In der modernen Softwareentwicklung stehen EntwicklerInnen immer wieder vor der Herausforderung, komplexe Systeme nicht nur zu erstellen, sondern auch langfristig wartbar und verständlich zu gestalten. Ein oft übersehenes, aber äußerst wichtiges Konzept in diesem Zusammenhang ist die Locality of Behaviour, kurz LoB. Dieses Prinzip beschreibt die Vorstellung, dass das Verhalten eines Codeabschnitts so direkt und lokal wie möglich aus diesem selbst hervorgehen sollte. Anders formuliert bedeutet LoB, dass ProgrammiererInnen die Funktionsweise eines Elements oder Moduls genau durch den Blick auf diesen Code selbst erfassen können, ohne in zahlreiche andere Bereiche des Systems eintauchen zu müssen. Gerade in großen Projekten ist dies ein entscheidender Vorteil, um den Überblick zu behalten und den Aufwand bei Änderungen oder Fehlerbehebungen zu minimieren.
Die Ursprünge von LoB gehen auf die Erkenntnisse des Computerwissenschaftlers Richard Gabriel zurück, der bereits in den 1990er Jahren betonte, wie wichtig Locality ist, um Verständlichkeit und Wartbarkeit von Quellcode zu gewährleisten. Seine Aussage, dass ein Programmierer Code idealerweise durch das Studium eines kleinen interessierenden Ausschnitts verstehen können sollte, bildet das Fundament des LoB-Prinzips. Dieses Prinzip kann als Leitfaden dienen, um Code so zu organisieren, dass sein Verhalten ohne langes Suchen oder Querverweise erkennbar wird. Hierdurch wird der sogenannte "Spooky Action at a Distance"-Effekt vermieden, bei dem Änderungen an einer Stelle im Code unerwartete Wirkungen an ganz anderer Stelle hervorrufen. Ein anschauliches Beispiel zur Verdeutlichung von LoB liefert die Gegenüberstellung zwischen htmx und jQuery bei der Implementierung eines einfachen AJAX-Requests.
Während im jQuery-Beispiel das Verhalten eines Buttons auf verschiedene Dateien verteilt wird – was es nötig macht, mehrere Codebereiche zu kennen, um zu verstehen, was bei einem Klick passiert –, ist bei htmx das Verhalten des Elements direkt im HTML-Tag durch ein Attribut klar ersichtlich. Dadurch wird das Verhalten „lokal“ und unmittelbar verständlich. Dies zeigt eindrucksvoll, wie LoB die Wartbarkeit vereinfacht, da EntwicklerInnen nicht in der gesamten Codebasis suchen müssen, um die Logik eines bestimmten Elements zu erfassen oder zu ändern. Trotz der offensichtlichen Vorteile steht LoB manchmal im Spannungsfeld mit anderen etablierten Prinzipien der Softwareentwicklung. Besonders bemerkenswert sind hierbei Konflikte mit DRY (Don’t Repeat Yourself) und SoC (Separation of Concerns).
Beide Prinzipien verfolgen ebenfalls wichtige Ziele: DRY versucht, Wiederholungen im Code zu vermeiden, um Redundanz und Inkonsistenzen zu minimieren. SoC hingegen zielt darauf ab, unterschiedliche Verantwortlichkeiten in klar getrennte Module oder Schichten zu gliedern, um die Komplexität beherrschbar zu machen. Der Konflikt entsteht, weil Maßnahmen zur Einhaltung von DRY oder SoC dazu führen können, dass das Verhalten eines Codes weiter weg vom betreffenden Element oder Modul kodiert wird. Beispielsweise kann eine Stiländerung in einer globalen CSS-Datei das Verhalten oder Aussehen eines UI-Elements stark beeinflussen, ohne dass dies im direkten HTML sichtbar wäre. Ein Entwickler, der nur den HTML-Code berücksichtigt, würde dann überrascht sein von den Auswirkungen dieser Änderungen.
