Futarchy wurde vor einigen Jahren als eine innovative Idee vorgestellt, die Entscheidungsfindung durch die Nutzung von Prognosemärkten revolutionieren könnte. Gleichzeitig warnt eine wachsende Zahl von Kritikern davor, dass Futarchy auf einem fundamentalen Fehler beruht, der seine Wirksamkeit als Entscheidungsinstrument stark einschränkt. Zentral dabei ist die Erkenntnis, dass bedingte Prognosemärkte zwar Wahrscheinlichkeiten abbilden, jedoch nicht die Kausalzusammenhänge, die für fundierte Entscheidungen notwendig sind. Diese Diskrepanz zwischen bedingten Wahrscheinlichkeiten und kausalen Effekten führt dazu, dass Futarchy in der Praxis nicht das hält, was es vielversprechend verspricht. Im Folgenden wird diese grundlegende Schwäche detailliert untersucht und erläutert, warum das Konzept, so elegant es auf den ersten Blick auch erscheinen mag, in realen Anwendungsszenarien an seine Grenzen stößt.
Zunächst ist es wichtig zu verstehen, was Futarchy überhaupt bedeutet. Das zugrunde liegende Prinzip ist simpel: Entscheidungen sollten basierend auf dem Ergebnis von Prognosemärkten getroffen werden. Konkret heißt das, dass man zwei Märkte eröffnen könnte, die jeweils an unterschiedliche Entscheidungsalternativen gebunden sind. Wenn beispielsweise ein Vorstand über die Zukunft eines CEO entscheiden möchte, könnte man einen Markt eröffnen, dessen Auszahlung an das Ausscheiden des CEO gekoppelt ist, und einen weiteren Markt, der das Fortbestehen des CEO zum Thema macht. Anleger würden dann auf die erwartete Entwicklung bestimmter Zielgrößen – etwa den Aktienkurs – unter der jeweiligen Bedingung wetten.
Die Idee dahinter ist, dass der Markt die beste Einschätzung liefert, welche Handlung langfristig den größten Nutzen bringt. Auf den ersten Blick klingt dieses Entscheidungsmodell verlockend. Es nutzt die kollektiv gesammelten Informationen und Einschätzungen vieler Akteure, die monetär motiviert sind, möglichst richtig zu liegen. Doch hier liegt der erste große Haken: Bedingte Prognosemärkte spiegeln niemals direkte Ursache-Wirkung-Beziehungen wider. Sie sagen nur aus, wie wahrscheinlich ein Ereignis A ist, wenn Ereignis B bereits eingetreten ist – nicht aber, wie sich A verändern würde, wenn man aktiv B herbeiführt.
Das ist ein essenzieller Unterschied, der im Alltag oft unzureichend berücksichtigt wird. Aus der Statistik und Wissenschaft ist bekannt, dass Korrelation nicht gleich Kausalität ist. Wer etwa eine Studie betrachtet, welche zeigt, dass Personen mit hohem Vitamin-D-Spiegel eine geringere Sterblichkeitsrate haben, darf daraus nicht automatisch schließen, dass die Vitamin-D-Aufnahme direkt das Leben verlängert. Vielmehr sind Menschen mit höherem Vitamin-D-Spiegel häufig auch in anderer Hinsicht gesünder, was die vermeintliche Wirkung erklärt. Um echte kausale Wirkung nachzuweisen, sind meist aufwendige randomisierte Studien erforderlich.
Ähnlich verhält es sich bei Futarchy: Ein bedingter Marktpreis, der eine bessere Zukunft unter der Bedingung eines bestimmten Handelns signalisiert, ist kein Beleg dafür, dass die Handlung selbst diese Zukunft bewirkt. Ein konkretes Beispiel aus der Unternehmenswelt macht die Problematik greifbar: Stellen wir uns vor, Robyn Denholm, die Vorstandsvorsitzende von Tesla, könne mithilfe von Prognosemärkten entscheiden, ob Elon Musk als CEO abgelöst werden sollte. Dafür werden zwei Märkte eröffnet – einer, der auf den Aktienkurs sechs Monate nach einer Entlassung wettet, und ein zweiter, der den Kurs bei Musk als CEO abbildet. Wenn der Markt für einen niedrigeren Aktienkurs im Falle der Entlassung steht, könnte man slußfolgern, dass Musk bleiben sollte. Doch genau hier zeigt sich der Denkfehler.
