In Kalifornien sorgen aktuell Pläne von führenden Tech-Milliardären für großes Aufsehen. Eine Gruppe Investoren aus dem Silicon Valley, darunter bekannte Persönlichkeiten wie Marc Andreessen, Reid Hoffman und Laurene Powell Jobs, hat über Jahre hinweg mehr als 60.000 Hektar Land in Solano County, etwa 100 Kilometer nordöstlich von San Francisco, gekauft. Ihr Ziel ist es, dort eine komplett neue Stadt mit bis zu 400.000 Einwohnern zu errichten.
Doch während das Projekt an sich ambitioniert und visionär erscheint, stehen die Methoden der Investoren sowie die möglichen Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und die demokratische Mitbestimmung stark in der Kritik. Denn es zeichnet sich ab, dass sie den üblichen Weg über eine öffentliche Abstimmung umgehen könnten. Diese Entwicklung wirft grundlegende Fragen über Demokratie, Machtstrukturen und Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert auf. Ursprünglich wollte die Gruppe, die sich selbst „California Forever“ nennt, eine Änderung der Entwicklungsrichtlinien in Solano County über eine Abstimmung durchsetzen lassen.
Die Initiative wurde jedoch im November 2024 kurz vor der Wahl zurückgezogen, nachdem über 9 Millionen US-Dollar in eine Kampagne investiert worden waren. Der Rückzug war überraschend, da der Ausgang ungewiss war. Nach diesem Rückzug entwickelten sich neue Strategien, um das landwirtschaftliche und naturbelassene Gebiet in ihrem Besitz dennoch zu bebauen, ohne den Umweg über die Bürger und das Wahlverfahren nehmen zu müssen. Als Reaktion auf die Situation entdeckte der Stadtmanager von Suisun City, einer kleineren Stadt in der Nähe, eine Gelegenheit. Er schlug vor, dass Suisun City seine Grenzen ausdehnen und angrenzende Gebiete annektieren könnte.
Die angrenzenden Flächen, die vom California Forever-Projekt betroffen sind, bieten eine mögliche Erweiterung des Stadtgebiets. Dies wurde von der Stadtvertretung mit großer Mehrheit im Januar 2025 beschlossen. Trotz kritischer Stimmen und einer aufgeheizten Debatte sicherte der Bürgermeister zu, dass das Thema der Annexierung von California Forever vorerst keine Tagesordnung im Stadtrat sei. Doch der Kontakt zwischen Suisun City und California Forever nahm schnell zu, nachdem diese sich klar für eine Beteiligung zeigten. Kurz darauf kündigte auch Rio Vista, eine weitere Stadt in der Region, an, eine ähnliche Annexierung zu prüfen.
Die Stadträte und der Stadtmanager betonten ein defensives Vorgehen, um die eigene Stadt vor unbeabsichtigten Konsequenzen zu schützen. Die Sorge bestand darin, dass ohne eine gemeinsame Strategie der Einfluss von California Forever zunimmt, ohne dass die Städte selbst profitieren würden. Daher beschlossen beide Städte, ein Memorandum of Understanding zu unterzeichnen, um eine koordinierte Vorgehensweise sicherzustellen und einer Konkurrenzsituation vorzubeugen. Die Prozesse rund um Annexierungen gelten als komplex und dauern oft mehrere Jahre. Diese beinhalten mehrere Abstimmungen durch die jeweiligen Stadträte, Verhandlungen mit dem County über Steueraufteilungen sowie umfassende Planungen zur städtischen Infrastruktur, Dienstleistungen und Umweltschutzanforderungen.
Der Solano Local Agency Formation Commission (LAFCO) beaufsichtigt die Ausweitung von kommunalen Grenzen und stellt sicher, dass alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Auch Umweltprüfungen und Servicebewertungen sind obligatorisch. Trotz der langen Dauer wird befürchtet, dass durch den Rückhalt von California Forever und dessen hohen finanziellen Mitteln der Prozess beschleunigt oder gar verändert werden könnte. Beobachter weisen darauf hin, dass das Unternehmen zu kreativen und nicht immer konventionellen Wegen tendiert, um gesetzliche Hürden zu umgehen. Schon zuvor zeigten sie eine Tendenz, etablierte Prozesse zu umgehen oder zu beeinflussen, wie etwa durch eine erfolglose, aber kostspielige Kampagne und gerichtliche Auseinandersetzungen mit lokalen Landbesitzern, die sich weigerten, ihre Grundstücke zu verkaufen.
Dieses Vorgehen erzeugt eine Atmosphäre des Misstrauens und der Kritik an mangelnder Transparenz. Ein weiteres umstrittenes Thema ist die finanzielle Perspektive für die Region. Eine vom Landkreis in Auftrag gegebene Studie ergab, dass das ursprüngliche Projekt von California Forever zu erheblichen Nettoverlusten führen könnte – in Höhe von über 100 Millionen US-Dollar über die Jahre, selbst unter der Annahme, dass die gesamten Steuereinnahmen an den Landkreis gehen würden. Mit einer Aufteilung der Einnahmen auf mehrere Kommunen könnten die Verluste noch größer sein. Die Planer von California Forever halten diese Einschätzungen allerdings für veraltet und nicht repräsentativ für moderne Ansätze in der Stadtentwicklung und Servicebereitstellung.
