Die britische Zentralregierung steht an einem Wendepunkt ihrer digitalen Transformation. Trotz eines jährlichen IT-Budgets von mindestens 14 Milliarden Pfund, das in Technologie und digitale Dienstleistungen investiert wird, zeigt sich überraschend, dass nur eine kleine Gruppe von 15 spezialisierten Einkäufern für das Management dieser enormen Ausgaben verantwortlich ist. Diese Diskrepanz wirft weitreichende Fragen auf – sowohl hinsichtlich der Effizienz von Beschaffungsprozessen als auch bezüglich des zukünftigen Erfolgs von Digitalisierungsinitiativen in der öffentlichen Verwaltung. Die Notwendigkeit einer nachhaltigen und effektiven Digitalisierung im öffentlichen Sektor ist unbestritten. Großbritannien hat mit dem „Blueprint for a Modern Digital Government“ einen ehrgeizigen Fahrplan vorgestellt, der die Digitalisierung der Verwaltung stark vorantreiben will.
Ziel ist es, Abläufe zu optimieren, die Servicequalität zu verbessern und dabei Kosten zu senken. Dabei ist der effiziente Umgang mit IT-Lieferanten ein entscheidender Erfolgsfaktor. Denn während technologische Innovationen wie Künstliche Intelligenz und Cloud-Dienste die Zukunft prägen, braucht es ausreichend Know-how und eine ausgeklügelte Strategie, um mit den dominierenden „Big Tech“-Anbietern angemessen zu verhandeln und Verträge zu gestalten. Der Bericht des Public Accounts Committee (PAC), eines Parlamentsausschusses zur Ausgabenüberwachung, bringt dabei die Schwachstellen an den Tag. Obwohl rund 6.
000 Beschäftigte mit gewerblichen Kompetenzen in Regierungsbehörden tätig sind, konzentriert sich das spezifische Fachwissen für die Verwaltung von Technologievertragsbeziehungen auf eine extrem kleine Expertengruppe von lediglich 15 Personen. Dieses Missverhältnis bremst nicht nur die Verhandlungsmacht der Regierung, sondern erschwert auch die Umsetzung moderner Digitalstrategien. Der rasche technologische Wandel und die Ablösung veralteter Systeme erfordern deutlich mehr Kapazitäten und eine verbesserte organisatorische Abstimmung. Ein weiterer Aspekt, der im Bericht hervorgehoben wird, ist die unklare Verteilung der Zuständigkeiten zwischen verschiedenen Behörden und Funktionen. Die Government Commercial Function (GCF), die für die öffentliche Beschaffungspolitik verantwortliche Einheit, und die Government Digital Service (GDS), welche die digitale und datenbezogene Strategie umsetzt, arbeiten bislang weitgehend getrennt voneinander.
Die neu eingerichtete Digital Commercial Centre of Excellence soll als Bindeglied dienen und durch gebündeltes Expertenwissen Reformen fördern sowie kleinere britische Unternehmen unterstützen. Doch die aktuell noch unzureichende Abstimmung und den Befugnismangel dieser Einheit kritisiert der PAC scharf. Die geringe Anzahl an hoch qualifizierten Einkaufsexperten für digitale Technologien führt auch zu einem Mangel an standardisierten Prozessen und zur Fragmentierung bei der Auftragsvergabe. Zwar existiert eine Reihe individueller Teams, die sich um Großaufträge mit führenden Anbietern kümmern, doch deren Einsätze sind inkonsistent und ohne einheitliche Strategie. Diese Situation führt dazu, dass günstigere, flexiblere und innovationsfreudigere Wettbewerber wie Start-ups oder mittelständische Unternehmen aus dem IT-Bereich seltener zum Zuge kommen.
