Die Bildbranche befindet sich an einem Wendepunkt, der bislang ohnegleichen ist. Generative Künstliche Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren einen rasanten Fortschritt erlebt und sorgt mit Technologien wie Midjourney, DALL·E und Adobe Firefly für eine tiefgreifende Umwälzung der Art und Weise, wie visuelle Inhalte erzeugt und genutzt werden. Diese Tools ermöglichen es, fotorealistische Bilder allein durch Textbefehle innerhalb von Sekunden zu erstellen – eine Fähigkeit, die das starke Wachstum und die Bedeutung der traditionellen Stockfotografie auf harte Proben stellt. Die Verbreitung generativer KI ist beeindruckend schnell: Bereits im August 2024 hatte fast 40 Prozent der US-Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren die Technologie mindestens einmal genutzt. Damit übertrifft die Akzeptanzrate jene der frühen persönlichen Computer oder des Internets in deren Anfangsjahren.
Besonders im Marketing-Bereich, der von hohem visuellen Bedarf geprägt ist, haben knapp vier von zehn Marketern KI-Tools zur Erstellung von Social-Media-Grafiken oder Webseitenbildern integriert. Diese rasante Verbreitung bedeutet für die Branche einen tiefgreifenden Wandel, der nicht nur die traditionellen Kreativschaffenden, sondern auch die etablierten Stock-Agenturen betrifft. Die globale Stockfotografiebranche wurde im Jahr 2024 auf etwa 4,65 Milliarden US-Dollar geschätzt und soll bis 2030 auf fast sieben Milliarden anwachsen. Parallel dazu explodiert der Markt für KI-Bildgeneratoren förmlich: Von 300 Millionen Dollar 2023 wird ein Wachstum auf bis zu 60 Milliarden Dollar im Jahr 2030 prognostiziert. Dieses enorme Potenzial unterstreicht die disruptive Kraft, die generative KI in den kommenden Jahren auf den Ursprung und die Vermarktung visueller Inhalte ausüben wird.
Die Situation etablierter Stock-Agenturen wie Shutterstock und Getty Images gibt einen aufschlussreichen Einblick in den Wandel. Shutterstock konnte 2024 insgesamt 935 Millionen Dollar Umsatz erzielen, wovon ein Teil auf den Ausbau im KI-Bereich zurückzuführen ist. Die Einnahmen aus der Lizenzierung von KI-generierten Inhalten lagen bei 104 Millionen Dollar und sollen bis 2027 auf 250 Millionen steigen. Dieser neue Zweig ist ein wichtiges Standbein neben den traditionellen Einnahmequellen aus Fotolizenzen. Im Gegensatz dazu verzeichnet Getty Images einen Rückgang der Einnahmen im Bereich Creative Licensing um 4,5 Prozent im selben Jahr, obwohl das Gesamtunternehmen wächst.
Dies zeigt, dass sich die Nachfrage verschiebt und die Kernbereiche der klassischen Stockfotografie rückläufig sind – eine Entwicklung, die von den Unternehmen zwar nicht offen auf KI zurückgeführt wird, aber in der strategischen Ausrichtung deutlich spürbar ist. Diese Verschiebung macht sich nicht nur bei den großen Agenturen bemerkbar: Auch Kreative in angrenzenden Bereichen fühlen sich bereits betroffen. Illustratoren berichten zum Beispiel von Einkommensverlusten und Auftragsrückgängen, die sie auf die Konkurrenz durch KI-gestützte Bilderzeugung zurückführen. Studien zeigen, dass ein großer Teil jener, die mit visueller Kunst ihr Geld verdienen, eine Einkommenseinbuße fürchtet oder sogar schon erlitten hat. Eine vorsichtige Hochrechnung geht davon aus, dass allein durch die Verdrängung von fünf bis fünfzehn Prozent der Nachfrage nach Stockbildern weltweit ein Umsatzverlust von mehreren hundert Millionen Dollar jährlich droht.
Für die Agenturen selbst, die etwa die Hälfte des Marktes kontrollieren, bedeutet dies einen erheblichen direkten Einnahmerückgang. Neben dem offensichtlichen Umsatzrückgang sind die Gewinnmargen unter weiterem Druck. KI-generierte Bilder bieten zahlreiche Vorteile: Sie sind sofort verfügbar, vollständig anpassbar und garantieren neue, individuelle Bildwelten ohne das Risiko der Übernutzung – ein häufig genanntes Problem bei klassischen Stockfotos. Berichte aus der Praxis belegen bereits den Einfluss auf lukrative Aufträge: So verlor ein Fotograf einen Kampagnenauftrag im Wert von 15.000 Euro an eine Agentur, die ausschließlich KI-generierte Visuals anbot.
