In den letzten Jahren hat die chinesische Automobilindustrie ein starkes Wachstum erlebt, das unter anderem von ambitionierten Verkaufszielen und zunehmendem Wettbewerb geprägt ist. Doch jüngst steht ein besonderes Phänomen im Zentrum der Aufmerksamkeit: Der Handel mit sogenannten Gebrauchtwagen, die zwar auf dem Papier „gebraucht“ sind, aber tatsächlich noch keinen einzigen Kilometer gefahren wurden. Dieses Vorgehen, oft als „Null-Kilometer-Gebrauchtwagen“ oder „Zero-Mileage-Gebrauchtwagen“ bezeichnet, hat die chinesische Handelsbehörde dazu veranlasst, die wichtigsten Akteure der Branche zu einer dringenden Besprechung zusammenzurufen. Dabei sollen notwendige Maßnahmen zur Regulierung und Transparenzsteigerung diskutiert werden. Der Hintergrund dieser Entwicklung liegt in der wirtschaftlichen Strategie und dem Verkaufsdruck, unter dem viele Automobilhersteller und Händler stehen.
In einem zunehmend gesättigten Markt ist es für Unternehmen immer schwieriger geworden, ihre Neuwagen zu den anvisierten Verkaufszahlen abzusetzen. Der Wettbewerb ist intensiv und insbesondere chinesische Hersteller wie BYD, Dongfeng Motor und Great Wall Motor stehen im ständigen Vergleich. Um dennoch Verkaufszahlen zu optimieren, greifen einige Händler und Hersteller zu einer Methode, bei der Neufahrzeuge offiziell als Gebrauchtwagen deklariert werden, obwohl diese keineswegs gefahren wurden. Im Zuge einer Registrierung inklusiver Zuteilung von Kennzeichen gelten diese Autos formal als verkauft, was den Eindruck eines größeren Gebrauchtwagenmarkts erweckt und oft den Absatz ankurbelt. Dabei handelt es sich technisch gesehen um Neuwagen, jedoch verkaufen Händler diese Fahrzeuge über Plattformen für Gebrauchtwagen als „gebraucht“ – obwohl sie faktisch neu sind.
Besonders der Vorsitzende von Great Wall Motor, Wei Jianjun, bezeichnete diese Praxis in einem Interview als weit verbreitet und berichtete von mehreren Tausend Anbietern, die auf entsprechenden Online-Marktplätzen Null-Kilometer-Fahrzeuge zum Verkauf anbieten. Die Problematik ist vielschichtig: Einerseits können Kunden glauben, deutlich günstigere Gebrauchtwagen zu erwerben, andererseits gibt es eine rechtliche Grauzone, da die Fahrzeuge registriert und somit bereits als gebraucht gelten, aber keinerlei Nutzung erkennbar ist. Die chinesische Handelsbehörde reagierte auf diese Situation, indem sie einen runden Tisch mit führenden Automobilherstellern, Autohändlern und branchenrelevanten Interessengruppen einberief. Zu den eingeladenen Teilnehmern zählen neben BYD und Dongfeng Motor auch die China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) sowie die China Automobile Dealers Association (CADA). Diese Veranstaltung zielt darauf ab, gemeinsam Wege zu finden, wie dieser nebulöse Vertriebsweg eingedämmt oder reguliert werden kann, um den Markt transparenter und fairer zu gestalten.
Die Auswirkungen des Null-Kilometer-Gebrauchtwagenhandels betreffen nicht nur die Industrie, sondern auch Verbraucher und Investorengemeinschaften. So reagierten Aktienkurse chinesischer Automobilunternehmen auf die Nachrichten über die Gespräche zwischen den Regulierungsbehörden und Herstellern mit teils deutlichen Kursverlusten. Beispielsweise verloren BYD und Leapmotor an der Börse jeweils rund drei Prozent, während der gesamte Hang Seng Automobile Index spürbar sank. Aus Sicht der Verbraucher ist dieser Trend problematisch, da Kunden teilweise in die Irre geführt werden könnten. Gebrauchtwagen sind üblicherweise Fahrzeuge mit einer gewissen Laufleistung, auf die sich Preisgestaltung und Zustand beziehen.
Die Null-Kilometer-Gebrauchtwagen diffundieren diese klare Abgrenzung jedoch, was zu Unsicherheiten führt, ob ein Fahrzeug tatsächlich „gebraucht“ ist und welche Garantien und Rückgabemöglichkeiten bestehen. Zudem besteht die Gefahr einer Marktverzerrung, da diese Praxis bestehende Händler benachteiligt, die sich an etablierte Verkaufsmodelle halten. Auf der anderen Seite sind die Hintergründe dieses Phänomens eng mit dem Wettbewerb unter den Herstellern versponnen. China hat sich in den letzten Jahren zum größten Automobilmarkt der Welt entwickelt. Gleichzeitig hat ein intensiver Preiskampf eingesetzt, insbesondere im Bereich der Elektrofahrzeuge, die in China stark gefördert werden.
Hersteller stehen unter Druck, nicht nur effektiv zu produzieren, sondern auch hohe Absatzzahlen vorweisen zu können, um ihre Markposition zu sichern oder auszubauen. Anbieter auf den großen chinesischen Online-Gebrauchtwagenplattformen profitieren finanziell von der steigenden Anzahl dieser Null-Kilometer-Fahrzeuge, da sie mit attraktiven Preisen Neuwagenkäufer anlocken. Aufgrund der Registrierung und des vorhandenen Kennzeichens können diese Autos auch ohne viel Aufwand weiterverkauft werden. Dies führt zu einer Verlagerung der Handelsströme und kann die traditionellen Autohändler herausfordern, die im Neuwagenvertrieb oder im klassischen Gebrauchtwagengeschäft tätig sind. Hinsichtlich der rechtlichen Situation ist die chinesische Regierung und die Handelsaufsicht gefordert, klare Richtlinien zu schaffen, die einen fairen Wettbewerb gewährleisten und Kundenrechte schützen.
Die summoning-Diskussion stellt den Auftakt dar, diese Problematik in strukturierter Form zu adressieren. Ein mögliches Ergebnis könnte eine Begrenzung oder klarere Definition für die Einstufung von Fahrzeugen als gebraucht sein, etwa durch Mindestanforderungen an die Laufleistung oder eine spezifische Offenlegungspflicht gegenüber Käufern. Aus internationaler Perspektive weckt die chinesische Entwicklung Interesse, da die Automobilindustrie zunehmend global vernetzt ist. Jeder neue Trend und jede Regulierungsmaßnahme in einem so großen Markt wie China kann Impulse für Märkte weltweit setzen, insbesondere wenn es um innovative Vertriebsmodelle und den Umgang mit Elektrofahrzeugen geht. Zudem beleuchtet die Herkunft des Null-Kilometer-Gebrauchtwagen-Phänomens wichtige Aspekte der Branche, wie digitale Handelsplattformen, Verbraucherschutz und Regulierungsfragen in der modernen Mobilitätswelt.