Seit über einem Jahrhundert begleitet die Luftfahrt den Menschen auf seiner Reise in die Lüfte, doch eine der ältesten Herausforderungen blieb lange ungelöst: Wie meistern Piloten unterwegs den natürlichen Drang, die Blase zu entleeren? Dieses scheinbar einfache Bedürfnis entpuppte sich als eine komplexe Problematik, die gerade in schnellen, hochdynamischen Einsätzen mit modernen Kampfflugzeugen erhebliche Auswirkungen auf die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit der Piloten hat. Das Problem wurde im Laufe der Jahre immer drängender – insbesondere für weibliche Piloten, deren Zahl in den Luftstreitkräften stetig ansteigt und die mit den traditionell männerzentrierten Lösungen oft unzureichend ausgestattet waren. Moderne Kampfjets wie die F-15 Eagle, F-16 Fighting Falcon, F-22 Raptor, F-35 Lightning II und A-10 Thunderbolt II erreichen Geschwindigkeiten von mehr als 1900 Meilen pro Stunde. Die extremen Bedingungen in diesen Flugzeugen erschweren es den Piloten zusätzlich, den natürlichen Bedürfnissen nachzukommen, ohne die Sicherheit und die Mission zu gefährden. Während männliche Piloten bereits mit Systemen wie Pumpsystemen oder sogenannten „Piddle Packs“ ausgestattet sind, die eine gewisse Erleichterung bieten, waren die vorhandenen Lösungen für weibliche Crewmitglieder oftmals unbequem, unpraktisch und hygienisch bedenklich.
Viele weibliche Piloten berichten von schwierigen Situationen, in denen sie während langer Einsätze auf Flüssigkeitsaufnahme verzichten mussten, um Zwischenfälle zu vermeiden. Capt. Madeleine Poisson, eine F-15-Waffenoffizierin, schilderte ihre Erfahrungen, bei denen sie wortwörtlich mit den Konsequenzen unzureichender Blasenerleichterung konfrontiert wurde. Das sogenannte „Flying Wet“ – also das flugbedingte unbeabsichtigte Einnässen – war für viele Frauen ein belastendes Thema, das neben der persönlichen Peinlichkeit auch die Flugtauglichkeit beeinträchtigen konnte. Die traditionellen Hilfsmittel hatten unterschiedliche Nachteile.
Erwachsene Windeln wurden oft als klobig und unbequem empfunden, während die Piddle Packs ein umständliches Handling erforderten und sich für Frauen nur bedingt eigneten. Dabei bedeutete das Entleeren während eines Einsatzes oftmals ein hohes Risiko, wie zwei dokumentierte Unfälle in den vergangenen Jahrzehnten belegen, bei denen Piloten während des Versuches einer Blasenerleichterung die Kontrolle über ihr Fluggerät verloren. Solche Vorfälle unterstreichen die Dringlichkeit einer sicheren, praktischen und ergonomischen Lösung. Um dem zu begegnen, startete die US-Air Force 2020 die sogenannte „Sky High Relief Challenge“ unter dem Dach von AFWERX – einem Innovationslabor der Streitkräfte, das darauf spezialisiert ist, technische und strategische Probleme in kurzer Zeit zu lösen. Dieses Programm fordert Unternehmen, Akademiker und Entwickler heraus, effiziente Lösungen für das uralte Problem der Blasenerleichterung zu entwickeln, die speziell auf die Bedürfnisse weiblicher Piloten abgestimmt sind.
Die Resonanz war enorm: Neben über 50 Einreichungen wurden letztlich elf Projekte mit einem Preisgeld von 1,5 Millionen Dollar gefördert, um ihre Prototypen weiterzuentwickeln. Die Auswahl fiel schließlich auf den Ansatz von Airion Health, einem aufstrebenden Start-up aus Los Angeles, das ein tragbares, biokompatibles und hochfunktionales System entwickelte, das nicht nur weiblichen, sondern auch männlichen Piloten einen völligen neuen Standard im Cockpit bietet. Das Ergebnis der intensiven Entwicklungsarbeit ist das Advanced Inflight Relief Universal System, kurz AIRUS. Dieses flexible und selbstreinigende Unterwäsche-System integriert eine kleine Pumpe mit weichen Schläuchen, welche die Flüssigkeitsableitung in individuelle „Biofluid“-Beutel steuert. Die Bedienung erfolgt intuitiv über eine Fernsteuerung in der Hand, die es Pilotinnen und Piloten ermöglicht, die Kontrolle über ihr eigenes System zu behalten, ohne die sichere Verstauung oder Konzentration zu beeinträchtigen.
Das Tray ist abnehmbar und am Ende des Fluges einfach zu entsorgen, was die Hygiene und Wartung erheblich vereinfacht. Ein Schlüssel zum Erfolg war die frühe Einbindung weiblicher Perspektiven im Entwicklungsprozess. Airion Health stellte ein multidisziplinäres Designteam zusammen, das aus weiblichen Ärzten, Piloten und Flugsicherheitsingenieuren bestand. Diese Herangehensweise sorgte dafür, dass die Bedürfnisse der Frauen im Cockpit von Anfang an höchste Priorität genossen und das System optimal angepasst werden konnte. Airion-Mitbegründer Colt Seman betonte, wie wichtig es war, Produktdesign und Nutzerbedürfnisse konsequent zu verbinden, um maximale Akzeptanz und Funktionalität zu erreichen.