Der Marktpreis in der „Musk-entlassen“-Welt kann auch deshalb sinken, weil gerade ein fallender Aktienkurs die Entlassung auslöst – also eine umgekehrte Kausalität vorliegt. Zudem könnten andere Faktoren, wie dramatische Führungskämpfe oder interne Sabotage nach einer Entlassung, die Kursentwicklung beeinflussen und somit den wahren kausalen Effekt verdecken. Auch wenn man die Zeitdimension berücksichtigt – man betrachtet etwa nur den Aktienkurs nach der Entscheidung – bleibt das Problem bestehen. Zukunftstrends, Erwartungen und Reaktionen anderer Marktteilnehmer können die Preise beeinflussen, ohne dass eine klare Ursache-Wirkung-Beziehung vorliegt. Somit ist es schlicht nicht möglich, mit einfachen bedingten Prognosemärkten eindeutige kausale Schlüsse für Handlungen zu ziehen.
Es ist eine weitere naheliegende Idee gewesen, die Märkte nicht nur zur Information zu nutzen, sondern sie direkte Entscheidungen treffen zu lassen. Man könnte vorab festlegen, dass die Entscheidung, beispielsweise Musk zu entlassen, anhand der Marktpreise automatisch ausgeführt wird. Dennoch stellt sich hier keine Magie ein, die das Kausalproblem einfach auflöst. Gruppendynamiken, Erwartungen, strategische Spielzüge und Unsicherheiten verändern vielmehr die Anreize der Marktteilnehmer, so dass diese nicht mehr ihre wahren Überzeugungen ausdrücken. Stattdessen kalkulieren sie mögliche Reaktionen anderer und passen ihr Verhalten entsprechend an, was die Interpretation der Marktpreise zusätzlich erschwert.
Mathematisch und spieltheoretisch gesehen wurde nachgewiesen, dass es keine einfache Abbildung oder Auszahlungsmethode gibt, die dazu führt, dass bedingte Prognosemärkte immer wahre kausale Erwartungen widerspiegeln. Selbst fortgeschrittene Umgestaltungen der Auszahlungsstrukturen können diese grundlegende Schwäche nicht vollständig beheben. Vor allem die Tatsache, dass bedingte Wahrscheinlichkeiten wie P(A|B) keine Aussagen darüber machen, was geschieht, wenn man tatsächlich B herbeiführt (notiert als P(A|do(B))), bleibt ein schwer zu überwindendes Problem. Das bedeutet aber nicht, dass Futarchy oder bedingte Prognosemärkte insgesamt wertlos sind. Sie können wichtige Informationsquellen darstellen und sind ein nützliches Werkzeug im Rahmen der verfügbaren Evidenz.
Ihre Ergebnisse sollten jedoch immer kritisch und vorsichtig interpretiert werden, ähnlich wie Beobachtungsdaten in der Wissenschaft. Prognosemärkte können Hinweise liefern, die dann mittels zusätzlicher Analysen und Methoden überprüft werden müssen, um kausale Schlüsse mit höherer Zuverlässigkeit zu ziehen. Übrigens wurde diese fundamentale Herausforderung nicht erst kürzlich erkannt. Schon 2013 wies der Ökonom Robin Hanson auf die Verzerrungen hin, die entstehen, wenn Entscheidungsträger wichtige Informationen vor den Marktteilnehmern zurückhalten oder wenn die zu untersuchenden Entscheidungen selbst Rückschlüsse auf verborgenes Wissen erlauben. Später, etwa 2015, wurde der Zusammenhang zwischen Korrelation, Kausalität und Prognosemärkten weiter konkretisiert und ausgearbeitet.
Die Forschung in diesem Bereich entwickelt sich kontinuierlich weiter, mit dem Ziel, mechanische Methoden zu finden, die tatsächlich kausale Erkenntnisse aus Marktinformationen ableiten können. Letztlich gibt es Ansätze aus der Statistik und Kausalforschung – etwa Instrumentvariablenmethoden, experimentelle Designs und neuere maschinelle Lernverfahren – die sich theoretisch auf Prognosemärkte übertragen lassen. Allerdings sind diese Alternativen komplex und mit erheblichen Anforderungen verbunden, was die einfache Anwendung von Futarchy als Entscheidungsmechanismus einschränkt. Es ist also keineswegs so, dass das Problem unlösbar ist, aber es ist definitiv teuer, aufwendig und keineswegs „kostenlos“ wie einige Optimisten denken. Für Entscheidungsträger, die mit Futarchy-Rahmenwerken arbeiten wollen, ist die zentrale Empfehlung daher, Prognosemärkte als einen Teil des Entscheidungsprozesses zu betrachten, nicht als alleinige Autorität.