Die Lebensmittelindustrie steht vor einem grundlegenden Wandel, bei dem traditionelle Molkereiunternehmen zunehmend in den Bereich der pflanzlichen Alternativen eintreten. Diese Entwicklung ist darauf zurückzuführen, dass Verbraucher weltweit ihre Ernährung bewusster gestalten und pflanzliche Produkte als gesundheitsfördernd, nachhaltig und ethisch ansprechend wahrnehmen. Große Molkereiunternehmen, die über Jahrzehnte dominierende Positionen auf dem Milchmarkt innehatten, erkennen die Bedeutung dieser neuen Produktkategorie als Chance für Wachstum und Zukunftssicherung. Dabei geht es nicht darum, den klassischen Milchprodukten abzuschwören, sondern vielmehr darum, ihr Portfolio zu erweitern und so eine breitere Käuferschicht anzusprechen. Die Transformation der Branche zeigt sich exemplarisch an den Aktivitäten einiger führender Unternehmen und ihrer Investitionen in innovative pflanzliche Lebensmittel und Technologien.
Ein herausragendes Beispiel hierfür ist die Bel Group, ein französischer Molkereiriese, der vor allem für seine Marken wie Laughing Cow und Babybel bekannt ist. Das Unternehmen verfolgte ab 2019 eine gezielte pflanzenbasierte Geschäftsstrategie, um nachhaltiges Wachstum zu fördern. Bel stellte klar, dass sie ihr Geschäftsmodell künftig erweitern wollen, indem neben klassischen Milchprodukten auch pflanzliche und hybride Varianten von Käse, Joghurt und weiteren Milchprodukten angeboten werden. Diese Entscheidung spiegelt den Trend wider, dass pflanzenbasierte Lebensmittel längst eine feste und wachsende Kategorie im Markt darstellen. Mit der Investition in Yofix Probiotics, einem israelischen Start-up für milchfreie Joghurts, und dem Erwerb einer Mehrheit an All In Foods, einem französischen Hersteller pflanzenbasierter Käsealternativen, zeigte Bel früh sein Engagement.
Die Ankündigung, für jede seiner traditionellen Marken eine vegane Alternative zu entwickeln, unterstrich die klare Absicht, sich als Innovator in der pflanzenbasierten Branche zu positionieren. Neben Direktinvestitionen in Start-ups setzt Bel auch verstärkt auf neue Technologien. So erwarb das Unternehmen Anteile an Standing Ovation, einem Pariser Forschungsunternehmen, das durch Fermentation tierfreie Kaseine produziert – ein Schlüsselbestandteil für Käsealternativeprodukte. Die Nutzung solcher biotechnologischen Lösungen kann die Qualitätsunterschiede zwischen pflanzlicher Alternative und Käse aus tierischer Milch verringern und spricht umweltbewusste Konsumenten an, die neben geschmacklichen Aspekten auch nachhaltige Herstellungsverfahren fordern. Darüber hinaus kooperierte Bel mit dem KI-gestützten Start-up Climax Foods, um den Geschmack und die Textur pflanzlicher Produkte weiter zu verbessern und marktgerechte Versionen bekannter Marken wie Boursin zu entwickeln.
Auf der anderen Seite hat aber auch Bel erkannt, dass die Kommerzialisierung pflanzlicher Käseprodukte herausfordernd sein kann. So kündigte das Unternehmen 2025 an, die Marke Nurishh, die zuvor als pflanzliche Käsealternative lanciert wurde, aufgrund mangelnder Rentabilität einzustellen und den dazugehörigen Produktionsstandort in Saint-Nazaire zu schließen. Diese Entwicklung zeigt, dass trotz steigender Nachfrage pflanzliche Produkte noch nicht in allen Segmenten problemlos wirtschaftlich tragfähig sind. Hohe Produktionskosten, Skalierbarkeit und Verbraucherakzeptanz bleiben zentrale Hürden für die Branche. Neben Bel sind auch weitere große Milchproduzenten in diesem Feld aktiv.
Chobani, ein US-amerikanischer Joghurthersteller, hat sich beispielsweise in den späten 2010er Jahren verstärkt auf pflanzenbasierte Joghurtalternativen konzentriert. Das Unternehmen hat eine Reihe von Produktinnovationen vorangetrieben, die auf pflanzlichen Rohstoffen wie Kokosnuss oder Erbsenprotein basieren, um der wachsenden Nachfrage nach gesunden und veganen Produkten gerecht zu werden. Mit einer starken Markenpositionierung im Bereich Naturjoghurt gelingt es Chobani, sich auch in der pflanzenbasierten Nische zu behaupten und Kundinnen und Kunden zu gewinnen, die Wert auf Qualität und Geschmack legen. Auch globale Molkereikonzerne reagieren auf die Veränderungen im Markt. Sie investieren zunehmend in Forschung und Entwicklung, um neben klassischen Milcherzeugnissen auch pflanzliche und hybriderzeugte Produkte anbieten zu können, bei denen Bestandteile tierischer und pflanzlicher Herkunft kombiniert werden.
