Cricket – eine Sportart, die traditionell mit England und anderen Commonwealth-Ländern verbunden ist – hat in den Vereinigten Staaten eine faszinierende, wenn auch wechselvolle Geschichte. Obwohl Cricket in Nordamerika einst populärer war als Baseball, wurde es von der amerikanischen Sportkultur lange Zeit an den Rand gedrängt. Doch in den letzten Jahren zeichnet sich ab, dass sich das Blatt wendet. Die Frage, ob Cricket endlich den amerikanischen Markt knacken konnte, wirft Licht auf verschiedene Aspekte – von der historischen Entwicklung über die sozio-kulturelle Situation bis hin zu den neuen wirtschaftlichen und organisatorischen Strukturen, die das Spiel heute prägen. Bereits Mitte des 18.
Jahrhunderts war Cricket an der Ostküste der USA, besonders in New York, durchaus populär. Historische Berichte belegen Spiele zwischen lokalen Mannschaften und Teams aus England, und sogar ein berühmtes erstes internationales Match zwischen den USA und Kanada fand 1844 statt – das gilt als das erste offizielle internationales Sportereignis überhaupt. Doch der amerikanische Bürgerkrieg und die Entwicklung neuer Sportarten führten zum Niedergang von Cricket. Baseball, das mit geringeren Anforderungen an Ausrüstung und Spielflächen auskam, wurde schnell zum amerikanischen Nationalsport und verdrängte eine Sportart, die als zu komplex und typisch englisch wahrgenommen wurde. Der Verlust der Cricket-Popularität in den USA war auch mit organisatorischen Problemen verbunden.
Der Ausschluss aus der damaligen Imperial Cricket Conference ab 1909 und die späte Aufnahme in den International Cricket Council 1965 führten dazu, dass der amerikanische Cricket-Sport von der internationalen Szene isoliert blieb. Internationale Wettkämpfe und bedeutende Förderung blieben aus. Zudem dominierte das Spiel weiterhin vornehmlich in kleinen, oft ländlichen oder wohlhabenderen Zirkeln, etwa in Philadelphia, wo Cricket durch exklusive Clubs gepflegt wurde. Trotzdem hielten engagierte Communities, vor allem Einwanderer aus Asien und der Karibik, den Sport lebendig. Die neuere Geschichte des Cricket in den USA ist geprägt von zahlreichen Versuchen, den Sport professionell aufzustellen und ihm eine breitere Basis zu geben.
Beginnend mit Initiativen wie der Pro Cricket League im Jahr 2004, die zwar spektakulär wirkten, aber aufgrund mangelnder Planung und fehlender Marktkenntnis bald scheiterten, über mehrere weitere halbprofessionelle Ligen bis hin zu Exhibition-Events – keiner dieser Versuche hatte nachhaltigen Erfolg. Ein bekanntes Beispiel war der Stanford 20/20-Turnierversuch, bedacht mit großem finanziellem Engagement, der jedoch durch den Skandal um den Initiator zu einem unrühmlichen Ende kam. Die Offenheit für Cricket wächst jedoch kontinuierlich. In der Zeit seit der Jahrtausendwende hat sich die Bevölkerungsstruktur der USA verändert. Die indisch-amerikanische Gemeinschaft verzeichnete eine Zunahme von mehr als 50 % in den 2010er Jahren, dazu kommen mehrere Millionen pakistanisch-amerikanische, bangladeschisch-amerikanische und karibisch-amerikanische Einwohner.
Diese Gruppen bringen ihre Begeisterung für Cricket mit und schaffen eine neu entstehende Fanbasis. Sie halten Webseiten, Pubs und Fanclubs am Leben, die speziell auf Cricket ausgerichtet sind. Ebenso wächst das Interesse an Nachwuchs- und Amateurveranstaltungen. Ein wichtiger Wandel ist die Gründung von USA Cricket als neuer offizieller Verband im Jahr 2019, nachdem der Vorgängerverband USA Cricket Association (USACA) aufgrund von Governance-Problemen mehrfach suspendiert und schließlich ausgeschlossen wurde. Der neue Verband steht vor der gewaltigen Aufgabe, eine Sportszene, die geographisch riesig und sozial vielfältig ist, zu organisieren und zu professionalisieren.
Er hat trotz knapper Mittel und Personal bereits erste Erfolge erzielt, insbesondere durch Kooperationen mit internationalen Organisatoren und der ICC, der Welt-Cricket-Organisation. Die vielleicht bedeutendste Entwicklung ist allerdings die Einführung von Major League Cricket (MLC), einer Franchise-basierten Liga, die 2023 gestartet wurde und mittlerweile offizieller Bestandteil der T20-Wettbewerbe ist. Diese Liga wird von einer Gruppe prominenter Technologie- und Venture-Capital-Investoren getragen, die selbst Teil der Diaspora sind und sich dem Aufbau eines nachhaltigen Cricket-Marktes verschrieben haben. Namen wie Satya Nadella (Microsoft) und andere Führungskräfte aus Silicon Valley sind mit von der Partie, was dem Sport eine jahrzehntelange Perspektive und die nötige finanzielle Stärke gibt. Das Konzept von Major League Cricket orientiert sich stark an den populären Kurzformat-Varianten, die bei internationalen Turnieren wie dem T20 World Cup populär sind.
