Leberkrebs zählt zu den gefährlichsten und am schwierigsten zu behandelnden Krebsarten weltweit. Obwohl Immuntherapien in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht haben, bleiben viele Lebertumore für diese Behandlungsformen resistent. Die sogenannte "kalte" Immunumgebung in Tumoren verhindert, dass das Immunsystem die Krebszellen effektiv erkennt und bekämpft. In einer bahnbrechenden Studie von Forschern der Stanford Medicine wurde nun ein überraschender Regulator des Immunsystems entdeckt, dessen Blockade faszinierende Ergebnisse bei der Behandlung von Leberkrebs in Mäusen zeigte. Im Mittelpunkt dieser Entdeckung steht das Protein Erythropoietin, kurz EPO.
Bekannt ist EPO seit Jahrzehnten als Hormon, das die Produktion roter Blutkörperchen anregt. Lange Zeit wurde EPO ausschließlich mit der Blutbildung in Verbindung gebracht, doch neue Forschungsergebnisse enthüllen eine völlig neue Funktion dieses Proteins im Kontext von Krebs und Immunmodulation. EPO scheint eine Schlüsselrolle dabei zu spielen, die Immunantwort in kälteren, immuntherapie-resistenten Tumoren zu unterdrücken und so den Tumor vor einem Angriff durch das körpereigene Immunsystem zu schützen. Die Forscher beobachteten, dass Lebertumore mit einer „kalten“ Immunumgebung vermehrt EPO produzieren. Diese Tumore existieren in einem sauerstoffarmen, hypoxischen Milieu, das die EPO-Bildung fördert.
Das freigesetzte EPO bindet anschließend an die EPO-Rezeptoren auf bestimmten Immunzellen, den sogenannten Makrophagen. Diese Immunzellen werden dadurch in einen unterdrückenden Zustand versetzt, der sie daran hindert, die Krebszellen wirksam zu bekämpfen. Stattdessen unterstützen diese Makrophagen die Krebszellen, indem sie die Aktivität der für die Tumorbekämpfung wichtigen T-Zellen stark reduzieren. Die Identifikation dieser EPO-vermittelten Immunblockade ist ein fundamentaler Fortschritt im Verständnis der Immunkontrolle in Krebs. Indem die Wissenschaftler genehmigte und neue Mausmodelle für Leberkrebs nutzten, konnten sie zeigen, dass durch das gezielte Entfernen oder Blockieren der EPO-Rezeptoren auf Makrophagen die Tumore von einer „kalten“ zu einer „heißen“ Immunumgebung wechselten.
„Heiße“ Tumore sind dadurch gekennzeichnet, dass sie von zahlreichen aktiven T-Zellen infiltriert sind, die die Fähigkeit besitzen, Tumorzellen abzutöten und den Krebs effektiv zurückzudrängen. Das Blockieren der EPO-Signalkaskade führte somit dazu, dass ehemals therapieresistente Lebertumore für Immuntherapien wie Anti-PD-1-Behandlungen zugänglicher wurden. Anti-PD-1 Therapien sind gegenwärtig eines der effektivsten Mittel, mit denen die natürliche Immunantwort gegen Krebs aktiviert werden kann. Allerdings versagt diese Methode bei vielen Tumorarten und Patienten, welche die immunsuppressive Tumorumgebung effektiv aufrechterhalten. Die Kombination aus der Hemmung der EPO-Rezeptoren und der Anti-PD-1-Behandlung erzeugte bei den untersuchten Mäusen eine bemerkenswerte Wirkung: Die meisten Tiere erlebten eine vollständige Regression der Tumore und überlebten über die Dauer des Experimentes hinaus, während Kontrollgruppen ohne diesen Eingriff nur wenige Wochen überlebten.
