Viele Nutzer von X, ehemals bekannt als Twitter, haben das Gefühl, von der Plattform unsichtbar gemacht zu werden. „Shadowbanning“ ist ein Begriff, der weit verbreitet ist und sich darauf bezieht, dass Beiträge scheinbar nicht mehr gesehen werden, obwohl keine offizielle Sperrung vorliegt. Doch die Wahrheit ist meist deutlich weniger komplex: Die meisten Menschen verstehen schlichtweg nicht, wie die Algorithmen von X tatsächlich funktionieren. Stattdessen neigen sie dazu, die Algorithmen zu verteufeln oder die Plattform der Zensur zu beschuldigen, obwohl die Gründe für mangelnde Sichtbarkeit oft systembedingt sind. Ein genaues Verständnis dieser Mechanismen bietet jedoch eine klare Strategie, um auf X sichtbar und erfolgreich zu sein.
Im Kern basiert die Reichweite auf einem ausgeklügelten Algorithmus, der darauf abzielt, den Nutzern Inhalte zu zeigen, die für sie persönlich am interessantesten sind. Seit 2023 hat X wesentliche Teile seines Empfehlungsalgorithmus offengelegt, was die Basis für eine neue Ära des strategischen Wachstums gelegt hat. Dieses Offenlegen bietet Nutzern endlich die Möglichkeit, das System zu verstehen und effektiv zu nutzen anstelle es zu verteufeln. Einer der wichtigsten Aspekte ist der sogenannte „For You“-Feed, der bei jedem Login von etwa 1500 Beiträgen gespeist wird. Diese Beiträge stammen ungefähr zu gleichen Teilen aus dem eigenen Netzwerk, also den Accounts, denen ein Nutzer folgt, und aus außerhalb liegenden Netzwerken, die durch eine Analyse gemeinsamer Interessen ermittelt werden.
Die Inhalte aus dem eigenen Netzwerk werden durch den sogenannten Real Graph Score bestimmt. Dieser Score misst die direkte Interaktion zwischen Nutzern – Likes, Antworten, Reposts, Profilbesuche, Direktnachrichten und Klicks fließen hier ein. Ein wirklich wichtiger Punkt dabei ist, dass nicht etwa die reine Zahl der Follower ausschlaggebend ist, sondern wie intensiv und regelmäßig mit der eigenen Community kommuniziert wird. Wer also eine engagierte kleine Gruppe an Followern hat, kann durchaus eine größere Reichweite erzielen als Nutzer mit vielen passiven Followern. Die Inhalte außerhalb des eigenen Netzwerks werden ebenfalls sehr gezielt ausgespielt.
X ordnet Nutzer sogenannten Clustern zu – Gruppen, die gemeinsame Interessen oder Themenbereiche teilen. Beispiele sind Fans bestimmter Persönlichkeiten, Sportarten, politischer Meinungen oder aktueller Trends wie Künstliche Intelligenz oder Kryptowährungen. Indem der Algorithmus dabei Inhalte aus Clustern empfiehlt, die für den einzelnen Nutzer relevant sind, entsteht für ihn ein sehr personalisierter Feed. Dieser Mechanismus zeigt deutlich: Man braucht nicht unbedingt eine riesige Anhängerschaft, um eine breite Sichtbarkeit zu erlangen. Viel wichtiger ist es, Inhalte zu erstellen, die innerhalb bei beliebten und aktiven Clustern Resonanz finden.
Auf diese Weise können auch kleinere Accounts beträchtlich wachsen und neuartige Zielgruppen erschließen. Der nächste große Faktor ist die Ranking-Phase. Dabei wird ermittelt, welche der abgerufenen Beiträge tatsächlich in den Feed einsortiert und in welcher Reihenfolge sie gezeigt werden. Dieses Ranking basiert darauf, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Beitrag Interaktionen hervorruft. Allerdings werden alle Interaktionen nicht gleich gewichtet.
Während ein einfacher Like einen vergleichsweise geringen Wert hat, sind aktive Engagementformen wie Antworten oder längere Gespräche besonders wertvoll. Videos mit über zwei Minuten Laufzeit oder das Betrachten eines Profils nach einem Beitrag erhalten enorme Gewichtungen und treiben die Sichtbarkeit regelrecht an. In Zahlen ausgedrückt: Ein Like zählt vergleichsweise wenig, aber eine Konversation im Kommentarfeld oder das ausführliche Betrachten eines Videos wirkt wie Raketentreibstoff für die Reichweite eines Beitrags. Das bedeutet auch für Content-Creators, dass der Fokus klar auf Formaten liegen sollte, die solche intensiven Interaktionen fördern. Medienreiche Beiträge, die emotional polarisieren oder zum Diskutieren anregen, haben hier einen großen Vorteil.
