Schmerz begleitet die Menschheit seit Anbeginn der Zeit. Er kann flüchtig oder dauerhaft sein, mild oder quälend, physisch oder emotional. Schmerz ist ein komplexes Phänomen, das sich individuell äußert und schwer zu fassen ist. Die Entwicklung von Schmerzmitteln ist daher eine der größten Herausforderungen der Medizin, denn jeder Schmerz hat seine eigene Ursache und bedarf einer spezifischen Behandlung. Besonders in Zeiten der Opioidkrise in den USA und anderen Teilen der Welt ist die Suche nach einem neuen, effektiven und sicheren Schmerzmittel dringlicher denn je.
Hier tritt Suzetrigine, unter dem Markennamen Journavx bekannt, in den Fokus als ein hoffnungsvolles Medikament, das fundamentale Neuerungen im Umgang mit Schmerz einführt. Die Geschichte der Schmerzbehandlung ist lang und vielgestaltig. Schon im Altertum wurden unterschiedliche Mittel genutzt, von kurios anmutenden Rezepturen wie mit Mühlsteinen, Mandrake oder gar Molezähnen bis zu therapeutischen Blutanwendungen mit Blutegeln im 19. Jahrhundert. Im Laufe der Zeit wurden mit der Entdeckung von Aspirin und Paracetamol wichtige Meilensteine gesetzt.
Während Aspirin aus einer Variation der Salicylsäure entstand, wurde Paracetamol durch Zufall entdeckt, als Forscher eigentlich eine antiparasitäre Wirkung prüften. Diese Medikamente sind heute gängige Mittel zur Schmerzbehandlung, doch sie stoßen bei starken oder chronischen Schmerzen oft an ihre Grenzen. Die Opioidklasse, zu der Medikamente wie Percocet und Vicodin gehören, ist besonders wirksam bei akuten Schmerzen, wies aber erhebliche Nachteile auf, vor allem das hohe Potential zur Abhängigkeit und Überdosierung. In den letzten Jahrzehnten wurden Millionen von Menschen opioidabhängig, mit zahllosen Todesfällen durch Überdosierung zur Folge. Die Suche nach einer Alternative, die die Effektivität der Opioide erreicht, aber ohne deren Nebenwirkungen auskommt, war enorm.
Ein Durchbruch in der Schmerzforschung kam durch die Erkenntnisse aus genetischen Studien von Patienten mit ungewöhnlichen Schmerzerfahrungen. So konnte ein klinischer Genetiker in Yorkshire, Geoff Woods, Anfang der 2000er Jahre Menschen mit angeborener Schmerzunempfindlichkeit identifizieren, die trotz Verletzungen keine Schmerzen spürten, was allerdings fatale Folgen hatte – viele dieser Patienten starben jung durch unbeabsichtigte Verletzungen. Woods entdeckte, dass diese Menschen Mutation im SCN9A-Gen hatten, welches für die Produktion von Natriumkanälen namens NaV1.7 zuständig ist. Diese Kanäle sind entscheidend für die Weiterleitung von Schmerzsignalen in den peripheren Nerven.
Parallel dazu untersuchte der Neurologe Stephen Waxman Fälle von Patienten mit extremer Überempfindlichkeit, die das „Man-on-Fire“-Syndrom entwickeln, eine Erkrankung, bei der schon milde Wärme extreme Schmerzen verursacht. Sie hatten ebenfalls Mutationen im SCN9A-Gen, allerdings solche, die zu einer Überaktivität der Natriumkanäle führten. Die Forschung zeigte damit zwei Seiten derselben Medaille: Verlust-funktionale Mutationen führen zu Schmerzfreiheit, während Gewinn-funktionale Mutationen zu intensiven Schmerzen führen. Diese genetischen Erkenntnisse öffneten neue Möglichkeiten, Schmerz auf molekularer Ebene anzugehen. Anstatt opioide Rezeptoren im Gehirn zu blockieren, zielt Suzetrigine darauf ab, die Schmerzsignale direkt am Nervensoriginal auszuschalten, indem der spezifische Natriumkanal NaV1.
8 blockiert wird. NaV1.8 ist vor allem in peripheren Schmerzfasern aktiv und steuert dort die Auslösung von elektrischen Signalen, die schließlich im Gehirn als Schmerz wahrgenommen werden. Historisch gesehen sind Natriumkanäle chronisch interessante Zielstrukturen: Bereits 1939 wurde ein lokales Anästhetikum namens Lidocain entdeckt, das Schmerzen blockiert, indem es alle Natriumkanäle hemmt. Allerdings ist es bei systemischer Gabe toxisch, da es neben den Schmerzfasern auch die Natriumkanäle im Herzmuskel und Gehirn ausschaltet, was zu lebensbedrohlichen Nebenwirkungen führt.