Diese Entdeckung eröffnet neue Wege für potenzielle Krebstherapien, insbesondere für Patienten mit Leberkrebs und möglicherweise auch anderen soliden Tumoren, die bisher gering auf Immuntherapien ansprechen. Die enge Verbindung zwischen EPO und der Tumorimmunität legt nahe, dass hohe EPO-Level oder eine gesteigerte Expression seiner Rezeptoren in Tumoren mit schlechter Prognose bei Menschen einhergehen. Dies bestätigt auch frühere klinische Beobachtungen, bei denen die Verabreichung von EPO zur Behandlung von Krebstumor-assoziierter Anämie paradoxerweise das Tumorwachstum beschleunigen konnte. Die Forscherplanen, ihre Erkenntnisse nun auf den Menschen zu übertragen. Eine Herausforderung besteht darin, dass EPO eine lebenswichtige Funktion bei der Blutbildung hat, weshalb eine globale Hemmung negative Nebenwirkungen wie Anämie verursachen könnte.
Aus diesem Grund wird derzeit erforscht, wie sich die signalgebenden Mechanismen spezifisch an den Makrophagen im Tumormikroumfeld blockieren lassen könnten, ohne die systemische Funktion von EPO stark zu beeinträchtigen. Diese selektive Blockade könnte neue Immuntherapeutika hervorbringen, die Tumoren nicht nur für die Immunüberwachung zugänglich machen, sondern auch in Kombination mit bestehenden Checkpoint-Inhibitoren die Wirksamkeit der Therapie erheblich verbessern. Dieser wissenschaftliche Fortschritt wurde unter der Leitung von Dr. Edgar Engleman und Dr. David Kung-Chun Chiu erzielt, die mit ihren Teams eine Vielzahl innovativer Mausmodelle entwickelten, um die Rolle von EPO in der Tumorimmunität eingehend zu untersuchen.
Die Studienergebnisse, veröffentlicht im angesehenen Fachjournal Science, haben bereits großes internationales Interesse geweckt. Die Entdeckung hat auch weitreichende Implikationen für andere häufig vorkommende Krebsarten wie Pankreaskrebs, Kolon-, Brust- und Prostatakrebs, die ebenfalls oft immuntherapie-resistent sind und von einer ähnlichen EPO-vermittelten Immunsuppression profitieren könnten. Die aktuelle Analyse von Tumordatenbanken bestätigt, dass erhöhte EPO-Spiegel und EPOR-Expression in verschiedenen Krebsarten mit einer schlechteren Patientensurvivalrate korrelieren. Neben therapeutischen Potenzialen bietet die neue Erkenntnis zudem spannende Einblicke in die komplexe Interaktion zwischen Tumorzellen und der umgebenden Immunzellenlandschaft. Das Tumormikroumfeld wird zunehmend als dynamisches Netzwerk verstanden, in dem Tumorzellen durch die Manipulation von Immunzellen ihre eigene Überlebenschance erhöhen.
Die Rolle von EPO als Signalstoff, der Immunzellen zur Unterdrückung der Krebsabwehr aktiviert, verändert das bisherige Bild über die Funktion dieses Proteins und erweitert die Perspektiven für weitere immunologische Studien. Für Patienten und die Krebsforschung bedeutet diese Entwicklung einen Hoffnungsschimmer. Das Verständnis, wie Tumoren die Immunantwort mittels ungewöhnlicher Mechanismen wie der EPO-Signalisierung besiegen, ist essenziell, um präzise und effektive Therapien zu entwickeln. Die Kombinationstherapien, die gezielt die Immunblockade von EPO umgehen und gleichzeitig die vorhandenen Immun-Checkpoints angreifen, könnten die Zukunft der Krebsbehandlung markieren. Zusammenfassend stellt die Entdeckung der Rolle von EPO als „Masterregulator“ der Immununterdrückung in Lebertumoren einen bedeutenden Meilenstein dar.
Erstmals kann durch Blockade dieser Signalwege eine bislang resistente Krebsform in eine immunologisch aktive und therapieanfällige Region verwandelt werden. Es liegt nun an der weiteren Klinikforschung, diese Erkenntnisse in sichere und wirksame Behandlungsmethoden für Krebspatienten zu transferieren und so einen Beitrag zur Verbesserung von Überlebensraten und Lebensqualität zu leisten.