Dies ist problematisch, da gerade diese Firmen für die technologische Weiterentwicklung und wirtschaftliche Belebung essenziell sein könnten. Ein Beispiel für die Herausforderungen stellt der milliardenschwere Vertrag mit Amazon Web Services (AWS) dar. 2023 erhielt der Anbieter einen neuen Vertrag im Wert von 450 Millionen Pfund für Cloud-Dienstleistungen, das sind mehr als das Dreifache eines vorherigen Deals von 120 Millionen Pfund aus dem Jahr 2020. Regierungsexperten geben offen zu, dass die mangelnde Einigung zwischen einzelnen Ministerien über gemeinsame Anforderungen die Verhandlungsposition schwächt. Diese fragmentierte Struktur erschwert den effizienten Einsatz von öffentlichem Geld und begünstigt die sogenannte Vendor Lock-In-Situation, bei der die Regierung aufgrund langfristiger Bindungen und Abhängigkeiten nur eingeschränkt neue Anbieter oder Technologien wählen kann.
Die Vielfalt und Komplexität der IT-Beschaffung in der britischen Regierung werden durch das Fehlen einer klaren strategischen Steuerung weiter verstärkt. Trotz der Gründung spezieller Gremien und Zentren - wie des Digital Commercial Centre of Excellence mit nur 24 Experten – ist die Gesamtzahl der spezialisierten Mitarbeiter im Verhältnis zum Gesamtetat von 14 Milliarden Pfund minimal. Dies verdeutlicht, dass die bestehenden Ressourcen für die Bewältigung der wachsenden Anforderungen an digitales Beschaffungsmanagement völlig unzureichend sind. Ausbildungsdefizite bei zivilen Einkäufern stellen eine zusätzliche Herausforderung dar. Die vorhandenen Fortbildungsprogramme berücksichtigen nur unzureichend die Besonderheiten von IT- und Digitalverträgen.
Somit fehlt es an einer angemessenen Weiterentwicklung der Kompetenzen, die für den Umgang mit komplexen IT-Verträgen notwendig sind. Der GCF erkennt zwar Defizite, hat jedoch noch keinen konkreten Plan zur Verbesserung der Schulungsangebote vorgelegt, sodass die qualitative Weiterentwicklung der Belegschaft ins Stocken gerät. Vor diesem Hintergrund drängt der PAC auf eine dringend notwendige Rolleklärung und bessere Koordination zwischen den beteiligten Behörden und Funktionen. Alle Beteiligten – vom Cabinet Office über das DSIT (Department for Science, Innovation and Technology) bis zu den neu geschaffenen Expertengremien – müssen ein einheitliches Verständnis ihrer Aufgaben und Verantwortungen entwickeln. Nur so kann die Regierung das Potenzial ihrer Einkaufsmacht wirksam ausschöpfen, um bessere Verträge mit großen Technologieanbietern abzuschließen, gleichzeitig den Zugang für innovative und kleinere Anbieter zu fördern und ein robustes, zukunftsfähiges digitales Ökosystem aufzubauen.
Nur mit einem solchen Umdenken innerhalb der Organisationen und einer gezielten Aufstockung an Fachpersonal werden die ambitionierten Digitalisierungsziele der britischen Regierung greifbar. Dies ist essenziell, um nicht nur kurzfristig Kosten zu optimieren, sondern auch langfristig administrative Prozesse zu modernisieren und die digitale Souveränität des Landes zu stärken. Die Herausforderungen sind riesig, doch die große Chance besteht darin, den Technologietransfer, die Innovationskraft und die Effizienz im öffentlichen Sektor nachhaltig zu steigern. Abschließend lässt sich sagen, dass der geringe Umfang der spezialisierten technologischeinkäufer eine strukturelle Schwäche offenbart, die die Verwaltung zwingt, dringend in Qualifikation, Organisation und Zusammenarbeit zu investieren. Das gewaltige Budget für Tech-Ausgaben könnte damit signifikant wirkungsvoller eingesetzt werden, wenn die Regierung ihre Einkaufsfunktionen professionalisiert.
Nur so werden die geplanten digitalen Reformen zu einem echten Erfolg – zum Wohl der Allgemeinheit und der britischen Wirtschaft zugleich.