In der Welt des Venture Capital ist Cyberstarts ein Phänomen, das weit über die Grenzen Israels hinaus für Aufmerksamkeit sorgt. Der von Gili Ra'anan gegründete Fonds hat in nur sechs Jahren eine Erfolgsbilanz vorzuweisen, die ihresgleichen sucht. Mit einem Portfolio von lediglich 22 Unternehmen, darunter fünf Einhörner wie das boomende Unternehmen Wiz, erreicht Cyberstarts eine Gesamtbewertung von 35 Milliarden US-Dollar. Diese Zahlen sind beeindruckend und werfen Fragen über die Erfolgsfaktoren und die Besonderheiten des sogenannten "Gili Ra'anan Modells" auf. Ausgehend von der Beobachtung, dass Cyberstarts andere Venture-Capital-Fonds gnadenlos hinter sich lässt und gleichzeitig keine seiner Portfoliogesellschaften geschlossen wurde, stellt sich die Frage, wie Ra'anans Ansatz genau funktioniert und welche Mechanismen sich hinter dem Erfolg verbergen.
Besonders im Fokus stehen dabei die engen Beziehungen zwischen Cyberstarts und den Chief Information Security Officers (CISOs), die in Unternehmen für die Cyberabwehr verantwortlich sind und aufgrund ihres Budgets und Einflusses zu den wichtigsten Entscheidungsträgern im Bereich Cybersecurity zählen. Die Rolle der CISOs ist dabei zentral für die Dynamik des "Ra'anan Modells". Diese Fachkräfte verfügen über Entscheidungsgewalt bei der Auswahl von Cyberlösungen mit Budgets, die in großen Organisationen Millionen erreichen können. Ihre Kaufentscheidungen prägen nicht nur die Sicherheit ihrer Unternehmen, sondern beeinflussen auch maßgeblich den Erfolg der Startups, die um ihre Aufmerksamkeit werben. Cyberstarts nutzt diese Position, indem der Fonds ein sogenanntes „Sunrise“-Programm entwickelt hat, das CISOs für die Beratung von Startups innerhalb des Portfolios belohnt – durch eine Art Punkte- und Beteiligungssystem, das ihnen Anteile an den Gewinnen des Fonds sichert.
Kritiker sehen hierin deutliche Interessenkonflikte. Obwohl Cyberstarts betont, dass keine direkte Vergütung für den Kauf von Produkten stattfindet, legen Aussagen von Beteiligten nahe, dass der Erwerb von Produkten aus dem Portfolio oft mit der Akkumulation von Punkten im Beratungsprogramm einhergeht. Dies könnte zu einer Bevorzugung eigener Startups führen und andere Anbieter im Wettbewerb benachteiligen. Die ethische Fragestellung, ob CISOs ihre Kaufentscheidungen unter dem Einfluss von Beteiligungen an einem Fonds treffen sollten, ist zentral und erinnert an ähnliche Debatten in anderen Branchen, etwa im Pharmawesen, wo Ärzte keine persönliche Vergütung von Medikamentenherstellern mehr annehmen dürfen. Das System bietet für die Startups von Cyberstarts einen bedeutenden Vorteil: Bereits im ersten Jahr können sie dank der direkten Unterstützung durch loyale CISOs ihre Umsätze auf bis zu zwei Millionen US-Dollar steigern.
Dies ist eine stolze Leistung, die die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Series-A-Finanzierung massiv erhöht. Während andere Startups oft jahrelang kämpfen müssen, ermöglicht das "Ra'anan Modell" sozusagen einen gezielten Boost, der den Aufstieg in der Branche beschleunigt. Daraus ergibt sich der Eindruck einer Art „Steroid-Effekt“ auf die Wachstumskurve, die Cyberstarts-Startups klar vom Wettbewerb abhebt. Auch international stößt das Modell auf geteilte Reaktionen. In den USA ist die Diskussion um die Loyalität von CISOs und die damit verbundenen Interessenskonflikte besonders heftig.
