In den letzten Jahren hat die Wissenschaft verstärkt das komplexe Zusammenspiel zwischen Ernährung, Stoffwechsel und Gesundheit untersucht. Insbesondere das Verständnis darüber, wie bestimmte Aminosäuren den Energiehaushalt und die Funktion von Fettgewebe beeinflussen können, entwickelt sich rasant weiter. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass die Reduktion des Schwefelaminoäurebausteins Cystein eine wesentliche Rolle bei der Aktivierung thermogener Prozesse im Fettgewebe und beim damit einhergehenden Gewichtsverlust spielt. Diese Erkenntnisse könnten weitreichende Auswirkungen auf die Therapie von Adipositas und verwandten Stoffwechselerkrankungen haben. Cystein ist eine schwefelhaltige Aminosäure, die im Organismus eine zentrale Rolle in vielerlei biochemischen Prozessen einnimmt.
Als einziges proteinogenes Aminosäuremolekül mit einer Thiolgruppe ist Cystein entscheidend für die Bildung von Disulfidbrücken in Proteinen, was deren Struktur und Funktion stabilisiert. Darüber hinaus ist Cystein ein wichtiger Vorläufer für die Synthese von Glutathion – einem bedeutenden intrazellulären Antioxidans – sowie von anderen Schwefelverbindungen wie Taurin und Coenzym A, die für Zellfunktionen essenziell sind. Studien am Menschen, unter anderem im Rahmen der CALERIE-II-Studie, belegen, dass moderate kalorische Restriktion (CR) nicht nur zur Gewichtsabnahme, sondern auch zu metabolischen Umstellungen in Fettgewebe führt. Faszinierenderweise wurde eine signifikante Abnahme des Cysteinspiegels im weißen subkutanen Fettgewebe bei Probanden nach zwölfmonatiger CR beobachtet. Parallel dazu stiegen Enzyme der sogenannten Transsulfurierungsweg (TSP), insbesondere Cystathionin-γ-Lyase (CTH), die Cystein aus Vorläufermolekülen generieren, an.
Diese Veränderungen deuten darauf hin, dass CR eine metabolische Umprogrammierung hervorruft, die auf eine Verringerung des Cysteinangebots abzielt und dadurch die Fat-Metabolik und thermogene Aktivität im Fettgewebe beeinflusst. Experimentelle Arbeiten an Mäusen haben das Verständnis dieser Zusammenhänge weiter vertieft. Mithilfe eines genetischen Modells, bei dem das Enzym CTH (Cth−/−) eliminiert wurde, konnte gezeigt werden, dass eine Diät, die auf Cystin (die oxidierte Form von Cystein) verzichtet, in Kombination mit der Unfähigkeit zur eigenen Cysteinproduktion eine dramatische Gewichtsreduktion von bis zu 30 % innerhalb von nur sechs Tagen auslöst. Dieser Gewichtsverlust ist in erster Linie durch den schnellen Abbau von Fettmasse gekennzeichnet und wird durch eine gesteigerte Fettverbrennung und aktivierte Thermogenese im Fettgewebe begleitet. Die beobachtete Thermogenese ist im Wesentlichen durch "Browning" des weißen Fettgewebes gekennzeichnet.
Dabei vermehren sich sogenannte multilokuläre adipocyten, die morphologisch und funktionell dem braunen Fettgewebe ähneln, das für seine thermogenetischen Eigenschaften bekannt ist. Charakteristisch für diesen Prozess ist die vermehrte Expression von UCP1 (Uncoupling Protein 1), welches die mitochondriale Energieverwertung zugunsten der Wärmeproduktion umleitet. Interessanterweise zeigen die Studien jedoch, dass das cysteinmangelbedingte "Browning" unabhängig von UCP1 abläuft. Selbst bei Mäusen, denen UCP1 komplett fehlt, kommt es auf cysteinarmer Diät zu ähnlichem Gewichtsverlust und thermogenetischer Umstrukturierung, was alternative, bisher noch nicht vollständig verstandene Mechanismen thermogener Wärmeproduktion nahelegt. Eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung dieser Prozesse spielt das sympathische Nervensystem (SNS).
Es wurde nachgewiesen, dass bei Cysteinmangel eine vermehrte Ausschüttung von Noradrenalin im Fettgewebe erfolgt, welches über die Aktivierung von beta-3-Adrenozeptoren (β3-AR) die Lipolyse fördert und die Thermogenese anregt. Die Blockade dieser Rezeptoren mit Antagonisten geht mit einer Abschwächung der Gewichtsabnahme und dem Verschwinden der "Browning"-Phänomene einher. Damit steht fest, dass der Sympathikus und die damit verbundene adrenerge Signalisierung die Haupttreiber der durch Cysteinmangel induzierten Thermogenese sind. Während der Gewichtsverlust und die thermogene Aktivierung primär mit der Erschöpfung der Fettreserven einherging, bleibt die Körperkerntemperatur bei Mäusen trotz erhöhter Thermogenese stabil. Dies zeigt, dass der Körper seine Temperaturengrenzen aktiv reguliert und somit die verstärkte Wärmeproduktion gezielt zur Aufrechterhaltung der Homöostase dient.
