Seit Jahrhunderten fasziniert die Kommunikation von Tieren Menschen weltweit. Ihre Signale, Rufe und Gesten erscheinen oft so fremdartig und komplex, als würden sie einer ganz eigenen Welt entstammen. Die Vorstellung, ihre Sprache verstehen zu können, gleicht für viele einer Reise ins Unbekannte, fast schon vergleichbar mit der Kontaktaufnahme zu Aliens. Doch mit den Fortschritten der künstlichen Intelligenz (KI) rückt diese Vision immer näher. Kann KI die uns bis heute rätselhaften Kommunikationsformen der Tierwelt wirklich entschlüsseln? Ein aktuelles Forschungsfeld zeigt: Ja, zumindest vielversprechend.
Forscher arbeiten an innovativen Projekten, die das Verständnis tierischer Signale mithilfe von KI und maschinellem Lernen auf ein neues Level heben – und dabei faszinierende Einblicke in das „Sprechen“ von Delfinen, Tintenfischen, Nachtigallen und anderen Tieren ermöglichen. Im Mittelpunkt stehen der Coller Dolittle Challenge und der damit verbundene Dolittle Prize, die bahnbrechende Fortschritte in der KI-gestützten interspezifischen Kommunikation auszeichnen und fördern. Die Herausforderung der Tierkommunikation Tiere kommunizieren auf sehr unterschiedliche Weise, die sich stark von menschlicher Sprache unterscheidet. Während wir Menschen Wörter, Grammatik und Syntax verwenden, nutzen Tiere oft Signale aus Tönen, Gesten, Farbwechseln oder speziellen Lauten. Doch was bedeuten genau diese „Botschaften“? Sind sie eher instinktiv oder doch Ausdruck bewusster Gedanken und Gefühle? Seit langem versucht die Wissenschaft, diese Fragen zu beantworten, doch ohne geeignete Werkzeuge schien das Verständnis oft nur begrenzt möglich.
Die Rasanz der technologischen Entwicklung, vor allem in den Bereichen KI und Big Data, bietet nun neue Möglichkeiten. Algorithmen können komplexe Muster aus riesigen Datenmengen filtern, Geräusche analysieren und Verhaltensweisen in Echtzeit beobachten. So lassen sich Kommunikationsstrukturen erkennen, die dem menschlichen Auge oder Ohr verborgen bleiben. Mit KI tiefer in die Welt der Delfine eintauchen Delfine gelten als eine der intelligentesten Arten unter den Meeressäugern. Ihre charakteristischen Pfiffe kennt wohl jeder, doch lange war unklar, ob diese Töne zufällig oder bedeutungsvoll sind.
Forschende konnten zeigen, dass Delfine individuelle „Namen“ haben – spezielle Signale, mit denen sie sich gegenseitig rufen. Die Herausforderung bestand darin, die Bedeutung dieser Signale im Kontext sozialer Interaktionen zu verstehen. Das Forschungsprojekt am Woods Hole Oceanographic Institution nutzt KI, um genau diese Pfiffe zu klassifizieren. Durch jahrzehntelange Aufzeichnungen einzelner bekannter Delfine konnten Algorithmen trainiert werden, die Rufe nicht nur zu unterscheiden, sondern auch zu interpretieren. Das Ziel ist, akustische Muster mit dem Verhalten und den Orten der Tiere in Verbindung zu bringen, um so eine Art Übersetzung in Echtzeit zu ermöglichen.
Ein besonders bemerkenswerter Moment der Forschung war die Entdeckung eines sogenannten „WTF-Pfiffs“. Während eines Tests spielten Wissenschaftler einem Delfinpaar einen individuellen Pfiff vor. Anstatt dem Anruf zu antworten, gab eines der Tiere einen völlig anderen, zuvor unbekannten Pfiff von sich, der offenbar Verwirrung ausdrückte – ein Hinweis darauf, dass Delfine verwirrte oder komplexe Emotionen kommunizieren können. Solche Entdeckungen öffnen ein neues Fenster in die Gefühlswelt der Meeressäuger. Tintenfische und ihre geheimnisvolle „Sprache“ aus Signalen Anders als Delfine verfügen Tintenfische weder über Stimmen noch Ohren.
Ihre Kommunikation geschieht hauptsächlich durch Farb- und Musterwechsel auf der Haut sowie durch spezifische Bewegungen ihrer Arme. Diese Form der Verständigung wirkt fast wie eine fremde Sprache, die sich tief von menschlicher verbaler Kommunikation unterscheidet. Peter Neri, ein Experte auf dem Gebiet, beschreibt Tintenfische daher als „so nah an Aliens, wie wir es je bekommen werden“. Ihre Fähigkeit, komplexe Signale mittels sichtbarer Muster und vibrierender Wahrnehmung zu erzeugen, ist gerade für KI-Systeme eine große Herausforderung. Um diese zu bewältigen, setzen Forscherinnen und Forscher KI-basierte Bildanalyse ein, mit der sie Farbmuster, Streifen und Flecken der Tintenfische zunächst detektieren und anschließend nach möglichen Bedeutungen oder Mustern klassifizieren.