Bevor ein Beitrag jedoch überhaupt auf der Startseite oder im Feed aufscheint, durchläuft er eine Filterung. X entfernt dabei Inhalte, die der Nutzer blockiert oder stummgeschaltet hat und solche, die der Nutzer bereits gesehen hat. Außerdem wird dafür gesorgt, dass nicht zu viele Beiträge eines einzelnen Nutzers gezeigt werden – die sogenannte Diversity-Filterung. Auch Tweets mit geringer sozialer Relevanz, also wenig Engagement und keine gemeinsame Verbindungen im Netzwerk, werden aussortiert. Das sorgt dafür, dass die Inhalte frisch, vielfältig und relevant bleiben.
Im finalen Schritt sorgt X dafür, dass die Reihenfolge der Beiträge so gemischt wird, dass neben organischen Inhalten auch bezahlte Werbung und Empfehlungen von anderen Creatorn eingeblendet werden. Somit ist die Sichtbarkeit eines Beitrags tatsächlich ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Phasen, statt einer einfachen Zensur oder einem „Verstecken“ einzelner Nutzer. Nutzer, die beschweren sich häufig über fehlende Sichtbarkeit, verstehen daher oft nicht, dass sie nicht „shadowbanned“ sind, sondern schlicht auf die Mechanismen des Algorithmus nicht optimal reagieren. Um dem entgegenzuwirken, ist es essenziell, gezielt Inhalte zu produzieren, die in den beliebten Clustern Anklang finden. Dabei sind trendige, polarisierende oder stark diskutierte Themen besonders wirksam.
Darüber hinaus ist es entscheidend, echte Interaktion mit Followern und engagierten Nutzern aufzubauen. Direktnachrichten, Kommentare, Reposts und Erwähnungen tragen dazu bei, den Real Graph Score zu erhöhen und so die Wahrscheinlichkeit zu steigern, dass Beiträge im Feed der eigenen Follower auftauchen. Gleichzeitig sollte die Qualität der Interaktionen hoch sein, denn X bewertet auch die Glaubwürdigkeit eines Accounts anhand eines unsichtbaren Scores namens TweepCred. TweepCred ist inspiriert vom PageRank-Algorithmus von Google und bewertet nicht nur die Anzahl, sondern vor allem die Qualität der Verbindungen und Interaktionen. Ein älteres Konto mit hoher Followerzahl und einem guten Verhältnis von Followern zu Gefolgten hat hier Vorteile.
Noch wichtiger sind aber Engagements von Nutzern mit ebenfalls hohem TweepCred – also eine gute Reputation innerhalb des Netzwerks. Ohnehin negative Faktoren wie Interaktion mit gesperrten, Bots oder trolligen Accounts beziehungsweise das Veröffentlichen sensibler Inhalte können den Score drastisch senken. Das beeinflusst dann unmittelbar, wie sichtbar die eigenen Beiträge sind und ob sie überhaupt empfohlen werden. Für Creator heißt das, neben der inhaltlichen Fokussierung auch das eigene Netzwerk sorgfältig zu pflegen und mit glaubwürdigen und aktiven Nutzern zu interagieren. Ein wertvolles Beispiel für eine solche Strategie liefert etwa The Vigilant Fox, der es durch gezieltes Hervorheben von Freunden und Influencern in seinem Netzwerk schafft, seine eigene Reichweite und Sichtbarkeit kontinuierlich zu steigern und gleichzeitig echte Beziehungen aufzubauen.
In der Praxis empfiehlt es sich, vermehrt längere Videos mit ausführlichen Beschreibungen zu teilen, Threads zu bilden, die reich an Medien sind, und häufig frische Posts zu pinnen. Auch ein verbessertes Verhältnis von Followern zu Gefolgten, das Vermeiden von Spam oder sensitivem Inhalt und der Erwerb eines Verifizierungsabzeichens können enorme Vorteile bringen. Der Aufbau eines authentischen, aktiven und engagierten Netzwerks kombiniert mit Inhalten, die auf beliebte Themencluster zugeschnitten sind, ist daher der Schlüssel zum Erfolg auf X. Wer dies beherzigt, wird feststellen, dass „shadowbanning“ ein Mythos ist – Sichtbarkeit hingegen eine Frage der Strategie und des Verständnisses. Kurzum, die Algorithmen von X sind mächtig, aber nicht unüberschaubar.
Sie belohnen jene, die lernen, wie man sie spielt, anstatt sich über vermeintliche Zensur zu beklagen. Wer seine Reichweite optimieren will, sollte zuerst seine herangehensweise überdenken: Authentizität, Relevanz und echtes Engagement sind heute die wahren Währungen im Kampf um Aufmerksamkeit auf X.