Die Energieversorgung steht an einem Wendepunkt. Mit dem zunehmenden Einsatz erneuerbarer Energien und der wachsenden Bedeutung dezentraler Energiequellen gestalten sich die Anforderungen an Verteilnetze komplexer denn je. Ein modernes Konzept, das sowohl die Vorteile von Wechselstrom (AC) als auch von Gleichstrom (DC) vereint, sind hybride AC/DC-Verteilungssysteme mit einer gemeinsamen Neutralleitung. Diese innovative Lösung verspricht eine effizientere, platzsparendere und flexiblere Energielösung, die die Herausforderungen der heutigen und zukünftigen Stromnetze adressiert. Die Ursprünge von AC- und DC-Systemen reichen zurück ins späte 19.
Jahrhundert, als die sogenannte „Stromkriege“ die Vorherrschaft des Wechselstroms gegenüber dem Gleichstrom sicherten. Trotz dieses historischen Sieges hat die Bedeutung von Gleichstrom in den letzten Jahrzehnten dank technologischer Entwicklungen und der Integration erneuerbarer Energiequellen stark zugenommen. Besonders Photovoltaikanlagen, die von Natur aus Gleichstrom erzeugen, und Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssysteme (HGÜ) für weite Strecken haben den Bedarf an hybriden Lösungen verstärkt. Traditionell sind Niederspannungsverteilnetze (LV) für AC konzipiert. Mit dem rasanten Wachstum von dezentraler Erzeugung und Energiespeichern sowie den Anforderungen an verbesserte Energieeffizienz gewinnen hybride Systeme an Aufmerksamkeit.
Das Ziel dabei ist, die Netzarchitektur so zu gestalten, dass sie sowohl AC- als auch DC-Komponenten integrieren kann, ohne dabei auf umfangreiche und kostenintensive Infrastrukturveränderungen zurückgreifen zu müssen. Das innovative Konzept der gemeinsamen Nutzung der Neutralleitung sowohl für den Gleichstrom als auch für den asymmetrischen Anteil des Wechselstroms schafft eine Speicher- und Transportlösung der nächsten Generation. Durch diese Kombination wird die Anzahl der benötigten Leitungen reduziert, was nicht nur Kosten spart, sondern auch die Komplexität des Verteilnetzes minimiert. Die Neutralleitung nimmt hierbei eine Doppelrolle ein und transportiert gleichzeitig den Rückstrom des Wechselstromsystems und den Gleichstrom. Die Herausforderung bei der Nutzung der Neutralleitung als gemeinsam genutzter Leiter liegt in der Belastung und den daraus resultierenden technischen Grenzen.
Die Kapazität der Neutralleitung ist entscheidend und limitiert den maximalen DC-Strom, der darüber geführt werden kann. Besonders harmonische Störungen, wie der dritte Oberschwingungsanteil, beeinflussen die Belastungsgrenzen erheblich. Der dritte Oberschwinger wird typischerweise durch nichtlineare Lasten erzeugt und führt dazu, dass sich die Stromanteile in der Neutralleitung verstärken, was die verfügbare Kapazität für den Gleichstrom reduziert. Um einen sicheren und zuverlässigen Betrieb sicherzustellen, müssen entsprechende galvanische Trennmaßnahmen in den Umrichtern implementiert werden. Diese Isolation verhindert Kurzschlüsse und ermöglicht den gleichzeitigen Betrieb der AC- und DC-Komponenten.
Die Steuerung der Umrichter muss vielseitig und intelligent sein, um verschiedene Betriebszustände zu bewältigen – vom Normbetrieb bis hin zu Fehlerzuständen. Besonders wichtig ist die Fähigkeit, in Inselbetriebsmodus zu wechseln, um die Versorgung bei Störungen im Hauptnetz aufrechtzuerhalten. Die Betriebsarten des hybriden Verteilnetzkonzepts sind vielfältig und flexibel. Im Normalbetrieb fungieren AC- und DC-Systeme parallel, wobei Wechselrichter gezielt Leistung regeln und die Spannung auf der Gleichstromseite stabil halten. Im Falle von Netzstörungen können einzelne Segmente des Systems in den Inselmodus wechseln, um lokal weiterhin Energie bereitzustellen.
So kann beispielsweise das System bei einem Ausfall der externen Netzverbindung als Mikrogrid arbeiten und die Versorgung autark gewährleisten. Die Möglichkeit, solche Hybrid-Mikrogrid-Strukturen zu realisieren, eröffnet neue Perspektiven für die Verteilung und Nutzung von Energie, insbesondere in ländlichen oder entlegenen Gebieten, wo eine vollständige Netzverlängerung wirtschaftlich oder technisch nicht sinnvoll ist. Zudem ist die Flexibilität der Hybridlösung ein großer Vorteil bei Störungen, denn sowohl Fehler im AC- als auch im DC-Bereich können getrennt behandelt werden, ohne die gesamte Stromversorgung zum Erliegen zu bringen. Von wirtschaftlicher Seite bietet die Reduzierung der Kabelinfrastruktur und die gleichzeitige Nutzung vorhandener Neutralleiter in AC-Systemen ein erhebliches Einsparpotenzial. Weniger Kabel bedeuten geringere Materialkosten, einfachere Installation und Wartung sowie weniger Platzbedarf in Kabelkanälen und Verteilerschränken.
Zudem fördert diese Technik die Kompatibilität zwischen verschiedenen Verbrauchern und Erzeugern, die sowohl AC- als auch DC-Spannungen benötigen, was eine nahtlose Integration in bestehende und zukünftige Energiesysteme ermöglicht. In der Praxis steckt dieses Konzept zwar noch in der Entwicklungsphase, doch es zeigt enormes Potenzial für eine nachhaltige und effiziente Energieversorgung. Mit der fortschreitenden Digitalisierung und Automatisierung von Verteilnetzen, bekannt als Smart Grids, wird das Management solcher hybriden Systeme zunehmend einfacher, wodurch eine sichere, stabile und anpassungsfähige Netzstruktur gewährleistet werden kann. Die Integration regenerativer Energien durch Photovoltaik und Energiespeicher in die Niederspannungsverteilung wird mit Hybrid-AC/DC-Systemen deutlich erleichtert. Die Möglichkeit, Gleichstrom direkt zu verteilen, vermeidet Energieverluste durch häufiges Umwandeln von Stromarten und erhöht somit die Gesamteffizienz.