Mit zusätzlichen Experimenten, etwa der Verwendung eines weichen Roboters, der Tintenfisch-typische Armbewegungen imitiert, versuchen sie, einen echten Austausch zu simulieren – eine Art dialogische Kommunikation in der tierischen Sprache. Die Echtheit solcher Interaktionen wurde beeindruckend gezeigt, als ein kleiner Tintenfisch, der während eines Tests entfliehen wollte, zum Versuchsbecken zurückkehrte, um auf das Winken eines anderen Exemplars via Video zu reagieren. Auch dies spricht für eine Form bewusster sozialer Kommunikation, die sich zunehmend entschlüsseln lässt. Nachtigallen und das musikalische Rätsel der Sprache Nachtigallen haben unglaublich vielfältige Gesangsrepertoires mit bis zu 200 unterschiedlichen Liedern pro Individuum. Sie können auf Anrufe anderer Vögel reagieren und sogar künstlich erzeugte Pfeiftöne imitierten und antworten.
Diese Eigenschaften machen sie zu idealen Kandidaten, um mittels KI Sprachstrukturen in Tieren zu erforschen. Jans Clemens, Neurobiologe, erklärt, dass KI hilft, die Feinheiten und die Struktur der Nachtigallenlieder durch das Gruppieren von einzigartigen Silben zu erkennen. Diese Arbeit wäre von Hand aufwendig, doch durch maschinelles Lernen lassen sich wiederkehrende Muster, Kombinationen und sogar möglicherweise Botschaften extrahieren. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Nachtigallen zwar keine menschliche Sprache mit Sätzen bilden, jedoch auf eine klare Weise kommunizieren und Gefühle oder Botschaften ausdrücken. Marmosetten und die Suche nach Grammatik in Schreien Erfolgreiche Beispiele für KI-Einsatz gibt es auch bei kleinen neuweltlichen Affen, den Marmosetten.
Diese Tierart kommuniziert mit lauten, hohen Schreien, die durchaus eine Art Namensfunktion besitzen. Forscher arbeiten derzeit an Sprachmodellen, die anhand aufeinanderfolgender Laute vorhersagen können, welche Rufe folgen. Dies würde auf eine strukturierte Grammatik hinweisen – zumindest in sehr rudimentärer Form. Ein solches Verständnis könnte den Grundstein legen, um menschliche und tierische Kommunikation in eine gemeinsame, einheitliche Sprache zu übersetzen oder zumindest vergleichbar zu machen, was ein Meilenstein in der Wissenschaft wäre. Der Coller Dolittle Challenge und die Zukunft der Mensch-Tier-Kommunikation Der Coller Dolittle Challenge ist ein langfristiges und prestigeträchtiges Projekt, das Teams weltweit dazu auffordert, die erste echte Zweiwegkommunikation mit Tieren herzustellen.
Mit bis zu 10 Millionen US-Dollar Preisgeld bietet es die Ressourcen für intensive Forschung und innovative Ansätze. Dabei zeigt die Vergabe des Dolittle Prizes für Frühstadium-Fortschritte, wie vielfältig und vielversprechend die aktuellen Projekte sind. Die Kombination aus KI, Robotik und Verhaltensbiologie verändert das Verständnis von Kommunikation grundlegend. Experten wie Yossi Yovel sind überzeugt, dass die bisher fehlenden Werkzeuge nun erstmals verfügbar sind, um langlebige, bedeutungsvolle Dialoge mit Tieren etablieren zu können. Solche Kommunikation würde nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse voranbringen, sondern auch das gegenseitige Verständnis zwischen Menschen und Tieren auf eine neue Ebene heben.
Ausblick Obwohl wir noch weit davon entfernt sind, ein umfassendes „Gespräch“ mit Tieren zu führen, stehen wir vor dem Durchbruch, ihre komplexe Kommunikationswelt aus einer anderen Perspektive zu erleben. Es ist anzunehmen, dass Tiere auf ihre Weise „sagen“ können: „Ich bin hier“, „Mir geht es gut“ oder „Das ist verwirrend“. In den kommenden Jahren könnten KI-Systeme bereits in der Lage sein, diese einfachen, aber bedeutsamen Botschaften mit erstaunlicher Präzision zu erkennen und zu übersetzen. Diese Entwicklungen eröffnen nicht nur neue wissenschaftliche Horizonte, sondern stellen auch eine Chance für einen respektvolleren Umgang und wertschätzenden Dialog mit anderen Lebewesen dar – die vielleicht gar nicht so fremd sind, wie wir lange dachten.