler inmitten des Lockdowns, machte Inhalte kostenlos zugänglich und legte eine enorme Nutzersteigerung hin. Dennoch verbarg sich hinter dem Wachstum ein Geschäftsmodell, das finanziell nicht tragfähig war. Das Unternehmen verbuchte enorme Verluste, deren Ausmaß erst spät publik wurde. Einige Investoren wurden misstrauisch, andere investierten weiter in der Hoffnung auf die nächste Wachstumswelle.
Die Situation eskalierte mit der Aufnahme eines US-Dollar-Kredits von 1,2 Milliarden Dollar im Jahr 2021. Innerhalb kürzester Zeit kam es zum default, zur Zahlungsunfähigkeit. Die US-Gläubiger entdeckten ein erschreckendes Finanzgeflecht: 533 Millionen Dollar einer Kredittranche wurden angeblich an einen Hedgefonds namens Camshaft Capital Fund transferiert, von dem man zunächst dachte, dass er eine seriöse Investitionsfirma sei. Der Hedgefonds entpuppte sich jedoch als Fantasiegebilde mit Sitz in einem IHOP-Restaurant in Miami, geführt von einem jungen Mann ohne Erfahrung im Finanzbereich. Ein US-Bundesgericht wertete die Transaktion als mutmaßlichen Betrug und eröffnete ein Insolvenzverfahren.
Die Vorwürfe gegen Raveendran und andere Führungskräfte von Byju’s wiegelten diese nicht ab. Im Gegenteil: Sie wurden teilweise als zusätzliche Beschuldigte in Klagen aufgenommen, die sie der Veruntreuung und Verschleierung von Geldern bezichtigten. Drei der wichtigsten Investoren, darunter die Chan Zuckerberg Initiative, zogen sich aus dem Unternehmen zurück, was dem Firmenimage enorm schadete. Der indische National Company Law Tribunal eröffnete ebenfalls Insolvenzverfahren gegen Byju’s. Die mutmaßlichen Betrugsvorwürfe sind verbunden mit einer Reihe von massiven Entlassungen: Die Mitarbeiterzahl schrumpfte von etwa 60.
000 im Jahr 2022 auf nur noch 14.000 Anfang 2024. Dieses dramatische Downsizing spiegelte die finanzielle Schieflage und das verlorene Vertrauen wider. Intern betrachtet war Byju’s Expansion gekennzeichnet von einem starken Fokus auf Akquisition und Umsatzwachstum auf Kosten von Cashflow und Profitabilität. Fehlende Kostenkontrolle, überoptimistische Prognosen und unwirtschaftliche Investitionen wurden mehrfach kritisiert.
Ehemalige Führungspersönlichkeiten beschrieben einen Mangel an geschäftlicher Disziplin, der die Finanzlage immer prekärer machte. Die Enthüllungen rund um Sumeru Ventures, einen undurchsichtigen Investitionsfonds, der angeblich Mittel für Byju’s bereitgestellt, diese aber nie tatsächlich transferierte, fügten weitere Beweise zu einem Bild fragwürdiger Finanzpraktiken hinzu. Journalisten deckten auf, dass das Unternehmen wiederkehrend mit undurchsichtigen und teilweise fiktiven Geldquellen operierte, um die Bewertung hochzutreiben und die Illusion von Wachstum zu erzeugen. Trotz all dieser Rückschläge bleibt Raveendran optimistisch. Er sieht sich als Opfer einer Verschwörung und betont, dass das Unternehmen aufgrund zu schnellem Wachstum in Schwierigkeiten geraten sei.
Er will das Ruder zurückerlangen oder einen Neuanfang mit einer neuen Plattform wagen, die auf digitalen, virtuellen Lernstadien basiert und das ursprüngliche Konzept weiterführen soll. Die Byju’s Saga steht exemplarisch für ein größeres Problem in der Technologie- und Startup-Welt, in der das Ringen um rasantes Wachstum und Investorenkapital oftmals Geschäftsgrundlagen und Nachhaltigkeit überlagert. Die Geschichte hebt die Risiken einer Kultur hervor, in der Euphorie und Optimismus kritischere Kontrolle ersetzen können und in der Investoren oftmals blind auf Hypes aufsteigen. Gleichzeitig zeigt der Fall, wie wichtig Transparenz, gute Corporate Governance und ethische Geschäftsführung sind, um das Vertrauen von Kunden, Mitarbeitern und Geldgebern nicht zu gefährden. Byju’s steckte tief in einem komplexen Geflecht aus internationalem Recht, Kreditschulden, Akquisitionen und klagenden Gläubigern, das die Zukunft des Unternehmens ungewiss macht.