Aus diesem Grund besteht die Herausforderung darin, einen Wirkstoff zu entwickeln, der hochselektiv und ausschließlich in den Schmerzfasern wirkt und den Körper sonst nicht beeinträchtigt. Die Entwicklung von Suzetrigine nahm über zwanzig Jahre in Anspruch und erforderte eine enorme Screening-Leistung von hunderttausenden Verbindungen, um eine Substanz mit der gewünschten hohen Selektivität für NaV1.8 zu finden. Unter der Leitung von Paul Negulescu bei Vertex Pharmaceuticals wurde schließlich eine wirksame und gut verträgliche Substanz entdeckt. Suzetrigine blockiert die Natriumkanäle selektiv und unterbricht die Schmerzweiterleitung bereits an der Wahrnehmungsstelle, wodurch die Schmerzen gelindert werden ohne die Risiken der Opioide.
In klinischen Studien wurde Suzetrigine an Patienten mit akutem postoperativem Schmerz getestet, beispielsweise nach Bauchdeckenstraffungen oder Hallux-valgus-Operationen. Die Studien zeigten, dass das Schmerzmittel genauso effektiv ist wie Vicodin, ein schwaches Opioid, und dabei anhaltend eine bessere Verträglichkeit aufweist. Die Nebenwirkungen von Suzetrigine waren vergleichsweise mild, und in einigen Fällen hatten Patienten sogar weniger Beschwerden als unter Placebo. Allerdings zeigten Studien zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen wie bei Ischias, dass Suzetrigine aktuell dort nicht signifikant besser als Placebo wirkt. Weitere Forschungsarbeiten sind jedoch im Gange.
Die FDA hat dem Medikament eine Breakthrough-Therapy-Status für die Behandlung neuropathischer Schmerzen bei diabetischer Neuropathie verliehen, was die Zuversicht auf eine Ausweitung der Indikationen steigert. Der Durchbruch von Suzetrigine zeigt beispielhaft, wie modernste Wissenschaft, basierend auf genetischer und molekularer Medizin, eine neue Ära in der Schmerzbehandlung einläutet. Das Medikament trifft den komplexen Mechanismus der Schmerzweiterleitung viel gezielter und vermeidet gleichzeitig Risiken wie Abhängigkeit, Sedierung oder Atemdepression. Experten betonen, dass Suzetrigine nicht der „Wunderdroge“ ist, die alle Schmerzprobleme auf einen Schlag löst. Vielmehr ist es ein wichtiger Schritt, um die Behandlung von Schmerzen sinnvoll zu verbessern und den Einsatz von Opioiden zu reduzieren.
Schmerzforscher sind sich einig, dass die Kombination aus zielgerichteten Medikamenten, verbesserten Diagnostikmethoden und individueller Therapie die Zukunft der Schmerzmedizin ausmacht. Die Entwicklung von Suzetrigine ist zugleich ein Lehrstück über die Geduld und den Aufwand, der nötig ist, bis eine Substanz von ersten Forschungsergebnissen bis zur Anwendung am Patienten gelangt. Es erforderte immense interdisziplinäre Kooperationen, von Genetikern über Pharmakologen bis hin zu Klinikerinnen und Kliniken weltweit. Darüber hinaus ist die gesellschaftliche Bedeutung nicht zu unterschätzen. Schmerz ist nicht nur physisch, sondern auch emotional und psychologisch stark verknüpft.
Die Grenzen zwischen körperlichem und seelischem Leiden sind fließend. Die Hoffnung, durch bessere Schmerzmittel Leid zu mindern, ist somit eine Frage von Lebensqualität und sozialer Gerechtigkeit. Heute, mit der Zulassung von Suzetrigine als erstem neuen nicht-opioidem Schmerzmittel seit über zwanzig Jahren, öffnet sich ein neues Kapitel. Für Millionen von Menschen, die an akuten Schmerzen leiden und für die Opioide bislang die einzige Option waren, besteht nun die Aussicht auf eine wirksame und sichere Alternative. Forschende bleiben weiterhin aktiv und setzen darauf, die Moleküle noch selektiver und wirksamer zu machen.
Kombinationsmedikamente, die mehrere Schmerzkanäle gleichzeitig regulieren, sowie personalisierte Therapieansätze könnten die nächsten Schritte sein. Auch die Einbeziehung weiterer Ionenkanäle, wie etwa spannungsabhängiger Kaliumkanäle, wird momentan intensiv untersucht. Letztlich zeigt der Erfolg von Suzetrigine eindrucksvoll, wie Fortschritte in der biologischen Grundlagenforschung in direkte klinische Innovationen münden können. Schmerz ist ein zentrales menschliches Erlebnis und eine Herausforderung für die Medizin zugleich. Mit neuen, gezielten Ansätzen in der Schmerztherapie wird es möglich, unnötiges Leiden zu verringern und die Lebensqualität zahlloser Patienten nachhaltig zu verbessern.
Die Reise ist noch lange nicht zu Ende, doch ein bedeutender Meilenstein wurde erreicht.