Die Zoological Society of London (ZSL) steht im Jahr 2025 vor einem bedeutenden Meilenstein: dem 200. Jubiläum seit der Gründung durch Sir Stamford Raffles. Im Vorfeld dieses einzigartigen Jubiläums hat das Archivteam der renommierten Gesellschaft eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht, die zugleich eine Herausforderung darstellt. Bei der Durchsicht alter Bestände entdeckten die Mitarbeiter mehr als 200 Filmrollen, die vermutlich einzigartige Aufnahmen aus der langen Geschichte der Institution enthalten. Besonders faszinierend ist, dass etwa 20 dieser Filmrollen keinerlei Beschriftungen tragen und somit völlig unbekannt sind – eine geheimnisvolle Schatzkiste der Vergangenheit, deren Inhalt es zu entschlüsseln gilt.
Diese Fundstücke bergen das Potenzial, bedeutende historische Momente, frühe Tierbeobachtungen und vielleicht bislang unveröffentlichte Dokumentationen des Engagements der ZSL im Bereich der Tierweltforschung und des Umweltschutzes zu enthüllen. Einige der Filme sind zwar mit kryptischen Beschreibungen versehen, die auf Aufnahmen von prominenten Tieren wie Chi Chi, dem Panda, oder Verhaltensstudien über Congo, den Schimpansen, hindeuten, viele andere bleiben jedoch vage und fordern Experten und Laien gleichermaßen dazu auf, ihre Geschichte zu ergründen. Das Anliegen, diese Filmrollen zu entschlüsseln und zu bewahren, ist nicht nur aus historischer Perspektive spannend, sondern auch dringend aufgrund des Zustands der Filme. Einige der Rollen zeigen bereits Anzeichen von sogenanntem Essigsäure-Syndrom, einem schleichenden Verfall, der die Filme spröde macht und ihre Inhalte durch den Zerfall von Zelluloid unwiederbringlich vernichtet. Die „Reels“ sind somit gefordert, nicht nur als Zeitzeugen, sondern auch als fragile Artefakte, deren Bewahrung rasches und professionelles Handeln benötigt.
Die Historiker der ZSL werden bei diesem Vorhaben von Experten wie Dr. Miles Kempton von der Universität Cambridge unterstützt, der die Geschichte der Gesellschaft in Vorbereitung auf das Jubiläum erforscht. Dr. Kempton vermutet, dass die gefundenen Filmrollen größtenteils aus den 1950er und 1960er Jahren stammen, einer Zeit, die als Geburtsstunde der Naturdokumentation in Großbritannien gilt. Besonders in diesen Jahrzehnten markierte die ZSL mit ihren Beiträgen einen bedeutenden Schritt in der bahnbrechenden Zusammenarbeit mit Fernsehanstalten wie der BBC und ITV.
Besonders erwähnenswert ist dabei die Verbindung zur Karriere von Sir David Attenborough. Bekannt als einer der bedeutendsten Naturfilmer und Moderator weltweit, war Sir David ursprünglich nicht vor der Kamera geplant – erst der Ausfall des Zoowärters während der BBC-Serie „Zoo Quest“ ließ ihn in den Vordergrund rücken. Die ZSL spielte durch solche Produktionen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Genres und trug entscheidend zur Popularisierung von Naturdokumentationen bei. Auch die Zusammenarbeit mit Granada Television, die etwa den bekannten Fernsehmoderator Desmond Morris ins britische Fernsehen einführte, verdeutlicht die zentrale Stellung der Gesellschaft in der Medienlandschaft ihrer Zeit. Die Entdeckung der Filmrollen passt perfekt in die Sammlung außergewöhnlicher Artefakte aus der Geschichte der ZSL, zu denen auch ungewöhnliche Gegenstände wie ein Straußenei aus den 1930er Jahren oder Souvenirs in Form von Eisbären-Seifen gehören.
Doch gerade die Filme können lebendige Zeitzeugnisse sein, die Einblicke in Wissenschaft, Medien, Tierverhalten und die gesellschaftliche Wahrnehmung von Wildtieren gewähren – Themen, die heute mehr denn je an Relevanz gewinnen. Die ZSL ruft deshalb Filmsammler, Historiker, Filmexperten und alle Interessierten auf, die „Reel Mystery“ zu unterstützen. Wer bereit ist, bei der Identifizierung und Archivierung der unbekannten Rollen mitzuwirken, kann sich über die Plattform History Hive der Gesellschaft melden. Angesichts der Dringlichkeit – durch den fortschreitenden Verfall der Rollen – wird um zeitnahe Hilfe gebeten. Die digitale Sicherung dieser Filmrollen wäre ein großer Gewinn für die Forschung und das öffentliche Bewusstsein.
Nicht nur könnten die Rollen als wichtige Quellen für Medienhistoriker, Archäologen, Naturforscher und Kulturschaffende dienen, sondern auch für Bildungseinrichtungen und für die breitere Öffentlichkeit spannende Entdeckungen bereithalten. Die Digitalisierung wäre zudem ein Schritt zur Bewahrung dieses Erbes über das Jubiläumsjahr hinaus. Das Projekt zeigt eindrucksvoll, wie historisches Filmmaterial nicht nur nostalgischen Wert besitzt, sondern auch ein lebendiges Bindeglied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sein kann. Es macht deutlich, wie wichtig interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Archiven, WissenschaftlerInnen, Medienexperten und der Öffentlichkeit ist, um nachhaltige Bewahrungskonzepte zu entwickeln und umzusetzen. Vor dem Hintergrund der globalen Umweltkrise, in der das Verhältnis des Menschen zur Natur immer wieder neu verhandelt wird, sind die Geschichten und Erkenntnisse, die in den Filmrollen schlummern, von unschätzbarem Wert.
Sie laden dazu ein, die historische Beziehung zwischen Gesellschaft und Tierwelt neu zu reflektieren und Inspiration für gegenwärtige und zukünftige Naturschutzstrategien zu gewinnen. Abschließend unterstreicht Tina Campanella, Projektleiterin der ZSL-Bicentenary, die Bedeutung der Aufgabe: 200 Jahre Geschichte zu erforschen und zu präsentieren, ist eine immense Herausforderung. Das „Reel Mystery“ ist dabei eine besonders spannende Facette dieser Arbeit, die ohne das Engagement zahlreicher Unterstützer nicht zu bewältigen wäre. Sie ruft dazu auf, gemeinsam den Filmspulenbildschirm zu lüften und so der Geschichte von Tierweltforschung und Naturfilm eine neue Dimension zu verleihen. Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist dabei ein entscheidender Faktor: Jeder, der Filme oder historisches Material liebt, hat die Möglichkeit, sich einzubringen und Teil eines lebendigen Entdeckungsprozesses zu werden, der weit über die reine Archivarbeit hinausgeht.
So bleibt der aktuelle Aufruf nicht nur eine Einladung zur Unterstützung. Er ist auch ein Appell, die Historie lebendig zu halten, historische Medien als Kultur- und Wissenschaftsgut anzuerkennen und das Bewusstsein für den Wert von Archivarbeit in einer digitalisierten Welt zu stärken. Gemeinsam können wir nicht nur die Geheimnisse der „Reels“ ergründen, sondern auch den Grundstein für eine nachhaltige Bewahrung unseres natürlichen und kulturellen Erbes legen.