Für Startups stellt qualitative Benutzerforschung einen wichtigen Baustein dar, um innovative Ideen zu testen und rasch Feedback zu erhalten. Besonders in den frühen Phasen eines Produkts können eins-zu-eins Interviews mit einer kleinen, gezielt ausgewählten Teilnehmergruppe wertvolle Einblicke liefern. Dabei gilt es, Muster und Gemeinsamkeiten in den Reaktionen der Teilnehmer zu erkennen, um daraus generalisierbare Erkenntnisse für die breite Zielgruppe ableiten zu können. Doch der Erfolg dieser Forschung steht und fällt mit der Auswahl der richtigen Teilnehmer. Wer die falschen Personen einlädt, riskiert unbrauchbare oder verzerrte Ergebnisse, die langfristig negative Folgen für Produktstrategie und Entwicklung haben können.
Ein häufiges Problem gerade bei Startups in der Ideenphase ist, dass die Zielgruppe oder das Idealprofil der Nutzer (Ideal Customer Profile, ICP) noch unklar oder zu breit gefasst ist. Die natürliche Reaktion darauf ist oft, möglichst viele und beliebige Menschen zu befragen, manchmal gehören Freunde und Familie dazu. Diese Herangehensweise ist jedoch wenig zielführend, da jene Personen meist voreingenommen oder nicht repräsentativ für potenzielle Kunden sind. Dieses Phänomen wird oft als „Mom Test“-Falle bezeichnet, bei der Wohlwollen und Nettigkeit zufälliges, positives Feedback erzeugen, das zwar angenehm ist, aber nicht zur Validierung oder Weiterentwicklung der Produktidee beiträgt. Stattdessen ist es wichtig, frühzeitig Hypothesen darüber aufzustellen, wer die ersten Anwender sein könnten und welche Eigenschaften oder Verhaltensweisen diese Gruppe kennzeichnen.
Selbst bei sehr breit angelegten Produkten, wie zum Beispiel einer mobilen Social-App, empfiehlt es sich, die frühe Nutzerbasis auf beispielhafte Kriterien zu definieren und diese gezielt anzusprechen. Nur so lassen sich legitime Erkenntnisse gewinnen, die später auf den Gesamtmarkt übertragen werden können. In der Praxis lohnt es sich, konkrete Nutzer-Personas zu entwickeln. Diese beschreiben demografische Merkmale, Technologievoraussetzungen, Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Zielgruppe. Dies hilft nicht nur bei der Definition der Teilnehmer, sondern auch bei der späteren Gestaltung von Screener-Fragebögen, die dazu dienen, Kandidaten für die Forschung zu selektieren.
Ein Beispiel aus der Praxis zeigt die Erfahrung eines Startups, das Tools für Softwareentwickler entwickelt. Trotz der Komplexität und Neuheit des Produkts – einer sogenannten „Software Simulation“ – half es, die Teilnehmenden gezielt anhand von Berufserfahrung, technologischem Hintergrund und Arbeitsumfeld auszuwählen. Die gezielte Teilnahme von Entwicklern und technischen Führungskräften machte es möglich, präzise Rückmeldungen zur Produktbeschreibung und Positionierung zu erhalten. Für das Auffinden potenzieller Teilnehmer gibt es vielfältige Kanäle, die je nach Entwicklungsphase und Zielgruppe variieren können. Startups ohne bestehende Kundenbasis arbeiten oft mit geringem Budget und müssen deshalb „scrappy“ vorgehen.
Das bedeutet, man setzt auf Selbstrekrutierung durch das gezielte Aufspüren und Ansprechen der Wunschgruppe. Online-Plattformen wie Craigslist können bei passender Zielgruppendefinition gute Teilnehmer liefern, besonders wenn man dort in übersichtlichen Community- oder Jobsektionen postet. Auch soziale Netzwerke und Fachcommunities sind wertvolle Anlaufstellen. LinkedIn, Twitter (heute „X“ genannt), aber neuerdings auch Bluesky und Threads wachsen zunehmend als Kanäle, um technische oder spezialisierte Zielgruppen zu erreichen. Doch auch hier ist Vorsicht geboten, um Community-Richtlinien und Spam-Regeln zu beachten.
Eine weitere, wenn auch manchmal schwierige Methode ist die direkte Ansprache über das persönliche Netzwerk. Wenn man bereits Kontakte kennt, die der Zielgruppe entsprechen, können sie oft als erste Teilnehmer gewonnen werden oder helfen, weitere potenzielle Nutzer zu identifizieren. Neben dem Finden der Teilnehmer ist die Frage nach einem effektiven Screening besonders wichtig. Ein Screeningsystem ermöglicht es, die ernsthaften und qualifizierten Kandidaten zuverlässig auszuwählen und gleichzeitig unpassende Bewerber auszusortieren. Startups haben sich vielfach bewährt, einfache digitale Formulare wie Google Forms zu verwenden, um neu eingegangene Bewerbungen strukturiert zu erfassen und anschließend manuell auszuwerten.
