Die Auswirkungen sozialer Medien auf die psychische Gesundheit junger Menschen sind zunehmend Gegenstand intensiver Debatten und wissenschaftlicher Untersuchungen. Insbesondere Essstörungen scheinen in direktem Zusammenhang mit der Nutzung von Plattformen wie Instagram und TikTok zu stehen. Ein berührender Fall, der im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, ist der von Caroline Koziol. Die heutige Studentin gab an, dass die Algorithmen dieser sozialen Netzwerke eine maßgebliche Rolle bei ihrer Anorexie spielten. Ihre Geschichte steht exemplarisch für die tiefgreifenden Probleme, die durch gezielte, algorithmisch gesteuerte Inhalte entstehen können.
Caroline war einst eine talentierte Schwimmerin, die den Connecticut State Championship in der 100-Yard-Schmetterlingsdisziplin bewältigte. Doch im Verlauf ihrer Schulzeit wandten sich die Dinge dramatisch zu ihrem Nachteil. Von der sportlichen Stärke hin zu einem Zustand, bei dem sie kaum mehr die Treppe hinaufsteigen konnte, führte ihre Abhängigkeit von sozialen Medien zu einer gefährlichen Spirale aus Selbsthunger und extremen Essensrestriktionen. Das Wichtige hierbei ist, dass ihr Weg zur Krankheit nicht durch den bewussten Konsum schädlicher Inhalte begann, sondern durch harmlose Suchanfragen nach Workouts und gesunden Rezepten während der Pandemiezeit. Innerhalb von Wochen jedoch änderte sich der Algorithmus, der ihr Inhalte präsentierte, in besorgniserregendem Maße.
Statt abwechslungsreicher Fitness- und Ernährungsinhalte füllten zunehmend extrem dünne Influencerinnen, restriktive Diät-Tipps und ungesunde Körperideale ihren Feed. Die amerikanische Justiz ist inzwischen intensiver an Fällen wie diesem beteiligt. Eine Sammelklage (Multidistrict Litigation) gegen die Social-Media-Unternehmen Meta und TikTok, an der über 1.800 Kläger beteiligt sind, bringt die Praxis der Unternehmen vor Gericht. Die Kläger wenden sich nicht gegen einzelne Inhalte, sondern gegen das zugrundeliegende Produktdesign der Plattformen selbst.
Sie behaupten, dass die algorithmischen Empfehlungssysteme darauf ausgelegt sind, die Nutzer möglichst lange auf den Apps zu halten – oftmals auf Kosten der mentalen Gesundheit, insbesondere bei Minderjährigen und jungen Erwachsenen. Die Mechanismen der Firmen werden als „süchtig machend und gefährlich“ charakterisiert, weil sie Ausschläge an Essstörungen begünstigen und eine Rückkehr zur Gesundheit erschweren. Die Nutzung sozialer Medien ist bei Jugendlichen in den USA weit verbreitet. Durchschnittlich verbringen Jugendliche fast fünf Stunden täglich auf diesen Plattformen, wobei eine tägliche Nutzung von mehr als drei Stunden das Risiko für Depressionen und Angststörungen verdoppelt. Studien zeigen, dass klinische Depressionen bei jungen Menschen zwischen 2017 und 2021 um 60 Prozent angestiegen sind.
Experten führen diese Entwicklung zum Teil auf die verstärkte Nutzung von sozialen Medien zurück. Besonders prägnant ist, dass etwa 41 Prozent der Jugendlichen mit hoher Social-Media-Nutzung ihre mentale Gesundheit als schlecht oder sehr schlecht bewerten. Kliniker und Wissenschaftler betonen die spezifischen Gefahren durch Algorithmen, die Nutzerprofile immer besser analysieren und ihnen personalisierte Inhalte anbieten. Für verletzliche junge Menschen, die mit Essstörungen kämpfen oder sich in einer sensiblen Entwicklungsphase befinden, führen die algorithmisch gesteuerten Empfehlungen häufig zu mehr selbstschädigendem Verhalten. Caroline Koziol beschreibt diese Entwicklung als einen „Lawinen-Effekt“: eine scheinbar harmlose Suche verschiebt sich innerhalb von kürzester Zeit hin zu einem durchgehend negativen, gefährlichen Content-Stream.
Die Verantwortung der Unternehmen wird von zahlreichen Seiten kritisch hinterfragt. Interne Dokumente, die beispielsweise im Wall Street Journal veröffentlicht wurden, zeigen, dass Meta (vormals Facebook) sich der möglichen psychischen Schäden bewusst war, die Instagram insbesondere bei jungen Mädchen verursacht. So wurde erkannt, dass Instagram bei einem Drittel der jugendlichen Nutzerinnen Probleme mit dem Körperbild verschlimmert. Trotz öffentlicher Statements, die teils andere Zahlen nennen, bleibt für Kritiker die Frage ökonomischer Prioritäten der Firmen im Vordergrund: Wachstum und Nutzerbindung stehen im Zentrum – und diese werden durch optimierte Algorithmen garantiert, welche gezielt auf Leistung und Suchverhalten reagieren. Gesetzgeberische Initiativen, um die Branche stärker zu regulieren und den Schutz von Kindern und Jugendlichen auszubauen, haben sich in den USA bisher nur schleppend durchgesetzt.
