Im Zuge der fortschreitenden Integration des Kryptomarktes in das europäische Finanzsystem befinden sich die großen US-Krypto-Börsen Gemini und Coinbase in unmittelbarer Nähe zur Erlangung von Betriebslizenzen, mit denen sie in der gesamten Europäischen Union operieren dürfen. Diese Entwicklung, die maßgeblich durch die Umsetzung der Markets in Crypto-Assets-Verordnung (MiCA) vorangetrieben wird, hat eine hitzige Debatte unter den nationalen Regulierungsbehörden ausgelöst, die Zweifel an der Kohärenz und Effektivität des Zulassungsprozesses hervorrufen. Die MiCA-Verordnung, die seit Anfang 2025 in Kraft ist, stellt einen Meilenstein in der rechtlichen Einordnung und Überwachung von Krypto-Assets dar. Sie ermöglicht es jedem Mitgliedsstaat der EU, über eine nationale Lizenzvergabe den Zugang zum gesamten Binnenmarkt mit seinen 27 Ländern freizuschalten. Diese Regelung erleichtert zwar den Markteintritt großer Anbieter, wirft jedoch auch Bedenken hinsichtlich einer fragmentierten und uneinheitlichen Regulierung auf, da die Lizenzvergabe und durchführende Kontrollen weiterhin auf nationaler Ebene verbleiben.
Im Zentrum der aktuellen Entwicklungen steht die Krypto-Börse Gemini, die kurz vor der Zulassung durch die maltesische Finanzaufsichtsbehörde steht. Malta hat sich in den letzten Jahren als Krypto-freundlicher Standort positioniert, der mit zügigen Genehmigungsverfahren und einem etablierten Aufsichtsregime zahlreiche internationale Krypto-Unternehmen angezogen hat. So erhielten bereits Angebote wie OKX und Crypto.com in kürzester Zeit ihre Lizenzen nach Inkrafttreten von MiCA. Maltesische Vertreter heben hervor, dass trotz des schnellen Verfahrens strenge Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und anderen finanziellen Risiken gelten.
Diese scheinbare Lockerheit in den Zulassungsprozessen sorgt jedoch für Unmut bei anderen EU-Aufsichtsbehörden. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) überprüft derzeit die Praktiken in Malta und bereitet einen internen Bericht vor, der womöglich zu Anpassungen der Zulassungsstandards führen könnte. Insbesondere Frankreich äußert öffentlich Kritik an der fehlenden direkten Lizenzierungsbefugnis von ESMA, die seiner Meinung nach Wettbewerbsvorteile für besonders schnelle Mitgliedstaaten schaffen könnte und somit einen sogenannten „race to the bottom“ – ein Abwärtsspirale bei regulatorischen Standards – befeuert. Parallel dazu steht Coinbase, das als erster börsennotierter US-Krypto-Anbieter auf eine Lizenz aus Luxemburg hofft. Luxemburg wird von Experten als starker Finanzplatz mit hohen regulatorischen Standards angesehen.
Ein Sprecher des Unternehmens bestätigte Pläne zur signifikanten Erweiterung des dortigen Büros, was den langfristigen Ausbau der Präsenz in Europa unterstreicht. Während luxemburgische Aufsichtsbehörden sich zu laufenden Verfahren traditionell zurückhaltend äußern, wird betont, dass die Vergabe unter Berücksichtigung strenger Compliance- und Sicherheitskriterien erfolgt. Die divergierenden Ansätze der Mitgliedsstaaten verdeutlichen eine grundsätzliche Herausforderung der MiCA-Verordnung: Zwar setzt die EU einen einheitlichen Rechtsrahmen, die praktische Umsetzung und domicilbezogene Überwachung obliegt jedoch weiterhin nationalen Behörden. In einem Sektor, der sich rasant entwickelt und in dem Innovation und Risiko eng miteinander verwoben sind, kann dies im schlimmsten Fall zu regulatorischen Lücken führen, die Ausnutzungspotenzial durch Akteure bieten. Vor dem Hintergrund des jüngsten Zusammenbruchs großer Krypto-Unternehmen, wie dem spektakulären Fall der FTX-Börse im Jahr 2022, ist die Umsicht der europäischen Regulatoren enorm gewachsen.
Das Vertrauen in die Sicherheit der Märkte und der Schutz der Anleger sollen höchste Priorität besitzen. Gleichzeitig möchte die EU jedoch nicht den Anschluss an Marktführer aus den USA bzw. Asien verlieren, die mit weniger restriktiven Vorschriften teilweise schneller expandieren. Die politische Debatte in Brüssel fokussiert sich daher auch auf eine mögliche Erweiterung der Befugnisse von ESMA, die künftig neben der Aufsicht auch eine zentrale Rolle bei der Lizenzvergabe einnehmen könnte. Dies wäre ein bedeutender Schritt hin zu einer Harmonisierung der Regulierung, würde jedoch nationalstaatliche Kompetenzen beschneiden und erfordert politischen Konsens innerhalb der Mitgliedsländer.
Darüber hinaus reflektieren diese Entwicklungen das breitere Spannungsfeld, in dem sich die Kryptoindustrie befindet: Das Streben nach globaler Skalierung und Vereinfachung des grenzüberschreitenden Zugangs konfrontiert sich mit den Notwendigkeiten unterschiedlicher Rechtsordnungen, Risikobewertungen und Verbraucherschutzmechanismen. Für Investoren und Nutzer von Krypto-Plattformen bedeutet die baldige Lizenzierung von Coinbase und Gemini in der EU vor allem eines: mehr Rechtssicherheit und Aufsicht. Der Zugang zu regulierten Angeboten aus den Vereinigten Staaten eröffnet neue Möglichkeiten für den Handel mit digitalen Assets innerhalb des europäischen Raums. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die geplanten Lizenzvergaben an Coinbase und Gemini Meilensteine für die Integration und Akzeptanz von Krypto-Assets im europäischen Finanzsektor darstellen. Gleichzeitig werfen sie essenzielle Fragen zur Verteilung der Regulierungskompetenzen und zur Qualität der nationalen Aufsichtsstrukturen auf.
Die kommenden Monate werden zeigen, wie die EU-Institutionen und Mitgliedsstaaten diesen Balanceakt meistern und ob Europa langfristig als verantwortungsbewusster und innovativer Krypto-Hub fungieren kann.