Die digitale Revolution der letzten Jahre hat zahlreiche Lebensbereiche grundlegend verändert, doch kaum eine Entwicklung ist so weitreichend wie der Aufstieg generativer Künstlicher Intelligenz (KI) in der Textproduktion. Von automatisiert verfassten Nachrichtenartikeln über Chatbots im Kundenservice bis hin zu KI-generierten E-Mails und Social-Media-Posts – synthetische Prosa verbreitet sich in einem Tempo, das kaum zu verfolgen ist. Doch diese Veränderung geht über das bloße Ermöglichen neuer Technologien hinaus. Sie beeinflusst fundamental die Art, wie Menschen heute schreiben und kommunizieren, und führt zu einem Phänomen, das man als „die Große Sprachliche Vereinfachung“ bezeichnen könnte. Die „Große Sprachliche Vereinfachung“ beschreibt eine Tendenz, bei der Mensch und Maschine sich gegenseitig beeinflussen und eine einheitlichere, oftmals weniger expressive Sprache entstehen lassen.
Ursprünglich lernten KI-Systeme wie ChatGPT aus der riesigen Menge menschlicher Texte – von Büchern und Artikeln bis hin zu Forenbeiträgen und Chats. Doch jetzt zeichnet sich ab, dass der Lernprozess zunehmend zirkulär wird: KI schreibt Texte, Menschen lesen diese Texte, und die Art und Weise, wie diese Menschen daraufhin selbst schreiben, verändert sich. Jeremy Nguyen, ein führender Forscher an der Swinburne University of Technology in Australien, nahm diese Entwicklung zum Anlass eines spannenden Experiments. Über 300 Teilnehmer wurden gebeten, eine Verkaufstextanzeige für ein Sofa zu verfassen. Danach zeigten die Forscher den Teilnehmern einen von ChatGPT erstellten Text zum gleichen Thema und ließen sie anschließend erneut schreiben.
Ohne Aufforderung zur Anpassung änderte sich die Ausdrucksweise der Testpersonen merklich. Die Texte wurden deutlich länger, ausführlicher und schlugen eine viel elaboriertere Sprache an. Im Schnitt stieg die Wortzahl von etwas mehr als 30 auf fast 90 Worte. Dieser Befund lässt fundamental hinterfragen, wie das Zusammenspiel von Mensch und Maschine das Kommunikationsverhalten prägt. Die Komplexität und Fülle der von KI generierten Texte regen Menschen dazu an, ihre eigenen Beiträge auszufeilen, teilweise sogar ausführlicher zu schreiben, als sie es ursprünglich getan hätten.
Das stellt die Befürchtung in Frage, dass KI-Kommunikation zwingend zur Verarmung und Verkürzung der Sprache führen muss. Stattdessen kann sie auch eine Ausweitung und Verfeinerung sein – zumindest in spezifischen Kontexten. Gleichzeitig weist die Generierung von Texten durch KI eine Tendenz zur „Glättung“ auf: Komplexe, nuancierte oder sehr individuelle Stilzüge treten oft zugunsten einer klaren, verständlichen und pragmatischen Ausdrucksweise in den Hintergrund. Das hat weitreichende Folgen für die kulturelle Landschaft des Schreibens. Literarische Raffinesse, emotionale Tiefe und kreative Sprachspiele könnten zunehmend seltener werden, wenn sich diese Art zu Schreiben als Norm etabliert.
Das Phänomen ist eng verbunden mit dem ökonomischen und gesellschaftlichen Wandel, bei dem Effizienz und Zugänglichkeit eine immer größere Rolle spielen. Unternehmen, Medienhäuser und Social-Media-Plattformen sind daran interessiert, Inhalte schnell und für möglichst viele Nutzer verständlich aufzubereiten. KI-generierte Texte leisten hier wichtige Dienste, indem sie große Datenmengen automatisiert verarbeiten und standardisieren. Doch der Preis dafür könnte ein Verlust an sprachlicher Vielfalt und Ausdruck bewegt sich möglicherweise in Richtung einer Vereinheitlichung und Vereinfachung. Deutsch ist eine Sprache, die traditionell durch komplexe Satzstrukturen und einen reichen Wortschatz besticht.
Doch die digitale Kommunikation mit ihren kurzen Nachrichten, häufigen Abkürzungen und Emoticons hat bereits eine deutliche Verflachung bewirkt. Künstliche Intelligenz, die auf eben solchen Texten trainiert wurde, spiegelt und verstärkt diese Entwicklung. Damit stehen wir an einem Scheideweg: Einerseits verbessern sich die Verständlichkeit und Zugänglichkeit von Texten, was auch unter dem Aspekt der Inklusion zu begrüßen ist. Andererseits droht eine Verarmung der Ausdrucksmöglichkeiten, die insbesondere für literarische und kreative Bereiche in der Sprache gravierende Folgen haben kann. Das Thema ist nicht neu, aber gewinnt durch die fortschreitende technische Entwicklung an Dringlichkeit.
Vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks oder der Verbreitung des Internets stellt die KI-basierte Textgenerierung eine neue soziale und kulturelle Herausforderung dar. Besonders hervorzuheben ist, dass diese Verschiebungen nicht von einer externen Kraft einfach diktiert werden, sondern auf kollaborativen Lern- und Anpassungsprozessen zwischen Mensch und Maschine beruhen. Wissenschaftler und Pädagogen sind aufgerufen, diesen Wandel kritisch zu begleiten. Vermittlung von Sprachkompetenz muss künftig auch den Umgang mit KI-infundierter Kommunikation miteinschließen. Das bedeutet, Bewusstsein für den Einfluss KI-generierter Texte zu schaffen, die Analyse von Stil und Inhalt zu fördern und gleichzeitig die individuellen Kreativitätspotenziale zu stärken.
Auch Unternehmen und Entwickler von KI-Systemen tragen Verantwortung, indem sie die Balance zwischen Effizienz und sprachlicher Vielfalt wahren. Durch gezielte Trainingsdaten, die vielfältige Sprachstile einschließen, kann verhindert werden, dass sich monotone Sprachmuster durchsetzen. Zugleich sollten Nutzermöglichkeiten erweitert werden, Textgeneratoren individuell zu steuern, um kreative Ausdrucksformen zu fördern. Die Große Sprachliche Vereinfachung ist nicht unvermeidlich. Es liegt an uns, die digitale Entwicklung aktiv zu gestalten, damit Künstliche Intelligenz als Werkzeug nicht nur die ökologische, ökonomische und soziale Zukunft unterstützt, sondern auch unsere kulturelle und sprachliche Vielfalt bewahrt.