Die Erde, unser Heimatplanet, birgt viele Geheimnisse tief unter seiner Oberfläche verborgen. Eine dieser Fragen betrifft die dynamischen Austauschprozesse zwischen dem metallischen Erdkern und dem darüber liegenden Mantel. Neue Forschungsergebnisse, insbesondere die Analyse von Ruthenium- (Ru) und Wolfram- (W) Isotopen in ozeanischen Inselbasalten, zeigen, dass es Hinweise auf ein „Lecken“ oder eine Materialübertragung vom Erdkern in den oberen Mantel gibt. Diese Erkenntnisse eröffnen ganz neue Perspektiven auf die tiefe innere Struktur und Entwicklung unseres Planeten. Ozeanische Inselbasalte (Ocean Island Basalts, OIB) sind vulkanische Gesteine, die durch Schmelzen von Magmen entstehen, die von tiefen Mantelplumes aufsteigen.
Diese Mantelplumes gelten als extrem heiß und teilweise tiefreichend, möglicherweise sogar bis zum Kern-Mantel-Grenzbereich (Core-Mantle Boundary, CMB). Anhand der chemischen und isotopischen Signaturen dieser Basalte können Forschende Rückschlüsse auf die Quelle des Magmas und somit auf Prozesse in der Erdkruste, im Mantel und sogar im Kern ziehen. Die Nutzung von Ruthenium- und Wolfram-Isotopensystemen zur Erforschung dieser Prozesse basiert auf der Tatsache, dass beide Elemente in stark unterschiedlicher Weise im Mantel und Kern vorkommen. Ruthenium gehört zu den sogenannten hoch siderophilen Elementen, das heißt, es hat eine starke Affinität zu Eisen und wurde während der frühen Differenzierung der Erde vor allem in den Eisenmetallkern eingelagert. Im Mantel hingegen ist Ruthenium extrem knapp vorhanden.
Wolfram wiederum besitzt ein instabiles Isotop, 182W, dessen Häufigkeit durch den Zerfall eines kurzlebigen Vorläufers, 182Hf, vor mehr als 4,5 Milliarden Jahren beeinflusst wurde. Daraus ergeben sich vielfältige isotopische Signaturen, die in unterschiedlichen Erdreservoiren variieren. Bereits früher wiesen Untersuchungen an OIB auf ungewöhnliche Wolfram-Isotopenverhältnisse hin, die als Fingerabdruck einer möglichen Kern-Mantel-Wechselwirkung interpretiert wurden. Die neuen Studien kombinieren nun das Ruthenium-Isotopensignal mit dem von Wolfram und schaffen so eine robustere Grundlage, um genauere Aussagen treffen zu können. Besonders interessant ist dabei die sogenannte ε100Ru-Anomalie, die auf massenunabhängige Isotopensysteme zurückzuführen ist und Bindungen an nukleosynthetische Prozesse nahelegt.
Basalte aus Hawaii zeigen eine signifikante Anreicherung in ε100Ru, die über den Wert des Umgebungsmantels hinausgeht. Diese Beobachtung kombiniert mit den nieder-uranogenen Wolfram-Isotopenverhältnissen (negative μ182W-Werte) spricht für eine Beteiligung von Material aus dem Erdkern an der Entstehung der magmatischen Quelle dieser Basalte. Das heißt, der Mantelplume, der die Basalte aus Hawaii speist, enthält Anteile von Kernmaterial, das im Mantel aufgestiegen ist und schließlich in den Basalt eingeschlossen wurde. Die Ergebnisse sind bedeutsam, denn bisher gab es nur wenige direkte Anzeichen für eine solche Kern-Leckage an der Erdoberfläche. Die starken Konzentrationsunterschiede der hoch siderophilen Elemente zwischen Kern und Mantel machen diese Isotopenverhältnisse zu einem sehr empfindlichen Sensor für eine mögliche Kern-Mantel-Kommunikation.
Dennoch konnten in der Vergangenheit Hinweise auf solche Prozesse oft nicht eindeutig interpretiert werden, weil etwaige HSE-Anreicherungen in Basalten kaum zu detektieren waren. Ansätze, um den scheinbaren Widerspruch zwischen Systematik und beobachteter HSE-Konzentration in OIB zu erklären, beinhalten nun komplexere Modelle. Eines davon ist die Vorstellung eines oxidreichen Bereichs an der Basis des äußeren Kerns, wo spezifische metallische Oxide mit angepassten Ru-W-Verhältnissen entstehen könnten. Diese Materialschicht könnte eine Quelle sein, die weniger stark mit hoch siderophilen Elementen angereichert ist, aber dennoch isotopische Spuren des Kerns trägt. Die Zugabe solcher oxidreicher Komponenten zu Mantelplumes würde die isotope Signatur von Ru und W in OIB erklären, ohne dass eine deutlich erhöhte Konzentration hoch siderophiler Elemente erforderlich wäre.