Dabei hat sich gezeigt, dass ein mehrstufiger Screeningprozess mit kontrollierenden Elementen die Qualität der Teilnehmer deutlich erhöht. Dazu gehört etwa die Anforderung, einen öffentlichen Social-Media-Account wie LinkedIn anzugeben, um die Identität und den beruflichen Background zu überprüfen. Insbesondere in technischen Bereichen führt das häufig zu echten und ehrlichen Teilnehmern. Darüber hinaus empfiehlt es sich, klare Anforderungen für die Durchführung der Interviews zu kommunizieren, zum Beispiel dass diese nur über ein Laptop stattfinden sollten und die Kamera während der Session eingeschaltet sein muss. Dies erhöht die Verbindlichkeit und gibt bessere Möglichkeiten, die Reaktionen der Teilnehmer authentisch einzuschätzen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, das Screening so zu gestalten, dass Teilnehmer nicht wissen, welche Eigenschaften besonders gewünscht werden. Andernfalls neigen einige dazu, Fragen gezielt so zu beantworten, wie sie glauben, „richtig“ zu sein, anstatt ehrlich zu antworten. Startups berichten außerdem zunehmend von der Problematik automatisierter, KI-generierter Antworten in Screening-Fragebögen. Hier gilt es, mittels Mustererkennung und manueller Prüfung verfälschende Einreichungen auszusortieren, um die Integrität der Forschung sicherzustellen. Wenn Teilnehmer ausgewählt sind, folgt die Organisation der Einteilung und Terminierung.
Ein zentraler, strukturierter Prozess für das Zeitmanagement hilft, Übersicht und Kontrolle zu behalten. So werden Favoriten in einem gemeinsamen Spreadsheet oder digitalem Tool erfasst und für alle Termine Termine „reserviert“ beziehungsweise blockiert. Die Kontaktaufnahme mit den Teilnehmern erfolgt idealerweise mit personalisierten, klar kommunizierten Einladungen inklusive allen relevanten Details zum Interview. Automatisierungshilfen wie E-Mail-Snippets oder Vorlagen erleichtern dabei die Arbeit und sorgen für professionelle Kommunikation. Bestätigungsmails samt Kalender-Einladungen sichern eine verbindliche Absprache.
Zusätzlich ist es hilfreich, kurz vor dem Termin eine Erinnerung zu schicken, um Ausfälle zu minimieren, denn bei Startups mit begrenzten Kandidatenkontingenten kann ein übersehener Teilnehmer die Forschung stark stören. Bei der Durchführung von Interviews empfiehlt sich außerdem, das Forschungsteam frühzeitig einzuplanen, etwa durch die Einplanung von Beobachtern und Protokollanten, welche die Sessions begleiten. Die Aufzeichnung oder automatische Transkription von Gesprächen, sofern rechtlich zulässig, unterstützt die Nachbereitung und die Analyse. Insgesamt zeigt sich, dass die Kombination aus einer klaren Teilnehmerdefinition, einem gezielten und nachhaltigen Rekrutierungsprozess sowie einem strukturierten Screening maßgeblich zum Erfolg von Benutzerforschung beiträgt. Startups sollten frühzeitig mit der Beschaffung einer Pipeline potenzieller Teilnehmer beginnen und kontinuierlich an der Optimierung ihrer Methoden arbeiten.
Gerade wer hochspezifische oder schwer zu erreichende Zielgruppen anspricht, muss Geduld und Ausdauer mitbringen. Schwierigkeiten bei der Rekrutierung sind häufig ein Warnsignal für potenzielle Herausforderungen beim Markteintritt und der Nutzergewinnung. Eine nachhaltige Forschungsstrategie mit systematischem Teilnehmermanagement bietet dagegen eine solide Basis, um wertvolle Markteinblicke zu gewinnen und Produktentscheidungen datenbasiert zu treffen. Wenngleich die Nutzerforschung in der Praxis viel manuellen Aufwand erfordert, etablieren erfolgreiche Startups zunehmend hybride Prozesse, die automatisierte Tools zur Erfassung und Vorauswahl mit persönlicher, qualitativer Auswertung verbinden. Dieses Vorgehen ermöglicht effiziente Feedbackschleifen und beschleunigt die Entwicklung zwischengeschalteter Prototypen oder Landing-Pages.
Langfristig ermöglicht solch eine gezielte Strategie nicht nur bessere Produkte, sondern auch eine nachhaltige Beziehung zu der eigenen Zielgruppe. Die gewonnenen Erkenntnisse sind ein Wettbewerbsvorteil in schnelllebigen Märkten, da sie helfen, neue Bedürfnisse früh zu erkennen und den Produkt-Markt-Fit präzise anzusteuern. Startups, die diese Prinzipien verinnerlichen und in ihre Nutzerforschung implementieren, legen damit den Grundstein für nachhaltigen Erfolg auf ihrem Weg zur Marktreife und darüber hinaus.