Die Insolvenz des traditionsreichen Kunsthandwerksunternehmens Joann erlebt einen bedeutenden Wendepunkt, als der Off-Price-Händler Burlington 45 Filialstandorte des Konkurrenten übernimmt. Die Entscheidung, diese Geschäftsflächen anzumieten, kommt zu einem Zeitpunkt, an dem der stationäre Einzelhandel vor großen Herausforderungen steht und gleichzeitig neue Chancen nutzt, um sich neu aufzustellen und zu wachsen. Burlington, bekannt für sein erfolgreiches Discount-Konzept, nutzt die Gelegenheit, sein Filialnetz deutlich zu erweitern und die Marktstellung zu stärken. Die Übernahme von Joann-Store-Leases geht über eine reine Flächenerweiterung hinaus. Sie symbolisiert auch eine strategische Antwort auf die sich verändernden Konsumentenbedürfnisse und das dynamische Umfeld im Einzelhandel.
Joann, ein Unternehmen mit einer fast 82-jährigen Geschichte, musste aufgrund verschiedener finanzieller Belastungen und der anhaltend schwierigen Rahmenbedingungen zweimal innerhalb von weniger als einem Jahr Insolvenz anmelden. Diese Probleme führten letztendlich zum kompletten Ladenschließen und eröffneten gegnerischen Unternehmen wie Burlington attraktive Möglichkeiten, den eigenen Retail-Fußabdruck auszubauen. Durch den Erwerb der 45 Standorte von Joann, verteilt über diverse Bundesstaaten wie Kalifornien und Texas, positioniert sich Burlington als einer der größten Profiteure aus der Pleite des Kunsthandwerksriesen. Dabei sind die finanziellen Bedingungen für die einzelnen Mietverträge unterschiedlich: Die sogenannten Cure-Beträge, welche zur Begleichung ausstehender Verbindlichkeiten notwendig sind, schwanken von null bis zu über 50.000 US-Dollar pro Standort.
Neben Burlington haben auch andere Einzelhändler wie Hobby Lobby und Boot Barn einige Ladengeschäfte übernehmen können, was zeigt, dass der Insolvenzprozess mehrere Marktteilnehmer adressiert und ihnen neue Chancen eröffnet. Für Unternehmen wie Burlington stellt die aktuelle Marktsituation eine solide Möglichkeit dar, organisch und durch Übernahmen zu wachsen. Trotz geringer Neubautätigkeit und reduziertem Shoppingcenter-Zuwachs in den USA verfolgen insbesondere Einzelhändler mit hohem Expansionsdrang aggressive Strategien zur Standortakquisition. Experten von Evercore ISI betonen, dass in einem gesättigten Einkaufsumfeld nur wenige neue Bauprojekte geplant sind, was die Übernahme bestehender Flächen über Insolvenzen als attraktives Wachstumsinstrument kennzeichnet. In den letzten Jahren steckte Joann enorme Anstrengungen in die Restrukturierung der Unternehmensfinanzen, um Verluste zu minimieren und den Schuldenberg von rund 500 Millionen US-Dollar zu reduzieren.
Dennoch konnte die Krise durch den Wettbewerbsdruck, den Online-Handel und verändertes Verbraucherverhalten nicht abgewendet werden. Die Schließung der Filialen wird von einer Mehrheit der Kunden bedauert. Laut einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Numerator aus dem Februar geben 80 Prozent der Befragten an, von den Schließungen enttäuscht zu sein, und planen nun, ihre Einkäufe vermehrt bei Konkurrenten wie Michaels, Hobby Lobby, größeren Massenhändlern wie Walmart oder online zu tätigen. Dabei spiegeln sich in den Entwicklungen viele der derzeitigen Herausforderungen im Retail-Sektor wider. Die Abhängigkeit vom stationären Geschäft, sich verlangsamende wirtschaftliche Rahmenbedingungen und ein sich dynamisch veränderndes Konsumentenverhalten treiben die Notwendigkeit zu Innovation und strategischem Handeln voran.
Burlingtons CEO Michael O'Sullivan sieht in dieser unsicheren Lage eine Chance für das Geschäftsmodell des Off-Price-Handels. Trotz einer insgesamt ungewissen Prognose für das Jahr 2025 konnte Burlington im Jahr 2024 bereits über 100 neue Filialen eröffnen und 31 große, weniger effiziente Standorte verlagern. Die aktuellen Quartalsergebnisse mit einem Umsatzwachstum von fast fünf Prozent und einem Gewinnanstieg von mehr als 14 Prozent belegen den Erfolg der bisherigen Strategie. Die Übernahme der ehemaligen Joann-Flächen dient nicht nur dem Ausbau der Marktpräsenz, sondern ist auch ein deutliches Signal für die Resilienz und Anpassungsfähigkeit von Händlern, die auf das attraktive Preis-Leistungs-Verhältnis setzen. Off-Price-Anbieter wie Burlington sind besonders gut darauf vorbereitet, in wirtschaftlichen Krisenzeiten Kunden anzuziehen, die preisbewusst einkaufen.
Allerdings gibt es auch Herausforderungen, die über die Einzelhandelsflächen hinausgehen. Die Dynamik der globalen Handelsbeziehungen, politische Entscheidungen wie neue Einwanderungsregelungen in den USA und Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur können indirekt den Kundenstamm beeinflussen. In der Summe zeigt der Fall Joann und die Reaktion von Burlington einen typischen Strukturwandel im Einzelhandel: Alte Marktakteure scheiden aus, während andere durch kluge strategische Entscheide wachsen und neue Positionen einnehmen. Für Bundesstaaten mit vielen Filialübernahmen bedeutet dies auch die Beibehaltung von Einkaufsmöglichkeiten vor Ort, was zur Stabilität örtlicher Wirtschaftsräume beiträgt. Die Konsumenten profitieren von einer breiteren Auswahl und wettbewerbsfähigen Preisen, gerade in Regionen, wo zuvor Joann eine wichtige Rolle spielte.