Ähnlich kann die Auslagerung von wiederkehrenden Verhaltensweisen in zentrale Funktionen oder Services zwar Redundanzen verhindern, aber es wird schwieriger, das Verhalten einer einzelnen Komponente schnell zu erfassen. Dieses Spannungsfeld macht deutlich, dass Locality of Behaviour kein dogmatisches Gebot ist, sondern ein Prinzip, das immer in Abwägung mit anderen Aspekten angewendet werden muss. Softwareentwicklung ist komplex und oft pragmatisch. Je nach Kontext kann ein gewisses Maß an Verletzung von LoB akzeptabel sein, um die Vorteile anderer Prinzipien zu erhalten. Wichtig ist, dass EntwicklerInnen sich der Trade-offs bewusst sind und bewusst Entscheidungen treffen, die die Wartbarkeit und Verständlichkeit langfristig fördern.
Eine weitere Dimension im Umgang mit LoB ist die feine Abgrenzung zwischen der Lokalisierung der Deklaration eines Verhaltens und der Verlagerung der Implementierungsdetails. Methoden oder Funktionen sollten ihre abstrakte Schnittstelle klar deklarieren, sodass ihre Nutzung an Aufrufstellen eindeutig und unmittelbar ersichtlich ist. Die eigentlichen Implementierungsdetails können dann intern verborgen bleiben, ohne die Locality of Behaviour zu beeinträchtigen. Dies entspricht der üblichen Praxis in der objektorientierten oder modularen Programmierung und stellt sicher, dass die Abstraktion gewahrt bleibt, ohne dass die Verständlichkeit leidet. Die Förderung von LoB ist keine rein technische Aufgabe, sondern auch eine kulturelle Herausforderung in Teams und Unternehmen.
Gute Code Reviews, klare Naming Conventions und die Nutzung von Frameworks, die LoB unterstützen, können helfen, dieses Prinzip konsequent umzusetzen. Insbesondere moderne Web-Frameworks und Libraries, die deklarativen Stil fördern, unterstützen EntwicklerInnen dabei, Verhalten möglichst nahe am Element zu definieren. Ein weiterer Vorteil von LoB ist die erhöhte Geschwindigkeit und Qualität bei der Fehlersuche. Wenn Verhalten lokal sichtbar ist, müssen EntwicklerInnen weniger Kontext recherchieren, um die Ursache eines Fehlers zu erkennen. Dies führt zu kürzeren Iterationszeiten und reduzierten Kosten bei der Wartung von Software.
Gerade in agilen Entwicklungsmethoden, in denen kontinuierliche Verbesserungen und schnelle Anpassungen gefordert sind, ist LoB deshalb sehr wertvoll. Nicht zuletzt trägt Locality of Behaviour zur besseren Einarbeitung neuer Teammitglieder bei. Neue KollegInnen können sich schneller zurechtfinden, wenn das Verhalten von Codeeinheiten direkt und übersichtlich in diesen Einheiten dargestellt wird, statt sich mühsam durch verstreute Implementierungen kämpfen zu müssen. Das fördert eine nachhaltige Teamdynamik und erleichtert Wissensweitergabe und Kollaboration. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Locality of Behaviour ein essenzielles Prinzip für sauberen, wartbaren und verständlichen Code ist.
Es hilft, die Komplexität in großen Systemen zu reduzieren, die Qualität des Codes zu erhöhen und die Effizienz der Entwicklung zu verbessern. Dennoch muss LoB immer in Balance zu anderen wichtigen Prinzipien der Softwareentwicklung gesehen werden. Nur durch bewusstes Abwägen der jeweiligen Vor- und Nachteile kann nachhaltiger Erfolg erzielt werden. Die bewusste Anwendung von Locality of Behaviour sichert nicht nur die technische Qualität von Software, sondern macht sie auch für die EntwicklerInnen zugänglicher und menschlicher.