Im Sommer 2005 stand Steve Jobs, damals CEO von Apple, vor einer der größten Herausforderungen seines öffentlichen Lebens: Er sollte die Abschlussrede für die Stanford University halten. Für jemanden, der bekannt war für seinen Perfektionismus und seine strenge Kontrolle über fast jeden Aspekt seines Lebens, war diese Aufgabe alles andere als einfach. Jobs empfand Reden vor großem Publikum als unangenehm und schrieb seinerseits, dass er „einfach nicht gut darin sei“. Doch was daraus entstand, wurde zu einer der bedeutendsten und meistgesehenen Abschlussreden weltweit. Vor 20 Jahren hatte Jobs mit vielen Zweifeln zu kämpfen, bevor er eine Rede verfasste, die seither inspirierend und richtungsweisend für zahllose Menschen ist.
In einer Zeit, in der soziale Medien wie YouTube ihre Anfangsphase erlebten und klassische Medien nicht sofort auf seine Rede aufmerksam wurden, fand die Botschaft von Jobs langsam ihren Weg zu den Menschen und entwickelte eine enorme Strahlkraft. Die Vorbereitung und das Schreiben der Rede verliefen nicht ohne Schwierigkeiten. Steve Jobs, der für seine Auftritte auf den großen Bühnen der Produktpräsentationen von Apple bekannt war, befand sich in einer ungewohnten Rolle. Er war unsicher, wie er seine Gedanken und Erlebnisse in einem persönlichen, reflektierten Rahmen vermitteln sollte. Zunächst wandte er sich an verschiedene Freunde und Bekannte, darunter den Autor und Drehbuchautor Aaron Sorkin, der allerdings keine hilfreichen Rückmeldungen lieferte.
Später bat er Michael Hawley, einen alten Freund und talentierten Technologen vom MIT Media Lab, um Unterstützung. Hawley wurde zu einem wichtigen Mentor bei der Redeentwicklung – auch wenn seine Beteiligung lange Zeit nicht offengelegt wurde. Jobs’ Rede bestand aus drei persönlichen Geschichten, die zentrale Lebenserfahrungen thematisierten: seine Entscheidung, das College abzubrechen, seine Entlassung bei Apple und wie das Scheitern neue Chancen eröffnen kann, sowie sein Kampf gegen den Krebs, der ihn mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontierte. Gerade diese Offenheit und Verletzlichkeit machten die Rede besonders und authentisch. Für jemanden, der sonst sehr zurückhaltend mit intimen Details war, markierte dies einen ungewöhnlichen Akt der Selbstoffenbarung.
Ein wesentlicher Bestandteil der Rede ist der Schlusssatz „Stay hungry, stay foolish“, entnommen der Rückseite des Finalhefts des Whole Earth Catalogs – eines Idealsymbols der Gegenkultur, das Jobs persönlich geprägt hatte. Dieser Aufruf zum lebenslangen Forschen, Hinterfragen und mutigen Vorangehen passte perfekt zum Ton der ganzen Ansprache und wurde zu einem Mantra, das sich tief in das Bewusstsein der Zuhörer und darüber hinaus einprägte. Die Aufführung der Rede selbst war geprägt von menschlicher Unsicherheit. Jobs las den Text größtenteils ab, anders als bei seinen sonst so souveränen Bühnendarbietungen, was ihm jedoch eine gewisse Verletzlichkeit verlieh, die beim Publikum ankam. Die äußeren Umstände – ein heißer Tag, eine ausgelassene und teils abgelenkte Menge und die ungewohnte Umgebung in einer eher akademischen Atmosphäre – machten es nicht leichter.
Dennoch gelang es Jobs, die Zuhörer nach und nach in den Bann seiner Worte zu ziehen. Viele von ihnen standen am Ende der Rede auf und würdigten den Moment trotz der ungewohnten Situation. Was diese Rede so besonders machte, ist ihr nachhaltiger Einfluss. Bereits bei ihrer Veröffentlichung fand sie viele Zuhörer, doch mit den Jahren und vor allem nach dem Tod Jobs’ im Jahr 2011 gewann sie noch größere Bedeutung. Die Rede ist nicht nur Ausdruck seiner Lebensphilosophie, sondern auch ein Vermächtnis, das immer wieder von Politikern, Unternehmern, Künstlern und Sportlern zitiert wird.
So setzte beispielsweise die Basketballlegende LeBron James die Rede als Motivationsquelle für sein Team bei den NBA-Finals ein. Eine weitere bemerkenswerte Facette ist, wie wenig Jobs selbst jemals über die Rede sprach. Trotz des enormen Erfolgs blieb sie für ihn eine Herausforderung – und vielleicht auch eine Last. In Gesprächen zeigte er sich ironisch und unzufrieden mit dem Aufwand, den die Vorbereitung bedeutete. Trotzdem hat er damit ein Werk geschaffen, dessen Wirkung weit über seine Lebenszeit hinausreicht.
Das 20-jährige Jubiläum der Rede wird heute von der Steve Jobs Archive gewürdigt, einer von seiner Frau Laurene Powell Jobs gegründeten Organisation. Sie veröffentlichen jetzt eine remasterte Version des Videos, Interviews mit Randbeteiligten der Rede und bemerkenswerte Erinnerungsstücke wie die ursprüngliche Einschreibungsbestätigung Jobs’ für das Reed College und eine sogenannte „Stanford Commencement Bingo“-Karte mit Begriffen aus der Rede. Die Geschichte hinter der Entstehung dieser Rede lehrt uns nicht nur vieles über Steve Jobs als Menschen, sondern auch darüber, wie bedeutende und bewegende Botschaften entstehen können – oft fern von Brillanz im engeren Sinne, sondern durch Authentizität, Ehrlichkeit und die Verbindung zu existenziellen Themen. Heute, zwei Jahrzehnte später, hat Jobs' Abschlussrede nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Die Verbindung von persönlichen Erfahrungen mit universellen Lebensweisheiten ergibt eine zeitlose Botschaft, die weiterhin junge Menschen ebenso wie gestandene Persönlichkeiten inspiriert.