Diese hybriden Produkte sollen den Verbraucher*innen eine Brücke bieten zwischen vertrauten Geschmackswelten und der pflanzenbasierten Alternative, wobei gleichzeitig Nachhaltigkeitspotentiale ausgeschöpft werden. Darüber hinaus richtet sich das Interesse vieler Firmen auf völlig neue Kategorien wie zellkultivierte Milchprodukte, die ohne Tierhaltung hergestellt werden. Diese Technologie steckt zwar noch in den Anfängen, bietet aber die Aussicht auf klimafreundliche und ethisch unbedenkliche Milchalternativen mit Eigenschaften, die der konventionellen Milch sehr nahekommen. Die Kombination aus pflanzenbasierten Zutaten, Fermentation und Zellkultur verspricht langfristig die wohl ambitionierteste Neuausrichtung des Molkereisektors. Der Trend zur pflanzlichen Ernährung wird von mehreren Faktoren getrieben.
Zum einen wächst das Umweltbewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die konventionelle Milchproduktion ist ressourcenintensiv und verursacht Treibhausgasemissionen sowie Land- und Wasserverbrauch, die durch pflanzliche Alternativen teils deutlich reduziert werden können. Zum anderen spielt die persönliche Gesundheit eine immer größere Rolle: Viele Menschen meiden Milchprodukte aufgrund von Laktoseintoleranz, Allergien oder einer bewussteren Ernährungsweise zugunsten pflanzlicher Varianten. Auch ethische Überlegungen, die das Wohl der Tiere in der Landwirtschaft betreffen, tragen dazu bei, dass pflanzenbasierte Milchprodukte an Bedeutung gewinnen. Die Einbindung pflanzenbasierter Alternativen in das Angebot klassischer Molkereiunternehmen bedeutet nicht nur eine Erweiterung des Produktportfolios, sondern auch eine Anpassung an einen sich grundlegend verändernden Markt.
Für traditionelle Hersteller ist es wichtig, die Balance zwischen ihren bewährten Milchprodukten und innovativen pflanzenbasierten Alternativen zu finden, um sowohl die bestehenden Kund*innen nicht zu verlieren als auch neue Zielgruppen anzusprechen. Dabei ist die Entwicklung von hochwertigen, geschmacklich überzeugenden sowie nachhaltigen Produkten entscheidend, um sich gegenüber rein pflanzenbasierten Start-ups und anderen Food-Tech-Unternehmen zu behaupten. Aus Marktsicht ergeben sich vielseitige Chancen. Die pflanzenbasierte Ernährung zählt zu den Wachstumsmärkten mit deutlichem Potenzial. Molkereiunternehmen, die jetzt aktiv und strategisch in diesen Bereich investieren, können sich Wettbewerbsvorteile verschaffen, langfristige Kundentreue aufbauen und ihre Position auf einem sich wandelnden globalen Lebensmittelmarkt sichern.
Gleichzeitig besteht ein hoher Innovationsdruck, da sich Verbraucherpräferenzen und technologische Möglichkeiten schnell verändern. Insgesamt zeigt sich, dass Molkereiunternehmen die pflanzlichen Alternativen nicht als Bedrohung, sondern als ergänzende Chance begriffen haben. Der Einstieg in diesen Sektor erfolgt derzeit über unterschiedliche Strategien: von Beteiligungen an Start-ups, Forschungspartnerschaften, dem Aufbau eigener Marken bis hin zur Integration neuer Produktionstechniken. Bel und Chobani sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wie komplex und facettenreich die neuen Wege der traditionellen Milchhersteller aussehen. Der Markt für pflanzliche Milchalternativen, Joghurts, Käse und Eis wächst stetig.
Verbraucher schätzen mittlerweile Vielfalt, Qualität und Nachhaltigkeit gleichermaßen. Für etablierte Molkereien bedeutet das eine spannende Herausforderung: Ihre jahrzehntelange Expertise im Bereich Milchprodukte in Kombination mit Innovation und einem offenen Blick für neue Produktwelten kann die Zukunft der Milchindustrie prägen und den Wandel hin zu einem bewussteren, ressourcenschonenderen Konsum mitgestalten.