Die Wikimedia Foundation, als Betreiberin von Wikipedia das weltweit größte Online-Lexikon, steht aktuell im Fokus politischer Kritik aus den USA. Am 30. April 2025 wandte sich eine Gruppe von 23 Kongressabgeordneten mit einem Schreiben an diese gemeinnützige Organisation. Die Abgeordneten äußerten darin ihre ernste Besorgnis über antisemitische Tendenzen, systematische Verzerrungen zugunsten anti-israelischer Narrative und den vermuteten Missbrauch der Plattform durch koordinierte Akteure. Dieses Schreiben ist ein Zeichen wachsender Sensibilität gegenüber der Manipulation von Informationsquellen, die einen großen Einfluss auf öffentliche Meinungsbildung und politische Diskurse haben.
Die Gruppe der Absender ist parteiübergreifend und umfasst prominente Politiker wie Debbie Wasserman Schultz aus Florida sowie Don Bacon aus Nebraska. Aus Los Angeles haben die Kongressmitglieder Brad Sherman und Ted Lieu ihre Unterschrift unter das Schreiben gesetzt. Die politische Bandbreite und die regionalen Unterschiede machen die Anliegen der Gruppe besonders interessant. Sie spiegeln eine gemeinsame Überzeugung wider, dass Wikipedia als globaler Wissensspeicher einem hohen Standard an Neutralität und Verlässlichkeit entsprechen muss, vor allem bei kontroversen Themen wie dem Nahostkonflikt. Das Schreiben stützt sich auf einen ausführlichen Bericht der Anti-Defamation League (ADL), der im März 2025 veröffentlicht wurde.
Der Report identifiziert eine Gruppe von etwa 30 Wikipedia-Editoren, die über den Zeitraum von zehn Jahren hinweg mehr als 1,5 Millionen Bearbeitungen durchgeführt haben sollen. Diese Änderungen würden absichtlich neutrale Darstellungen auf Artikelseiten, die sich mit Israel befassen, verzerren. Dabei wirft der Bericht den betreffenden Akteuren vor, antisemitische Inhalte zu verbreiten, pro-Hamas-Positionen zu fördern und anti-zionistische sowie anti-israelische Narrative zu pushen. Die Folge sei eine systematische Verfälschung historischer und aktueller Fakten, die das Vertrauen in die Integrität der Plattform erschüttert. Ein zentrales Anliegen des Briefes ist die Forderung, Wikipedia müsse seine Neutralitätsrichtlinie, den sogenannten Neutral Point of View (NPOV), endlich konsequent durchsetzen.
Die Kongressmitglieder sehen die bisherige Umsetzung dieser Grundregel als unzureichend an, da die Editoren weit über das zulässige Darstellen unterschiedlicher Standpunkte hinaus agieren. Vielmehr gebe es ein Muster, das als koordinierte Kampagne interpretiert werden könne, um gezielt antisemitische Propaganda einzuschleusen. Besorgniserregend sei zudem, dass einige der Editoren möglicherweise nicht nur Privatpersonen, sondern Agenten fremder Staaten oder politischer Gruppen seien, die bewusst Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung nehmen. Der Brief verweist auf konkrete Beispiele, in denen Wikipedia-Artikel erheblich verändert wurden, um Unterstützungen für Terrorismus und antisemitische Aktivitäten durch bestimmte öffentliche Persönlichkeiten zu verschweigen. Ebenso kritisiert das Schreiben, dass die Seite über die Terrororganisation Hamas deren gewalttätige Aktionen verharmlosen oder gar ausblenden würde.
Diese manipulativen Eingriffe untergraben somit den Anspruch von Wikipedia, eine verlässliche und faktenbasierte Informationsquelle zu sein. Ein Schritt in Richtung Kontrolle wurde bereits von der Wikipedia Arbitration Committee (ArbCom), dem höchsten Schiedsgremium der Plattform, im Januar 2025 getan. Es wurden acht Editoren auf den Themengebieten des israelisch-palästinensischen Konflikts gesperrt. Fünf dieser Personen waren auch in dem ADL-Bericht als Personen mit schlechtem Glauben (Bad Faith Editors) genannt. Die Kongressabgeordneten begrüßten diese Maßnahme als ersten Fortschritt, verlangten aber weitere und nachhaltigere Schritte, um die Integrität von Wikipedia langfristig zu sichern.
Das Schreiben enthält darüber hinaus konkrete Fragen an die Wikimedia Foundation, wie diese ihre Schutzmechanismen gegen ausländische Einflussnahme und Desinformation ausgestaltet. Besonders wird das Verfahren zur Identitätsüberprüfung und zur Klärung der Bindungen von aktiven Editoren hinterfragt. Ebenso fordern die Abgeordneten detaillierte Daten über inhaltliche Streitigkeiten, rückgängig gemachte Bearbeitungen und die Maßnahmen von Wikipedia-Administratoren bezüglich antisemitischer und anti-israelischer Vorfälle ein. Aus Sicht von Debbie Wasserman Schultz zeige sich ein gravierendes Versagen bei der Durchsetzung der Grundlagenregeln von Wikipedia. Angesichts der enormen globalen Reichweite von Wikipedia und dessen Einfluss auf Online-Diskurse und reale Meinungsbildung benötige die Plattform dringend mehr redaktionelle Verantwortlichkeit und Transparenz.