Kürzere, actionreiche Spiele sind besser für das amerikanische Publikum geeignet und leichter zu vermarkten. Die Liga setzt zudem auf die Einbindung bestehender Teams aus den großen Cricket-Ländern durch Investments und Partnerschaften, um Qualität und Anziehungskraft zu garantieren. So gibt es zum Beispiel Verbindungen zu indischen IPL-Franchises. Und was steckt hinter dem Erfolgsrezept für die Zukunft? Es ist das Zusammenspiel zahlreicher Faktoren: der Explosion der Bevölkerungszahl von Cricket-begeisterten Communities, das gesteigerte Bewusstsein durch große internationale Events, die sich auch in den USA ausrichtenden Turniere wie der T20 World Cup, bei dem die USA im Wettbewerb eine neue Rolle spielten, und natürlich die professionelle Organisation und Finanzierung. Der T20 World Cup 2024, der teilweise in New York und anderen US-Städten ausgetragen wurde, war dafür ein Meilenstein.
Obwohl das temporäre Stadionkonzept, etwa im Eisenhower Park in Nassau County, nicht ganz optimal war und die Infrastruktur mancherorts zu wünschen übrig ließ, lockte das Event zehntausende Zuschauer an und erhielt enorme Medienresonanz. Die Partie zwischen Indien und Pakistan an einem der Spielorte begeisterte ein Publikum, das an amerikanische Sportveranstaltungen erinnert – inklusive Prominenten und lebhaftem Medieninteresse. Dieses Ereignis zeigte, dass Cricket das Potenzial hat, eine Nische im US-Sportmarkt einzunehmen. Dennoch sind Herausforderungen weiterhin präsent. Die mangelnde Infrastruktur ist nach wie vor eine wesentliche Hürde.
Es fehlt an ausreichenden Spielfeldern, Trainingsmöglichkeiten und qualifizierten Trainern. Auch die Verbreitung über die verschiedensten ethnischen Gemeinschaften hinweg ist komplex und erfordert gezielte Programme, um Cricket nicht nur als Sport der Diaspora, sondern als amerikanischen Sport etabliert zu sehen. Die großen Flächen der USA erschweren zudem die Zentralisierung des Cricket-Betriebs. Zudem geht es um kulturelle Akzeptanz. Baseball, Basketball und American Football sind tief in der Identität der Nation verwurzelt, und viele Amerikaner sehen Cricket als exotisch, langwierig oder kompliziert an.
Aus diesem Grund versuchen die Organisatoren, das Spiel durch modernes Format und actionreiche Inszenierung attraktiver zu machen und mehr junge Menschen an den Sport heranzuführen. Die Integration von Cricket-Programmen in Schulen und kommunale Sportangebote wird als wichtiger Hebel gesehen. Neben dem sportlichen und infrastrukturellen Wachstum spielt auch das olympische Ereignis, für das Cricket ab den Spielen 2028 in Los Angeles ins Programm aufgenommen wurde, eine entscheidende Rolle. Die olympische Bühne schafft Sichtbarkeit und fördert das Interesse der breiten Öffentlichkeit und der offiziellen Institutionen. Dies gilt als eine einmalige Chance, Cricket endgültig im amerikanischen Kulturgefüge zu verankern.
Insgesamt ist der US-Cricket-Sektor also auf dem besten Weg, eine Renaissance zu erleben. Während es vor 20 oder sogar 10 Jahren noch aussichtslos schien, sprechen heute professionelle Ligen, investitionsfreudige Eigentümer, eine wachsende Fanbasis und internationale Unterstützung eine andere Sprache. Der Vergleich mit der Entwicklung des Fußballs in den USA ist häufig genannt und durchaus aussichtsreich. Wie dieser begann Cricket klein und unscheinbar – aber inzwischen rückt der Sport in greifbare Nähe eines ernstzunehmenden Marktes in Amerika. Wie die Zukunft genau aussehen wird, hängt von der weiteren Professionalisierung, der Entwicklung von Heimspielstätten, der Integration mit der Gesellschaft und letztlich auch von der Breitenwirkung ab.
Die aktuelle Dynamik ist ermutigend und zeigt, dass Cricket in den USA lange nicht tot ist – sondern kurz davor steht, ein unverzichtbarer Teil des amerikanischen Sports zu werden. Die glorreiche Geschichte der Vergangenheit, die Kämpfe der Gegenwart und die Hoffnungen für morgen verbinden sich zu einer spannenden Erfolgsgeschichte, die den Geist und die Vielfalt der Vereinigten Staaten widerspiegelt und erweitert.