Die anstehenden Gerichtsprozesse im Rahmen der Sammelklage könnten ein bedeutender Wendepunkt werden. Anwälte vertreten die Ansicht, dass Schadenersatzansprüche und gerichtliche Anordnungen, etwa zur Entfernung süchtig machender Funktionen oder zur Einführung von Warnhinweisen, den Unternehmen neue Rahmenbedingungen auferlegen könnten. Eine solche juristische Herangehensweise ist jedoch komplex, nicht zuletzt weil soziale Medien und die in ihnen enthaltenen Inhalte durch die Meinungsfreiheit und Paragraph 230 des Communications Decency Act in den USA geschützt sind. Für betroffene Familien, wie jene von Caroline oder der verstorbenen Gabby Cusato, sind die persönlichen Verluste greifbar und zutiefst tragisch. Diese Jugendlichen waren oftmals zu jung, um die Risiken der Social-Media-Welt vollständig zu verstehen – und ihre Eltern wussten oft nicht einmal, welche Plattformen sie nutzten.
Die vielfach unzureichende Altersverifikation spielt hier eine bedeutende Rolle. Zudem zeigt sich, dass sogar genehmigte Therapieaccounts für Essstörungen auf Instagram ebenfalls andere verstörende Inhalte außerhalb der Kontrolle der Nutzerin nach sich ziehen können, da die Algorithmen auf Nutzerinteraktionen reagieren und diese Inhalte verstärken. Therapeuten, wie Dr. Molly Perlman vom Monte Nido-Behandlungszentrum, verdeutlichen, dass Essstörungen oft genetisch beeinflusst sind, ihre Auslösung aber maßgeblich durch soziale und digitale Umwelteinflüsse erfolgt. Foto- und videoorientierte Social-Media-Plattformen seien perfekte Auslöser – und in der Therapie eine dauerhafte Herausforderung.
Die Algorithmen verstärken ungewollt die Sucht, da sie die persönliche Verwundbarkeit kennen und entsprechend nutzen. Nicht nur bei Betroffenen wie Caroline, sondern auch in Bildungseinrichtungen wird die Problematik immer sichtbarer. Lehrerinnen und Lehrer beobachten die steigende Anzahl depressiver und psychisch belasteter Schüler. Die steigende Krankheitshäufigkeit korreliert deutlich mit der täglichen Bildschirmzeit und der Art der konsumierten Inhalte. Die sozialen Medien-Unternehmen versuchen mit eigenen Schutzmaßnahmen gegenzusteuern.
Meta hat beispielsweise sogenannte „Teen Accounts“ eingeführt, die standardmäßig auf privat gesetzt sind, Mitteilungen zwischen Nutzern ohne gegenseitige Kontakte verhindern und Benachrichtigungen nachts deaktivieren. Ebenso arbeitet das Unternehmen an KI-gestützten Klassifizierern zur Erkennung gefährdender Inhalte. TikTok weist darauf hin, dass ungesunde Inhalte zur Gewichtsabnahme eingeschränkt und unterstützende Ressourcen bereitgestellt werden. Individuelle Tools ermöglichen Nutzerinnen und Nutzern, problematische Keywords oder Accounts zu blockieren. Trotz dieser Maßnahmen sehen viele Kritikpunkte diese Schutzversuche als unzureichend an, da die Algorithmen weiterhin Wachstum vor Schutz priorisieren.
Caroline Koziol musste ihre hohen Ziele aufgeben – kein College-Schwimmen mehr und keine Teilnahme am längst ersehnten Studentenleben. Ihre Geschichte symbolisiert die Schattenseiten des perfekten digitalen Zeitalters, in dem junge Menschen oftmals zwischen Selbstfindung und Digitalzwang gefangen sind. Zusammenfassend zeigt das Schicksal von Caroline und vielen anderen Betroffenen die dringende Notwendigkeit für eine intensivere gesellschaftliche Debatte über die Rolle von Algorithmen, Produktdesign und der Verantwortung großer Sozialer-Netzwerk-Anbieter. Nur durch gesetzliche Regulierungen, verantwortungsbewusstes Unternehmenshandeln und umfassende Aufklärung können die psychischen Gesundheit und das Wohlbefinden junger Menschen in einer zunehmend digitalen Welt besser geschützt werden. Für alle, die selbst betroffen sind oder jemanden kennen, der Hilfe benötigt, stehen zahlreiche Hilfsangebote bereit.
In Deutschland beispielsweise bietet die Nationale Essstörungen-Hotline professionelle Unterstützung. Auch kostenlose Beratungsstellen und psychotherapeutische Fachkräfte helfen, den Weg aus der Krankheit zu finden und Medienkompetenz zu stärken. Eine informierte und geschützte Nutzung digitaler Medien ist ein wichtiger Schritt in dieser Richtung.