Führungskräfte in Unternehmen fühlen sich mitunter zunehmend verunsichert, da die Verbindung zu Cyberstarts in Einzelfällen dazu geführt hat, dass CISOs ihre Position verloren. Ein prominentes Beispiel ist Curtis Simpson, dessen schnelle Abberufung als CISO bei Sysco mit seiner anschließenden Anstellung bei Armis von Cyberstarts sicherlich den Eindruck von Überschneidungen verstärkte. Neben dem Erfolg auf Unternehmensebene werfen die Besonderheiten des Modells auch einen Schatten auf die Startup-Landschaft insgesamt. Die Art und Weise, wie Cyberstarts junge Gründerteams auswählt – oft unerfahrene Absolventen von Eliteeinheiten wie der israelischen militärischen Nachrichtendiensteinheit 8200 –, ergänzt mit intensivem CISO-Support, erzeugt Neuerungen und Erfolge in rasantem Tempo. Doch nicht alle Gründer schätzen diese Zusammenarbeit.
Einige weigerten sich, Investitionen von Cyberstarts anzunehmen, aus Angst, das „Gili Ra'anan Modell“ könnte sie in Abhängigkeiten bringen, die ihre Eigenständigkeit und langfristigen Erfolgschancen beeinträchtigen. Diese gegenläufigen Positionen unterstreichen den komplexen Charakter des Modells und dessen Auswirkungen. Zum einen ermöglicht es jungen, oftmals unerfahrenen Teams, Marktchancen schneller zu erkennen und rasch Umsätze zu erzielen. Zum anderen entsteht daraus eine Abhängigkeit, die den Wettbewerb verzerrt und ethische Fragen hinsichtlich der Entscheidungsfindung aufwirft. Andere Venture-Capital-Fonds wie Glilot Capital, YL und Team8 setzen zwar ebenfalls auf die Zusammenarbeit mit CISOs, verzichten jedoch auf eine Vergütung oder auf Beteiligungen, die mit einem direkten Kaufanreiz verknüpft sein könnten.
Dies erzeugt ein Spannungsfeld zwischen Fairness und Erfolgsdruck. Ein weiteres Charakteristikum des Ansatzes ist die persönliche und direkte Einbindung Ra'anans selbst. Er begegnet den Gründern nicht nur als Investor, sondern fördert sie individuell, stellt unkonventionelle Fragen und fokussiert sich dabei weniger auf technische Details als auf die Lebenswege und Herausforderungen der Gründer. Diese humanistische Herangehensweise, gepaart mit seiner Expertise und seinem Netzwerk, wird als Schlüssel für die außergewöhnliche Trefferquote von Unicorns innerhalb des Portfolios gesehen. Trotz dieser Erfolge bleibt der Diskurs um die Rolle der CISOs und deren Loyalitäten nicht ohne Schattenseiten.
Da diese zugleich für die eigene Firma und für den Fonds beratend tätig sind, können Interessenkonflikte entstehen, die im schlimmsten Fall zu suboptimalen Entscheidungen hinsichtlich der Cyberabwehr führen können. In einer Zeit, in der Cyberangriffe und Sicherheitsbedrohungen stetig komplexer werden, könnte das Vertrauen in einen derart kritischen Posten Schaden nehmen. Abschließend lässt sich feststellen, dass das "Gili Ra'anan Modell" zweifellos Innovation und Erfolgsgeschichten in der Cyberbranche befeuert hat. Gleichzeitig wirft es wichtige Fragen zu Ethik, Wettbewerbsgerechtigkeit und Governance auf, die über den unmittelbaren Erfolg von Cyberstarts hinausgehen. Die Balance zwischen der Förderung junger Talente, der Integration von Expertenwissen und der Vermeidung von Interessenkonflikten wird in der Zukunft entscheidend sein, um das Vertrauen in die Cyberbranche und ihre Marktmechanismen zu erhalten und auszubauen.
Diese Thematik bleibt ein brisantes Feld, das die Grenzen zwischen Investmentstrategie und moralischer Verantwortung neu definiert. Cyberstarts und Gili Ra'anan stehen exemplarisch für eine Ära, in der Innovationskraft auf der einen und kritische Selbstreflexion auf der anderen Seite Hand in Hand gehen müssen, um nachhaltigen Erfolg im globalen Cybersecurity-Sektor zu sichern.