Es gibt eine alte Anekdote von einem betrunkenen Mann, der unter einer Straßenlaterne nach seinen Schlüsseln sucht. Auf die Frage, ob er die Schlüssel dort verloren habe, antwortet er: »Nein, aber hier ist das Licht.« Diese Geschichte bringt auf den Punkt, was viele Fachkräfte in technischen Berufen oft erleben. Sie konzentrieren sich darauf, ihre Fähigkeiten in Bereichen zu verbessern, die ihnen vertraut und bequem erscheinen, statt sich einer vielleicht unbequemeren, aber wirkungsvolleren Herausforderung zu stellen. Die Metapher des Suchens unter der Laterne steht sinnbildlich für die Tendenz, sich an das Bekannte zu klammern und dabei blind für andere wichtige Wege und Lösungen zu sein.
In der Praxis lässt sich das häufig beobachten, wenn beispielsweise Programmierer oder Mathematiker ihre bereits exzellenten technischen Fähigkeiten weiter perfektionieren wollen – vielleicht eine neue Programmiersprache lernen oder ein weiteres Fachgebiet erschließen –, in der Annahme, dass gerade das der Schlüssel zu neuen beruflichen Möglichkeiten sei. Doch oftmals liegt das eigentliche Hindernis nicht im Fachwissen, sondern an anderer Stelle: Wer im Beratungsgeschäft erfolgreich sein möchte, muss weit über reine technische Exzellenz hinausdenken. Der Aufbau von Netzwerken, die Fähigkeit zur Selbstvermarktung und eine gewisse Vertriebsaffinität sind mindestens genauso entscheidend. Viele scheuen sich jedoch vor diesen eher sozialen und unternehmerischen Tätigkeiten. Die Gründe dafür sind vielfältig: fehlende Übung im Netzwerken, Unsicherheit bei der Selbstpräsentation oder schlicht das Unwohlsein, sich aktiv und mitunter aggressiv in Szene zu setzen.
Doch genau diese Fähigkeiten können den Unterschied machen, um von der breiten Masse der Fachkräfte wahrgenommen zu werden und die richtigen Aufträge zu akquirieren. Der Irrglaube, dass ausschließlich technische Kompetenzen den eigenen Erfolg sicherstellen, führt oft dazu, dass wertvolle Zeit und Energie an der falschen Stelle investiert werden. Stattdessen sollte man ehrlich beurteilen, wo die eigenen Schwächen liegen und gezielt daran arbeiten. Wenn der Mangel an Kundenkontakten, an der Präsenz bei wichtigen Events oder an aktivem Netzwerken den Erfolg blockiert, ist es sinnvoller, genau dort anzusetzen – selbst wenn diese Aufgaben weniger Spaß machen als das Erlernen eines weiteren komplexen Algorithmus. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, die eigenen Stärken auszubauen und zu nutzen.
Der Fokus auf die bereits vorhandenen Kompetenzen ist gut, solange diese nicht die Grenzen setzen. Es macht zum Beispiel wenig Sinn, in einer Branche ein gewisses Mindestmaß an Verhandlungsgeschick nicht zu entwickeln, obwohl das Angebot an Fachwissen exzellent ist. Auch tendieren viele dazu, in einer Komfortzone zu verbleiben, in der sich die Beherrschung technischer Details einfach und sicher anfühlt. Diese Zone zu verlassen und sich auf die unbekannten Felder von Marketing und Vertrieb zu begeben, erfordert Mut und die Bereitschaft, neue Fähigkeiten zu erlernen, die oft jenseits der technisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung liegen. Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft das Selbstverständnis vieler Berater und Freelancer.
Sie stellen oft hohe Ansprüche an ihre Unabhängigkeit und Flexibilität und lehnen traditionelle Anstellungsverhältnisse ab. Doch dieser Wunsch nach Freiheit bringt auch die Herausforderung mit sich, den gesamten Prozess der Akquisition und Kundenpflege selbst zu managen. Wer hier Schwächen hat, verliert schnell Aufträge oder muss Abhängigkeiten eingehen, die der eigenen Unabhängigkeit widersprechen. Eine mögliche Lösung liegt in der strategischen Zusammenarbeit mit anderen. So wird empfohlen, Freunde, ehemalige Kollegen oder zufriedene Auftraggeber als Multiplikatoren zu gewinnen, die aktiv bei der Akquise helfen können.
Ein Angebot wie eine Vermittlungsprovision kann dabei besonders motivierend sein. So verwandelt man das eigene Netzwerk in eine externe Marketingabteilung – und bleibt dennoch unabhängig. Die Kunst ist es, Beziehungen zu pflegen und gleichzeitig eine klare Struktur zu schaffen, die gegenseitigen Nutzen bringt. Darüber hinaus ist die Wahrnehmung der eigenen Leistungen durch potenzielle Kunden ein kritischer Faktor. In Zeiten der Digitalisierung und Informationsflut gewinnt die Sichtbarkeit im Netz, auf Fachkonferenzen oder in sozialen Medien an Bedeutung.
Ein ansprechendes Profil, regelmäßige Beiträge und eine aktive Teilnahme an Branchenveranstaltungen schaffen Vertrauen und erhöhen die Chancen, von den richtigen Kunden gefunden zu werden. Eine weitere Herausforderung ist die Qualität der Daten und die Art, wie sie genutzt werden. In manchen Unternehmen und Branchen führt die falsche Nutzung von Daten zu Fehlentscheidungen. Analog zur Laternen-Metapher wird hier oft nur das untersucht, was technisch leicht zugänglich ist, anstatt das Problem ganzheitlich zu verstehen. Häufig werden auch Daten so ausgewählt oder aufbereitet, dass sie vorgefasste Meinungen bestätigen anstatt neue Einsichten zu ermöglichen.
Die Kritik, dass viele Ansätze im Bereich Datenwissenschaft die Intuition von Führungskräften eher bestätigen als sie zu hinterfragen, zeigt, dass auch hier das reine Aufleuchten unter der Laterne nicht genügt. Wer langfristig erfolgreich sein möchte, sollte also lernen, über das unmittelbare Licht der vertrauten Laterne hinauszublicken, Methoden und Denkweisen zu hinterfragen und den Mut haben, auch in unbekannte Bereiche vorzustoßen. Das gilt sowohl für die fachliche Weiterentwicklung als auch für das praktische Geschäft des Selbstmarketings und der Vernetzung. Denn oft lässt sich gerade dort, wo das Licht nicht scheint, der Schlüssel finden, der die Tür zu neuen Chancen öffnet. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Erfolg im Berufsleben – insbesondere im Beratungsumfeld – nicht nur durch fortlaufendes technisch-akademisches Lernen bestimmt wird.
Die Fähigkeit, sich selbst in Szene zu setzen, Netzwerke zu aktivieren und bei Bedarf auch Schwächen im businessrelevanten Marketing- und Vertriebsbereich gezielt zu überwinden, ist mindestens genauso wichtig. Dies erfordert ein Umdenken vom «Schlüssel unter der Laterne» zu einem aktiven, ganzheitlichen Blick auf die eigene Entwicklung. Nur so gelingt es, die eigentlichen Türen zu öffnen und nachhaltigen Erfolg zu sichern.