Das Engagement aus dem Kongress soll dabei helfen, mutmaßliche koordinierte Manipulationskampagnen zu stoppen und die Verbreitung von antisemitischem Gedankengut einzudämmen. Don Bacon ergänzt diesen Appell mit dem Hinweis, dass die Toleranz gegenüber antisemitischen und anti-israelischen Sichtweisen auf Wikipedia zugenommen habe, was auf mangelnde Durchsetzung der eigenen Qualitäts- und Verhaltensregeln zurückzuführen sei. Da User weltweit Artikel auf Wikipedia oft als absolut wahr akzeptierten, sei eine unmittelbare Verbesserung der Kontrollmechanismen zwingend notwendig. Interessanterweise reagierte die Wikimedia Foundation bislang nicht direkt auf die Briefe oder die Forderungen der Abgeordneten. Hintergrund ist möglicherweise die grundsätzliche Offenheit und Selbstverwaltung von Wikipedia durch eine Vielzahl ehrenamtlicher Herausgeber, die eine Zensur oder strenge Kontrolle durch eine zentrale Instanz ablehnen.
Jacob Rogers, Associate General Counsel der Wikimedia Foundation, betonte dennoch die drei Leitlinien der Plattform – Neutralität, Nachprüfbarkeit und das Verbot eigener Forschung – und hob hervor, dass Millionen von ehrenamtlichen Bearbeitern weltweit einen transparenten Moderationsprozess sicherstellen würden. Parallel zu diesem Kongressbrief hatte auch der Stellvertretende US-Staatsanwalt Ed Martin einen offiziellen Brief an die Wikimedia Foundation gerichtet. Neben Fragen zum Schutz vor ausländischen Einflussnahmen stand auch die Anonymität der Editoren im Fokus. Diese parallele Debatte verdeutlicht das wachsende Interesse staatlicher Stellen, Wikipedia nicht nur als Wissensplattform, sondern auch als möglichen Schauplatz geopolitischer Einflusskämpfe zu begreifen. Die Diskussion um die Verlässlichkeit von Wikipedia wurde auch im Internet, etwa in Blogs wie „The Wikipedia Flood“, intensiv geführt.
Dort wird zum Teil satirisch kritisiert, dass die Wikimedia Foundation gegenüber den staatlichen Nachfragen ins Leere rede und sich hinter bürokratischen Floskeln und Selbstschutz verstecke. Einige fordern sogar, dass der CEO der Organisation vor dem Kongress aussagen solle, um die Vorwürfe aufzuklären. Die gesamte Debatte ist eine wichtige Erinnerung daran, wie bedeutend die Kontrolle und Qualitätssicherung von Onlineinformationen im digitalen Zeitalter ist. Wikipedia hat sich über Jahre als zentrale Anlaufstelle für Wissen etabliert, doch gerade weil das Informationsangebot stets öffentlich bearbeitet wird, steht es auch im Zentrum von Manipulation und politischem Streit. Der Vorwurf, dass antisemitische und anti-israelische Verzerrungen systematisch eingebracht werden, ist deshalb besonders alarmierend – denn er betrifft das Vertrauen einer Millionenpublikums und hat auch wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und kulturelle Auswirkungen.
Eine mögliche Konsequenz aus dem Kongressbrief und den öffentlichen Diskussionen könnte sein, dass Wikipedia neue Kontrollmechanismen einführt und mehr Transparenz bei der Editorenprüfung schafft. Dazu könnten etwa striktere Ausweiskontrollen gehören, oder die Einführung von internen Kontrollgremien mit unabhängigen Experten. Auch die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Hassverbrechen und Diskriminierung beobachten, könnte intensiviert werden. Wichtig ist zudem der Umgang mit der Anonymität von Editoren: Sie schützt einerseits vor Repressalien, kann aber gleichzeitig Missbrauch und Koordination verdeckter Kampagnen begünstigen. Hier wird die Wikipedia-Community vor Herausforderungen gestellt, bei denen es gilt, einen fairen Ausgleich zwischen Schutz der Privatsphäre und Gewährleistung von Verantwortung zu finden.
Die Tragweite der Forderungen zeigt sich auch darin, dass die US-Kongressmitglieder explizit nach Daten zu Streitfällen, Edit-Rücknahmen und Administratoren-Aktionen fragen. Dies wäre eine bislang nie dagewesene Offenlegung und könnte Wikipedia in der täglichen Arbeit transparenter und vertrauenswürdiger machen – aber auch datenschutzrechtliche und organisatorische Herausforderungen mit sich bringen. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Initiative der 23 Kongressabgeordneten ein Weckruf ist, der weit über die USA hinaus Bedeutung hat. Im Zeitalter der Digitalisierung und globalen Vernetzung sind Online-Plattformen wie Wikipedia nicht mehr nur Wissensspeicher, sondern zentrale Arenen gesellschaftlicher Debatten. Die Sicherung von Neutralität, Zivilcourage und Transparenz auf solchen Plattformen ist deshalb essentiell für eine faire, vielfältige und demokratische Informationsgesellschaft.
Die anstehende Entwicklung bei der Wikimedia Foundation wird zeigen, wie gut die Plattform diese Herausforderung meistern kann und welche Rolle Politik, Zivilgesellschaft und Freiwillige dabei einnehmen werden.