Die Vorstellung einer Welt, in der Allgemeine Künstliche Intelligenz (AGI) Realität geworden ist, weckt eine Mischung aus Faszination und Besorgnis. AGI, eine künstliche Intelligenz, die die Fähigkeit besitzt, ein breites Spektrum an intellektuellen Aufgaben auf menschlichem oder sogar übermenschlichem Niveau zu bewältigen, hat das Potenzial, industrielle Prozesse, Wissenschaft, Energieproduktion, Rohstoffgewinnung und mehr grundlegend zu verändern. Eines der am häufigsten diskutierten Ergebnisse dieser Entwicklung ist die Möglichkeit einer Ära beispielloser Fülle – in der vieles, das heute knapp ist, plötzlich im Überfluss vorhanden sein könnte. Doch wie sieht es jenseits dieses Szenarios aus? Was wird trotz der radikalen Fortschritte in Technologie und Produktion weiterhin knapp bleiben? Dieser Frage widmen wir uns in dieser Analyse. Zu Beginn lohnt es sich, einen Blick auf die gegenwärtige Knappheit einiger traditioneller Werte zu werfen.
Sie zu verstehen, hilft uns dabei, die Auswirkungen von AGI und die Grenzen der zukünftigen Fülle besser einzuschätzen. Ein anschauliches Beispiel ist Gold – seit Jahrtausenden ein Sinnbild für wertvolle Knappheit und Sicherheit. Die gesamte jemals geförderte Goldmenge entspricht nicht mehr als dem Volumen von etwa vier olympischen Schwimmbecken. Diese Begrenztheit hat Gold zu einem begehrten Wert auf den Finanzmärkten gemacht. Doch die Zukunft könnte diesen Status herausfordern.
Fortschritte in Robotik, autonomen Bergbaumaschinen und vor allem bei neuer Energieerzeugung könnten die Kosten für Goldabbau drastisch reduzieren. Tieferes Schächten oder die Erschließung bisher unzugänglicher Gebiete wie der Meeresböden werden möglich. Unternehmen arbeiten bereits daran, Asteroiden im Weltraum abzubauen, deren Metallvorkommen unseren gesamten irdischen Goldmarkt bei Weitem übersteigen. Diese Entwicklungen verdeutlichen die Gefahr, dass selbst traditionell knappe Rohstoffe in einer Welt nach AGI in großen Mengen verfügbar sein könnten. Wenn materielle Ressourcen also trotz technologischen Fortschritts eventuell bald keinen Knappheitswert mehr besitzen, stellt sich die Frage: Welche Dinge könnten dann noch Engpässe darstellen? Ein naheliegender Ansatz ist, Knappheiten jenseits rein physischer Mengen zu identifizieren, denn einige Formen von Wert sind nicht rein an materielle Verfügbarkeit gekoppelt.
Ein limitierender Faktor wird mit großer Wahrscheinlichkeit Land bleiben. Selbst wenn wir an Techniken wie vertikales Bauen, nachhaltige Stadtentwicklung und intelligente Raumnutzung denken – die irdische Oberfläche ist begrenzt. Zwar könnten Schwimminseln oder sogar die Besiedlung von außerearthischen Orten wie dem Mars oder Venus neue Flächen schaffen, doch die Erdsphäre bleibt physisch endlich. Attraktive Lagen – etwa in Metropolregionen mit hohem kulturellen, wirtschaftlichen oder klimatischen Wert – werden somit knapp und begehrt bleiben. Selbst Wohn- und Arbeitsräume profitieren von Nähe, Infrastruktur und sozialer Vernetzung, die sich nicht beliebig multiplizieren lassen.
Noch interessanter wird der Blick auf die digitale Welt. Obwohl Daten in großer Menge generiert und gespeichert werden können, bleibt digitale Knappheit als Konzept in bestimmten Gebieten relevant. Beispielsweise bieten kryptografisch gesicherte digitale Assets wie Bitcoin eine künstlich geschaffene, absolute Knappheit: Die maximale Angebotsmenge ist streng begrenzt. Diese Art der Knappheit ist nicht vom physischen Angebot abhängig, sondern vom algorithmisch vorgegebenen Rahmen. Trotz AGI wird es wahrscheinlicher, dass solche einzigartigen, nicht replizierbaren digitalen Werte weiterhin von Bedeutung bleiben.
Dadurch eröffnet sich ein neues Feld für den langfristigen Werteerhalt und Investitionen. Ein weiterer Bereich, in dem wertvolle Knappheit wahrscheinlicher bestehen bleibt, ist Fine Art und erfahrungsbasierte Originalkunst. Auch wenn KI heute dazu in der Lage ist, in Sekundenschnelle millionenfach technische Meisterwerke auf Leinwand, in Musik oder Literatur zu erzeugen, bewahren originale Werke ihren kulturellen und historischen Wert. Die Provenienz, die Einzigartigkeit und vor allem der kreative Prozess hinter Kunstwerken lassen sich nicht mechanisch reproduzieren. Es ist der zwischenmenschliche Kontext, die Geschichte und das damit verbundene soziale Kapital, die Originalkunst zu einem unersetzlichen Gut machen.