Auch bei Mäusen, die unter thermoneutralen Bedingungen gehalten werden (also bei Temperaturen, bei denen der Wärmeverlust minimal ist), bleibt der cysteinmangelbedingte Gewichtsverlust erhalten, wenn auch die Ausprägung der Thermogenese etwas reduziert ist. Das deutet darauf hin, dass die Aktivierung des Thermogeneseprogramms kein reines Reaktionselement auf Kältestress ist, sondern metabolische Signale direkt durch Cysteinmangel ausgelöst werden. Zusätzlich zu den direkten Auswirkungen auf das Fettgewebe verändert die Cysteinrestriktion den systemischen Stoffwechsel und die Regulation inflammatorischer Prozesse. Bei Mäusen, die an einer hochkalorischen Fütterung (High-Fat-Diet) litten, führte die Umstellung auf eine cysteinfreie High-Fat-Diät ebenfalls zu rascher deutlich sichtbarer Gewichtsabnahme, höherer Energieverbrauch und verbesserter Glukosetoleranz. Zudem nahm die Entzündungsaktivität in den Fettgeweben signifikant ab, was auf eine entzündungshemmende Wirkung der Cysteinreduktion hindeutet.
Neben der Rolle der β3-adrenergen Signalisierung wurde auch festgestellt, dass das Hormon FGF21 durch Cysteinmangel induziert ist. FGF21 ist bekannt für seine metabolischen Vorteile, einschließlich der Förderung der Thermogenese und Gewichtskontrolle. Der Gewichtsverlust aufgrund von Cysteinmangel wird bei Fehlen von FGF21 teilweise abgeschwächt, aber nicht vollständig verhindert, was unterstreicht, dass FGF21 nur ein Teil des komplexen Regulationssystems ist. Aus biochemischer Sicht bewirkt der Mangel an Cystein auch eine Abnahme des Glutathionspiegels in Fettgewebe und Leber. Trotz des reduzierten antioxidativen Schutzes werden die Adipozyten nicht durch den Zelltod beeinträchtigt, was auf adaptive Mechanismen schließen lässt, die oxidative Belastungen kontrollieren, um die Funktion des Fettgewebes zu erhalten.
Die metabolische Flexibilität wird durch Veränderungen in der Coenzym A-Synthese sowie der Reorganisation von Fettsäure-Metabolismus noch verstärkt. Die in den Fettgeweben und im gesamten Organismus initiierten Reaktionen verdeutlichen die essenzielle Bedeutung von Cystein für die Aufrechterhaltung des Energiehaushalts. Die Untersuchung der spezifischen molekularen Mechanismen, die beim Cysteinmangel zur UCP1-unabhängigen Thermogenese führen, eröffnet neue Forschungsfelder. Potenzielle Kandidaten hierfür sind alternative futile Stoffwechselzyklen wie Kreatin- oder Calcium-futile Zyklen, deren regulatorische Faktoren bei Cysteinmangel unterschiedlich exprimiert werden. Die Erkenntnisse aus dieser Forschung sind relevant für die Entwicklung innovativer, molekular gezielter Therapieansätze für Übergewicht und metabolische Erkrankungen.
Die gezielte Modulation von Cystein- beziehungsweise Schwefelaminoäurehaushalt könnte eine neuartige Strategie sein, um die Energieausgabe zu steigern, Wärmeproduktion im Fettgewebe zu fördern und somit Körpergewicht auf gesunde Weise zu reduzieren. Zukünftige Studien sollten sich auch auf Ernährungsexperimente in klinischen Settings fokussieren, um die Machbarkeit und Sicherheit einer Cysteinreduktion als therapeutische Intervention zu prüfen. Dabei gilt es, besonders auf die Erhaltung der essentiellen Funktionen von Cystein zu achten und mögliche Nebenwirkungen durch einen Mangel frühzeitig auszuschließen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Cysteinmangel eine bisher unterschätzte Steuerungsgröße in der Regulation der Thermogenese und des Körpergewichts darstellt. Die Aktivierung der Adipose-Tissue-Thermogenese und der damit verbundene Gewichtsverlust werden über sympathische noradrenerge Signalwege vermittelt und sind unabhängig von den klassischen UCP1-vermittelten Mechanismen.
Dieses Wissen bietet vielversprechende Perspektiven für innovative therapeutische Ansätze gegen die weltweite Adipositas-Epidemie und weitere metabolische Dysfunktionen.