Die allgemeine Stimmung in der Branche ist zunehmend angespannt. In Fachforen steigen Begriffe wie „Todesspirale“ und „Panik“ auf, wenn die Zukunft der traditionellen Fotografie diskutiert wird. Viele Analysten und Branchenkenner prognostizieren, dass Stockbilder zu den ersten kreativen Ressourcen gehören, die massenhaft von KI ersetzt werden. Die öffentliche Kommunikation der Agenturen vermittelt zwar nach außen Zuversicht und Flexibilität, doch die wachsenden Investitionen in AI-integrative Lösungen und die Lizenzierung von Datenpositionen zeigen, dass der Einfluss von KI als existenzielle Bedrohung ernst genommen wird. Erwähnenswert ist dabei das Spannungsfeld zwischen der Nachfrage nach traditionellen Lizenzen und den neuen Erträgen aus KI-Inhalten.
Zwar meldet Shutterstock beispielsweise, dass bis dato keine „materielle Verdrängung“ traditioneller Bestandskunden durch KI beobachtet wird – doch kann dies auch einer Verzögerung in der Umsatzentwicklung oder einem bewussten Zurückhalten von Details in Finanzberichten geschuldet sein. Das Wachstum durch KI-Einnahmen könnte bestehende Einnahmerückgänge kaschieren. Eine weitere unklare Variable ist das rechtliche Umfeld. Die Frage, inwieweit KI-generierte Bilder auf bestehenden urheberrechtlich geschützten Werken basieren und ob diese Trainingsdaten lizenziert werden müssen, ist noch nicht abschließend geklärt. Bislang existieren keine verbindlichen Regeln, die Unternehmen verpflichten, für die Nutzung von geschütztem Material zur KI-Ausbildung Lizenzgebühren zu zahlen.
Zahlreiche laufende Gerichtsverfahren und Gesetzgebungsverfahren beschäftigen sich jedoch mit diesem Thema, dessen Ausgang richtungsweisend für die Zukunft der gesamten Branche sein wird. Um rechtlichen und wirtschaftlichen Risiken zu begegnen, haben große Agenturen damit begonnen, selbst aktiv Inhalte und Metadaten aus ihren umfangreichen Bildarchiven an namhafte KI-Entwickler wie OpenAI, Meta oder Nvidia zu lizenzieren. Shutterstock erzielte auf diesem Weg bereits einen bedeutenden Umsatzanteil und erwartet einen weiteren Anstieg. Dieser Vertriebsweg fungiert als kurzfristige Einkommensquelle und sichert zugleich Marktzugang in einem sich dynamisch entwickelnden Segment. Diese Strategie birgt allerdings auch Risiken, denn die Lizenznehmer sind gleichzeitig die Entwickler der KI-Bildgeneratoren, die letztlich das Lizenzgeschäft mit klassischen Fotos bedrohen.
Hinzu kommt ein ökonomisches Paradoxon: Ein einmal trainiertes Modell benötigt für die Bildgenerierung keine wiederholten weiteren Lizenzgebühren, was mittelfristig das Geschäftsmodell der Datenlizenzierung unter Druck setzen kann. Insgesamt steht die traditionelle Fotoagenturbranche vor einem fundamentalen Umbruch. Während die Umsatzzahlen noch nicht vollumfänglich zeigen, wie stark der Einfluss generativer KI ist, deuten die verbundenen Marktbewegungen, Einschätzungen von Branchenkennern und erste wirtschaftliche Daten auf eine deutliche Erschütterung etablierter Einnahmequellen hin. Die Verschiebung hin zu KI-basierten Bildlösungen wirkt sich nicht nur auf Umsatz- und Margenseiten aus, sondern verändert auch die grundlegende Wertschöpfung im visuellen Content. Die Herausforderung für etablierte Unternehmen liegt darin, den Spagat zu schaffen zwischen der Bewahrung traditioneller Geschäfte und der konsequenten Integration neuer Technologien.
Ein „Weiter so“ wird nicht funktionieren. Unternehmen müssen ihren Kundenfokus neu definieren und flexible Lizenzmodelle erarbeiten, die den Bedürfnissen nach Individualisierung, Schnelligkeit und Originalität gerecht werden. Zugleich werden die Rahmenbedingungen der Branche auch stark von politischen und rechtlichen Entwicklungen abhängen. Das Fehlen klarer Regelungen zur Lizenzierung von Trainingsdaten und Urheberrechten in KI-Systemen führt zu Unsicherheit und Stillstand auf einigen Ebenen. Eine rasche Klärung dieser Fragen ist essentiell, sowohl zum Schutz der Rechte der Creators als auch zur Stabilisierung eines Marktes, der sich neu ordnen muss.