Zudem weisen Analysen teilweise alter Gesteine, wie Eoarchäische Dunite aus Isua in Grönland, ebenfalls positive ε100Ru-Anomalien auf, die auf eine s-Prozess-angereicherte nukleosynthetische Komponente zurückgeführt werden. Damit korrespondieren die Beobachtungen in marinen Basalten mit uralten Mantelreservoiren, was die Vorstellung einer sehr langen geochemischen Kontinuität im Erdinneren stärkt. Verknüpft mit weiteren Spuren wie hohen 3He/4He-Verhältnissen, die als Indikatoren für ursprünglich unbeeinträchtigte Mantelbereiche gelten, unterstützt die Auswertung von Ru- und W-Isotopen die Hypothese, dass Mantelplumes Material vom Kern-Mantel-Grenzbereich nach oben transportieren. Diese leckenartige Absonderung kleiner Kernanteile in den Mantel ist wahrscheinlich ein entscheidender Prozess, der für das Verständnis geodynamischer und geochemischer Entwicklungen von Relevanz ist. Die technisch anspruchsvollen Analysen der Isotopenverhältnisse wurden durch verbesserte Probenvorbereitung und moderne Massenspektrometrieverfahren ermöglicht.
Besonders die Präzision in der Messung von Ruthenium-Isotopen ist entscheidend, da diese nur in Spurenkonzentrationen im Mantel vorkommt und störende Isobare, wie Nickel-Ar-Tetramer (NiAr) in der Massenspektrometrie, sorgfältig unterdrückt werden müssen. Die Bedeutung dieser Ergebnisse erstreckt sich über die reine Arbeitsfelder der Geochemie hinaus. Sie liefern wichtige Hinweise auf die Entstehung und Entwicklung des Erdkerns, die Zusammensetzung und Dynamik des Mantels sowie auf die Prozesse der planetaren Differenzierung. Darüber hinaus helfen sie, Modelle der Erdgeschichte zu verfeinern, indem nukleosynthetische Signaturen als natürliches Archiv fester Bestandteile dienen. Alternative Erklärungen für die prägnanten Wolfram-Isotopenverhältnisse in OIB umfassen auch die Möglichkeit früher silikatischer Reservoirs oder das Einschluss von Material später kupierter Impaktoren.
Doch entfalten diese Modelle selten die gesamte Bandbreite der beobachteten isotopischen Kombinationen von Ru und W. Die Möglichkeit des direkten Austausches zwischen Kern und Mantel bleibt bislang die überzeugendste Erklärung. In der Zukunft versprechen weitere Untersuchungen mit erweiterten Probenserien und präziseren Messtechniken die Aufklärung der Prozesse an der Kern-Mantel-Grenze noch differenzierter zu ermöglichen. Zudem ist die Verknüpfung von geochemischen Daten mit seismologischen und geodynamischen Modellen vielversprechend, um die Modalitäten und den Umfang der Kern-Leckage und ihre Auswirkungen auf Erdwärmefluss, Magnetfeld und Plattentektonik besser zu verstehen. Zusammenfassend markieren Ru- und W-Isotopenstudien an ozeanischen Inselbasalten einen bedeutenden Fortschritt in der Erforschung des inneren Aufbaus der Erde.
Sie belegen indirekt, dass der Erdkern nicht vollständig isoliert ist, sondern dass ein gewisser Materialfluss in den Erdmantel stattfindet – ein Phänomen, das als Kernleckage bezeichnet wird. Diese Erkenntnis stimuliert das weitere wissenschaftliche Interesse an der tiefen Erde, treibt Innovationen in der Analysetechnik voran und stellt neue Fragen zur Entstehung unserer Erde und ihrer geodynamischen Prozesse. Die Auswertung der isotopischen Daten stärkt unser Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen Kern, Mantel und Oberfläche und zeigt, wie subtile chemische Spuren, die in Vulkangesteinen durch Millionen von Jahren konserviert sind, uns einen Blick in die verborgenen Tiefen unseres Planeten ermöglichen.