Die systematische Entwicklung begann im März 2022 mit einem initialen Auftrag über 2,5 Millionen Dollar. Nach umfangreichen Testreihen im Jahr 2023 folgten 2024 erste Flüge mit weiblichen Crewmitgliedern, insbesondere mit F-15-Teams an der Seymour Johnson Air Force Base in North Carolina. Im Januar 2025 wurde die endgültige Version des AIRUS-Systems vorgestellt und für die Beschaffung über die General Services Administration freigegeben. Der Grundpreis liegt bei etwa 4.000 US-Dollar pro Einheit, ein Wert, der angesichts der Bedeutung von Komfort, Sicherheit und Funktionalität als angemessen gilt.
AIRUS bietet verschiedene Größen und Formen der Aufsätze, um den unterschiedlichen Körperformen der Pilotinnen gerecht zu werden. Zudem gibt es Varianten für männliche Piloten, wodurch das System universell einsetzbar ist und weitere Anwendungen in verschiedenen Dienstgraden erlaubt. Bereits mehrere Dutzend Einheiten sind in militärischen Einheiten eingeführt, und weitere Bestellungen befinden sich in der Planung. Die Entwicklungskosten belaufen sich bislang auf etwa 4,5 Millionen Dollar. Die erfolgreiche Implementierung von AIRUS könnte als Vorlage für andere Militärzweige dienen.
Die US-Navy und das Marine Corps planen bereits, das System auch bei ihren Jet-Piloten einzusetzen. Ebenso zeigen die Armeestreitkräfte Interesse, für ihre Hubschrauberbesatzungen ein vergleichbares System zu adaptieren. Darüber hinaus sind langfristige Perspektiven vorgesehen, das AIRUS-System an verbündete Nationen zu exportieren und somit eine breite Wirkung innerhalb der internationalen militärischen Zusammenarbeit zu erzielen. Die Bedeutung dieser Innovation geht weit über den bloßen Komfort hinaus. Dehydrierung, die oftmals durch die bewusste Flüssigkeitsbeschränkung bei Flügen hervorgerufen wird, kann gravierende körperliche und geistige Leistungsabfälle nach sich ziehen.
Studien der Air Force zeigten, dass die Toleranz gegenüber Beschleunigungskräften bei mangelnder Flüssigkeitszufuhr drastisch sinkt, was die Gefahr des sogenannten G-LOC (G-induzierter Bewusstseinsverlust) erheblich steigert. Zudem leiden chronisch dehydrierte Piloten häufig unter gesundheitlichen Problemen wie Nierenleiden, Harnwegsinfekten und langfristigen Inkontinenzproblemen. Die frühere Praxis des „taktischen Dehydrierens“ gilt mittlerweile als gefährlich und kontraproduktiv für die Missionstauglichkeit der Piloten. Die Verbesserung der Ausrüstung durch Systeme wie AIRUS ist ein wichtiger Schritt, um Gesundheit, Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Luftstreitkräfte unter Kampfbedingungen zu gewährleisten. Retired Col.
Samantha Weeks, eine langjährige Befürworterin der Entwicklung passender Ausrüstung für weibliche Piloten, hebt hervor, wie lange dieses Thema bereits vernachlässigt wurde. Die bisherige Datengrundlage für die Ausstattung und Maße von Pilotenberufen beruht überwiegend auf Messungen aus den 1960er Jahren, die ausschließlich männliche Probanden einschlossen. Erst in den letzten Jahrzehnten wurden Anpassungen vorgenommen, doch die Herausforderungen blieben bestehen. Weeks betont, wie wichtig es ist, dass innovative Lösungen nicht nur kurzfristige Linderungen bieten, sondern die grundsätzliche Gleichbehandlung und Ausstattung aller Piloten sicherstellen. Mit dem AIRUS-System ist ein Meilenstein erreicht, der zeigt, wie moderne Innovationen den militärischen Alltag verbessern können.
Pilotinnen wie Capt. Poisson zeigen sich begeistert von der neuen Technologie und empfinden das System als bequem, effektiv und sicher, ohne die Aufmerksamkeit oder Leistungsfähigkeit während der Mission zu beeinträchtigen. Diese positive Resonanz fördert eine schnellere Verbreitung und Akzeptanz in den Streitkräften. Die Einführung dieser fortschrittlichen Blasenerleichterungssysteme signalisiert einen kulturellen und technologischen Wandel in den Luftstreitkräften, der weibliche Piloten unterstützt und gleichzeitig für alle Piloten eine Verbesserung darstellt. Die Kombination aus schneller Entwicklungszeit, interdisziplinärem Design und konsequenter Nutzerorientierung macht AIRUS zu einem Vorbild für zukünftige militärische Innovationen.
Insgesamt zeigen die Fortschritte, wie wichtig es ist, den Menschen hinter der Technik nicht aus den Augen zu verlieren und auch ganz alltägliche Bedürfnisse ernst zu nehmen. Damit sorgt die US Air Force nicht nur für bessere Flugsicherheit und Komfort, sondern trägt auch zur Steigerung der Kampfeffektivität und Einsatzbereitschaft bei, ein nachhaltiger Gewinn für die Verteidigung und das Wohlbefinden der Luftfahrerkameraden. Die Erfolgsgeschichte des AIRUS-Systems verdeutlicht eindrucksvoll, wie innovative Technologien und interdisziplinäre Zusammenarbeit selbst schwierigste Herausforderungen meistern können, und ebnet den Weg für eine neue Ära der fliegerischen Ausrüstung, die niemanden länger im Stich lässt.