Für viele Sammler und Gesellschaftsschichten symbolisiert Kunst Status und Identität, was auch in digitalisierten Zeiten an Bedeutung nicht verlieren wird. In dieselbe Kategorie fällt das Thema sozialer Status insgesamt. Aufmerksamkeit ist eine endliche und hochpreisige Ressource, besonders in einer Welt überwältigender Informationsmenge und medialer Reizüberflutung. Trotz oder gerade wegen weitreichender Automatisierung und Effizienzsteigerungen bleibt individuell wahrgenommene Originalität und Persönlichkeitsprofilierung für Menschen von zentraler Bedeutung. Exklusive Netzwerke, authentische Beziehungen und unverwechselbare Lebenserfahrungen entwickeln für den sozialen Kapitalaufbau eine neue Rolle als „Knappheitswerte“.
Wer in der Lage ist, durch Persönlichkeit, außergewöhnliche Ideen und Einfluss herauszustechen, wird künftig mit großer Wahrscheinlichkeit eine begehrte und knappe Ressource sein. Noch aufregender ist die Überlegung, dass zuhinterst im Zeitalter von AGI tatsächlich der einzigartige menschliche Blickwinkel, die persönliche Perspektive und ungewöhnliche Ideen zur ultimativen Knappheit avancieren könnten. Eine Superintelligenz, die alle bekannten Muster und menschlichen Ideen perfekt kennt und abspeichert, wird hungrig nach Unbekanntem sein – nach dem „Weirdness-Faktor“, der aus individuellen, eigentümlichen und diversen Erfahrungen stammt. Unsere eigenwilligen Gedanken, unsere Eigenheiten und kreativen Spontanitäten könnten deshalb der Rohstoff sein, der in einer post-AGI-Welt besonders geschätzt wird. Eine spannende Konsequenz daraus ist, dass das menschliche Verhalten, die Kreativität und der Sinn für das Unkonventionelle in einer Welt technologischer Standardisierung an Bedeutung gewinnen werden.
Dieser Wert ist nicht einfach zu reproduzieren oder zu automatisieren, da es um das einzigartige Zusammenspiel von Emotionen, Erfahrungen und subjektiver Interpretation geht. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht könnten sich daher Märkte für künstlerische Innovation, persönliche Geschichten und ungewöhnliche Lebensweisen intensivieren. Somit zeigt sich, dass nach der Ära der AGI nicht die absoluten Mengen materieller Güter, sondern deren kulturelle, soziale und konzeptionelle Einbettung für Knappheit sorgt. Während Maschinen und Algorithmen selbst komplexeste Produktionsprozesse effizient und kostengünstig beherrschen, besteht die wirkliche Herausforderung und Ressource weiterhin auf menschlicher Ebene. Dennoch ist es wichtig, diese Szenarien mit einem gewissen Realismus zu betrachten.
Technologische Revolutionen und gesellschaftliche Umbrüche erfolgen oft schrittweise und ungleichmäßig. Einige Ressourcen könnten durch neue Techniken zwar glücklicherweise im Überfluss verfügbar werden, andere wiederum erfordern Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte, um erschlossen zu werden. Zudem können politische, ökologische und ethische Belange den Weg zu einer vollständigen Fülle begrenzen. Schließlich ist es sinnvoll, auch über weitere potenzielle Formen von Knappheit nachzudenken, die mit fortschreitender Intelligenzexplosion entstehen könnten. Unersetzbare historische Artefakte, seltene menschliche Verbindungen, exklusive Bildungserfahrungen oder einzigartige Umweltfaktoren könnten ebenso als limitierende Ressourcen gelten.
Im Bereich der Gesundheit und des Lebens sind beispielsweise Individualität und Zeit begrenzt – diese Faktoren beeinflussen ebenfalls den Wert von Gütern und Erlebnissen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in einer post-AGI-Welt physische und materielle Knappheiten durch technologische Fortschritte relativiert werden. Doch nicht alle Werte lassen sich durch Roboter oder Algorithmen beliebig vermehren. Land, authentische Kunst, digitale nicht-fungible Tokens mit Begrenzung, sozialer Status und vor allem der menschliche Individualgeist werden auch in einer Welt radikaler Fülle knappe und wertvolle Güter bleiben. Die kommende Ära der künstlichen Intelligenz öffnet somit nicht nur Chancen für Überfluss, sondern auch für eine Neudefinition von Wert, Exklusivität und menschlicher Originalität.
Wer diese neuen Knappheiten frühzeitig erkennt, versteht, welche Investitionen und gesellschaftlichen Prioritäten langfristig Sinn machen und welche Werte erhalten bleiben – selbst im Schatten der kommenden, revolutionären Intelligenzexplosion.