Viele Kritiker verstehen die Strategie der Annexierung als einen Versuch, sich demokratischer Kontrolle zu entziehen. Die Vermeidung einer öffentlichen Abstimmung bedeutet, dass Bürgerinnen und Bürger keinen direkten Einfluss mehr auf eine derart grundsätzliche Entscheidung über die Entwicklung ihres Landkreises haben. Stattdessen würden die Entscheidungen in kleineren Gremien getroffen, die möglicherweise finanzielle und politische Verflechtungen mit den Investoren haben könnten. Vertreter von California Forever argumentieren hingegen, dass ein entsprechender Beteiligungsprozess auch ohne Wahl stattfinden könne und dass dieses Modell eine bessere, kontrollierbare und inklusive Planungsbasis erlaube. Der Konflikt geht über die rein kommunale Ebene hinaus und berührt Fragen der demokratischen Legitimation und der Stadtentwicklungskarriere.
Gerade in Zeiten von Wohnraumknappheit, steigenden Immobilienpreisen und Urbanisierung stellt sich die Frage, wie neue Stadtgebiete nachhaltig und bezahlbar geplant und entwickelt werden können, während gleichzeitig demokratische Teilhabe und Transparenz gewährleistet bleiben. Eine von privaten Investoren geförderte Stadtentwicklung, die sich traditionellen demokratischen Mitteln entzieht, könnte neue Präzedenzfälle setzen, die Auswirkungen auf viele andere Regionen haben könnten. Darüber hinaus weisen Umwelt- und Naturschutz-Organisationen sowie lokale Landwirte darauf hin, dass großflächige Bebauungspläne erhebliche ökologische Folgen haben könnten. Insbesondere in einer Zeit, in der Klimaschutz und nachhaltige Stadtentwicklung zentral sind, stellt sich die Frage, wie solche Megaurbanisierungsprojekte gestaltet werden können, ohne bestehende Ökosysteme und landwirtschaftliche Flächen zu zerstören. Die Haltung von California Forever, die regionalen Steuereinnahmen zu erhöhen und neue Industrien anzusiedeln, wird von manchen als ökologische Chance, von anderen als Bedrohung bewertet.
Auch die rechtlichen Auseinandersetzungen, mit denen sich California Forever konfrontiert sieht, spielen eine große Rolle. Die Klagen gegen örtliche Besitzer, die Grundstücke nicht verkaufen wollten und sich zu einer Preisverhandlung zusammengeschlossen hatten, führten teilweise zu Schadensersatzforderungen in Höhe von über 500 Millionen US-Dollar. Der damit verbundene Druck führte bei vielen Landbesitzern dazu, Grundstücke zu veräußern. Das Vorgehen wurde von mehreren Seiten als aggressiv und undemokratisch kritisiert und normalisiert Fragen über den Einfluss und die Macht von Großinvestoren in der Stadtentwicklung. Die öffentliche Resonanz und der Umgang der politischen Akteure mit dem Projekt sind ebenfalls ein Indikator für den gesellschaftlichen Diskurs.
In den Städten Suisun City und Rio Vista sowie im gesamten Solano County wird intensiv debattiert, wie mit der Expansionsplanung umzugehen ist. Während einige den wirtschaftlichen Aufschwung und zusätzliche Steuereinnahmen begrüßen, befürchten andere eine Verdrängung, einen Kontrollverlust und soziale Ungleichheit. Die unterschiedlichen Interessen machen die Situation komplex und schwer vorhersehbar. Nicht zuletzt steht die Rolle der Medien und der öffentlichen Meinungsbildung im Fokus. Lange Zeit waren die Identitäten der Investoren und die Ziele des Projekts zum Teil verborgen geblieben.
Erst 2023 brachte eine investigative Recherche der New York Times Licht ins Dunkel und setzte die Akteure unter Druck, transparenter zu agieren. Die Diskussion um California Forever ist somit auch ein Beispiel für die Bedeutung von Journalismus und Bürgerbeteiligung in komplexen Stadtentwicklungsprozessen. Zusammengefasst zeigt sich, dass das Vorhaben von Tech-Milliardären, eine neue Stadt in Kalifornien zu errichten, eine Vielzahl von Fragen aufwirft, die weit über das reine Bauvorhaben hinausgehen. Die möglichen Umgehungen demokratischer Verfahren, die wirtschaftlichen Risiken für die Region, ökologische Bedenken sowie gesellschaftliche Spannungen spiegeln die Herausforderungen moderner Urbanisierung wider. Ob und wie sich die Pläne umsetzen lassen, wird auch eine Frage sein, wie Politik, Bevölkerung und Investoren miteinander umgehen und wie offen und transparent zukünftige Stadtprojekte geplant werden können.
Dabei dürfen demokratische Standards und der Schutz lokaler Gemeinschaften nicht außer Acht gelassen werden, denn die Errichtung einer Stadt ist mehr als ein wirtschaftliches Projekt – sie betrifft die Lebensqualität von Hunderttausenden Menschen und die Zukunft einer ganzen Region.