Südkorea steht erneut vor einer entscheidenden Wahl, bei der ein neuer Präsident bestimmt wird, der die Weichen für die zukünftige politische, wirtschaftliche und diplomatische Ausrichtung des Landes stellen soll. Im Zentrum des aktuellen Wahlkampfes steht Lee Jae-myung, der Führer der Hauptoppositionspartei Demokratische Partei, der sich als Favorit und Spitzenkandidat für die Präsidentschaft etabliert hat. Mit seinen klaren Versprechen zur Bekämpfung von wirtschaftlicher Ungleichheit und einer pragmatischen Außenpolitik rückt Lee als Hoffnungsträger einer breiten Wählerbasis immer mehr ins Rampenlicht. Lee Jae-myung kündigte offiziell seine Kandidatur am 10. April 2025 an und unterstrich in seiner Erklärung den Fokus auf die Überwindung von Ungleichheiten, die seiner Ansicht nach eine bedeutende Ursache für die sozialen Spannungen und die jüngsten politischen Krisen im Land sind.
Besonders markant war seine Kritik an der politischen Entwicklung unter dem Amtsvorgänger Yoon Suk Yeol, dessen Entscheidung, im Dezember 2024 das Kriegsrecht zu verhängen, durch das Verfassungsgericht bestätigt wurde, was jedoch erhebliche Kontroversen auslöste. In einer Zeit der Unruhe versprach Lee, seine Präsidentschaft zu nutzen, um mit gezielten Maßnahmen und großangelegten Investitionen in Technologie und Talententwicklung die wirtschaftliche Dynamik Südkoreas wieder zu beleben. Viele Experten sehen in Lee Jae-myung einen Politiker, der trotz seiner liberalen Wurzeln einen pragmatischen Mittelweg in der Außenpolitik beschreiten will. Dies ist besonders wichtig in der Beziehung zu den Vereinigten Staaten und Japan, die zentrale Partner Südkoreas in sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Hinsicht sind. Lee betonte wiederholt, dass die nationale Interessen des Landes stets an erster Stelle stehen müssten und dass eine enge Zusammenarbeit mit den Alliierten sowohl mit Augenmaß als auch mit dem nötigen Realismus geführt werden müsse.
Dies wird vor dem Hintergrund wachsender geopolitischer Spannungen in der Region als eine strategisch kluge Haltung betrachtet. Der politische Weg von Lee Jae-myung ist nicht ohne Herausforderungen. Der 61-Jährige hat bereits bei der Präsidentschaftswahl 2022 knapp gegen den heutigen Präsidenten Yoon Suk Yeol verloren – mit dem geringsten Unterschied in der Geschichte Südkoreas. Ein Jahr später führte er seine Partei mit überwältigendem Erfolg in das südkoreanische Parlament, was seine Popularität und seine Fähigkeit zur Mobilisierung seiner politischen Basis unterstreicht. Trotz seiner Erfolge sieht sich Lee gegenwärtig auch mit mehreren juristischen Hürden konfrontiert.
Er wird mit unterschiedlichen Anklagen konfrontiert, die von angeblicher Bestechung bis hin zu einem Milliarden-Dollar-Immobilienprojekt-Skandal reichen. Diese Verfahren werfen einen Schatten auf seine Kandidatur und könnten potenziell seine politische Laufbahn beeinträchtigen. Die Justiz befindet sich noch mitten in der Beurteilung dieser Fälle, sodass unklar bleibt, ob und wie diese rechtlichen Probleme seinen Wahlkampf beeinflussen werden. Auch unter seiner Anhängerschaft ist die Lage zwiegespalten. Während liberale Wähler Lee als Symbol für Fortschritt und soziale Gerechtigkeit sehen, warnen konservative Kreise davor, dass seine Politik die bestehende Allianz mit den USA schwächen und die Beziehungen zu Japan beeinträchtigen könnte.
Diese Bedenken spiegeln eine tieferliegende Spannung wider, die Südkorea seit Jahren zwischen seinen traditionellen Verbündeten und seiner eigenen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Agenda auszubalancieren versucht. Neben Lee zeichnet sich auf der konservativen Seite ein durchwachsenes Bild ab. Die regierende People Power Party (PPP) plant ihre Kandidatenauswahl erst im Mai per Vorwahl zu treffen, doch bereits jetzt zeigen sich einige prominente Anwärter. Einer davon ist Han Dong-hoon, ein ehemaliger Justizminister, der zuletzt durch seine Unterstützung des Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsident Yoon Suk Yeol auffiel. Han gehört zu einer wachsenden Zahl von konservativen Kandidaten, denen es bisher schwerfällt, breite Zustimmung zu generieren.
Auch Oh Se-hoon, der Bürgermeister von Seoul, und Ahn Cheol-soo aus der Regierungspartei könnten in den Wettkampf eingreifen. Gegenwärtig liegen deren Popularitätswerte jedoch deutlich hinter denen von Lee zurück. Neben den politischen und rechtlichen Herausforderungen hat Lee Jae-myung auch persönliche Krisen gemeistert. Anfang 2024 überlebte er einen Messerangriff bei einer öffentlichen Veranstaltung, der ihn zur Operation zwang. Dieses Ereignis brachte ihm viel Mitgefühl und weitere Unterstützung ein, hat aber auch die politische Atmosphäre weiter angeheizt.
Es verdeutlicht die Spannungen und das hohe Niveau der Polarisierung innerhalb der südkoreanischen Gesellschaft. Im wirtschaftlichen Bereich steht der nächste Präsident Südkoreas vor ernsten Prüfsteinen. Die Exportnation sieht sich zunehmendem Druck durch internationale Handelsspannungen und insbesondere durch Konflikte mit den USA bei Zollfragen ausgesetzt. Die Wirtschaftspolitik, die Lee verfolgt, basiert auf einer Kombination aus staatlicher Förderung für Schlüsselindustrien, Innovationsförderung und sozialer Umverteilung. Indem er wirtschaftliche Polarisierung als die Wurzel vieler Probleme identifiziert, versucht er, breite Bevölkerungsschichten anzusprechen, die sich von der aktuellen Politik vernachlässigt fühlen.
Die diplomatische Landschaft Ostasiens stellt für Südkorea ebenfalls eine komplexe Herausforderung dar. Der ständige Balanceakt zwischen den Beziehungen zu China, den USA und Japan erfordert eine geschickte politische Führung, die nicht nur Sicherheitsfragen berücksichtigt, sondern auch wirtschaftliche und kulturelle Verflechtungen. Lees Ansatz, eine pragmatische und national interessenorientierte Außenpolitik zu verfolgen, könnte eine neue Richtung vorgeben, die auf Dialog und Partnerschaft setzt, aber auch die Autonomie Südkoreas stärkt. Das Rennen um die Präsidentschaft im Juni 2025 wird damit zu einem der spannendsten politischen Ereignisse in Südkorea der letzten Jahre. Lee Jae-myung als Favorit zeigt, wie sehr die Bevölkerung eine Veränderung und eine neue Richtung sucht, besonders angesichts der jüngsten politischen Unruhen und der anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen.