Die Vorstellung, mit dem Bus von London nach Kalkutta zu reisen, klingt heute fast wie eine abenteuerliche Reise aus einem Roman. Doch zwischen den 1950er und 1970er Jahren war diese einzigartige Busverbindung zwischen Großbritannien und Indien Realität und zog zahlreiche Reisende an, die das Fernweh in der Seele tragen. Diese transkontinentalen Busreisen boten nicht nur eine bequeme Fortbewegungsmöglichkeit, sondern auch eine kulturelle Brücke zwischen zwei weit entfernten Teilen der Welt. Die faszinierende Entwicklung, die Herausforderungen und der historische Kontext dieser Busdienste sind ein Spiegelbild gesellschaftlicher Veränderungen und geopolitischer Faktoren der Zeit. Die Geschichte beginnt mit „The Indiaman“, einem Pionierprojekt, das im Jahr 1957 seine erste Fahrt unternahm.
Dieser Bus service, organisiert von Garrow-Fisher Tours, startete vom Londoner Victoria Coach Station und erreichte nach einer rund 20.000 Meilen langen Route die Metropole Kalkutta. „The Indiaman“ war ein umgebauter AEC Regal III Bus aus dem Jahr 1948, der aufwendig renoviert wurde, um die Strapazen der langen Reise zu bewältigen. Das Projekt beeindruckte durch seine Länge und die komplexe Route, die unter anderem über Länder wie die Türkei, den Iran und Pakistan führte. Die Fahrt war alles andere als unkompliziert – die Pandemie von 1957/58, die politische Lage an den Grenzen und die Herausforderungen durch unwegsames Gelände prägten die Reise stark.
Die Anekdoten von Fahrern, die mit Planken ausgerüstet ihren Weg aus dem Wüstensand bahnten, oder diplomatische Erleichterungen, bei denen Botschaften ihren Besuchern Cocktails servierten, illustrieren die zahlreichen Facetten des Abenteuers. „The Indiaman“ wurde insgesamt viermal durchgeführt und blieb für viele Jahre ein Symbol für weite, abenteuerliche Reisen auf der Landstraße. Es folgte die berühmte Unternehmung „Albert“, betrieben von Albert Travel und initiiert durch den australischen Reiseunternehmer Andy Stewart, der in Großbritannien lebte. Mit einem gebrauchten und modifizierten Albion Venturer Bus aus den 1940er-Jahren unternahm Stewart ab 1968 mehrere Fahrten zwischen London und verschiedenen Zielorten in Indien wie Kalkutta, Neu-Delhi und Agra. Der Bus wurde speziell für die langen Reisen umgerüstet, verfügte über Etagenbetten, eine kleine Küche, Heizung und Unterhaltungsmedien – mehr als nur ein Transportmittel, vielmehr ein rollendes Zuhause.
Die Route von „Albert“ führte über Europa und den Nahen Osten, durch Länder wie Iran und Afghanistan, bevor sie den indischen Subkontinent erreichte. Die Busreisen wurden als das „weltweit längste Busroute-Erlebnis“ beworben und zogen eine vielfältige Passagierklientel an, von Abenteurern aus dem Westen bis hin zu wirtschaftlichen Migranten aus Südasien. Die Fahrpreise stiegen im Laufe der Zeit, sodass man Mitte der 1970er Jahre mit kostspieligen Tickets rechnete, die jedoch immer noch den Reiz und die Exotik der Reise widerspiegelten. Die politische Instabilität in der Region, besonders im Iran ab Ende der 1970er Jahre sowie der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan, führten zum Abbruch dieser legendären Busdienste. Seitdem sind direkte Überlandverbindungen zwischen Großbritannien und Indien auf dem Landweg nicht mehr möglich.
Dennoch waren die 1960er und 1970er Jahre von weiteren Anbietern geprägt, die transkontinentale Busreisen organisierten. Unternehmen wie Topdeck Travel, Waltzing Matilda und Penn Overland machten sich daran, eigene Routen aufzubauen, die Teilnehmern oft noch mehr Abenteuer und kulturelle Erlebnisse versprachen. Einige Reisen dauerten bis zu 70 Tage und führten durch bis zu 20 Länder, während die Fahrzeuge von traditionellen Doppeldeckerbussen bis hin zu umgebauten Feuerwehrfahrzeugen variierten. Die Grenzformalitäten und kulturellen Unterschiede stellten allerdings eine große Herausforderung dar, oft waren bewaffnete Fahrer notwendig, vor allem bei westwärts gerichteten Reisen. Die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan wurde 1978 geschlossen, was die Routen stark einschränkte und in Kombination mit den revolutionären Umbrüchen im Iran 1979 das endgültige Aus für die Busverbindungen bedeutete.
In den letzten Jahren gab es immer wieder Versuche, die legendären Überlandbusdienste neu zu beleben. Inspiriert von der sogenannten „Hippie-Trail“-Bewegung kündigte ein indisches Reiseunternehmen namens Adventures Overland im Jahr 2020 großspurige Pläne an, spektakuläre Busreisen von Delhi nach London anzubieten. Die Route sollte über 18 Länder führen, darunter Myanmar, Thailand, Laos, China und Russland, und eine Strecke von 12.500 Meilen abdecken, was etwa 20.100 Kilometern entspricht.
Diese Reise versprach eine außergewöhnliche kulturelle Erfahrung und sollte 70 Tage dauern. Aufgrund der zum Teil komplexen geopolitischen Lage und der globalen Pandemie verschoben sich die Starttermine mehrfach, zuletzt auf April 2023. Um die echte Machbarkeit der Route zu demonstrieren, berichtete das Unternehmen, bereits mehrere Testfahrten erfolgreich absolviert zu haben. Auch wurden neuere Teilstrecken geplant, zum Beispiel im Verlauf von Istanbul nach London im Sommer 2023. Neben dem Nostalgiefaktor und dem Drang nach transkontinentalen Abenteuern spiegeln solche Projekte auch das wachsende Interesse an nachhaltigem und entschleunigtem Reisen wider, das mit der Moderne und dem Massentourismus im Kontrast steht.
Trotz der Herausforderungen, die solche Langstreckenbusfahrten mit sich bringen, bleibt die Faszination für die Verbindung zwischen Indien und Großbritannien als „Roadtrip“ lebendig. Die alten Busse wie „The Indiaman“ oder „Albert“ haben auch heute noch ihren Platz in der Geschichte des Overland-Reisens. Die Erhaltung und Restaurierung der busse, ihre Ausstellung bei Oldtimer-Treffen oder sogar die Durchführung einmaliger Reisen tragen dazu bei, das Erbe lebendig zu halten. Rückblickend zeigt die Geschichte des Großbritannien-Indien-Busverkehrs eine Welt, die noch nicht von schnellen Flügen oder digitaler Vernetzung geprägt war. Es war eine Zeit, in der jede Reise noch eine Herausforderung darstellte, soziale Bindungen und zwischenkulturelle Begegnungen intensiv erlebbar waren und die Grenzen der bekannten Welt neu definiert wurden.
Die überland Busverbindungen verbanden nicht nur geografische Orte, sondern auch unterschiedlichste Welten und Menschen und sind ein eindrucksvolles Symbol für Entdeckungsfreude und den menschlichen Drang nach Bewegung. Für heutige Reisende und Geschichtsinteressierte bieten sie einen faszinierenden Blick zurück auf eine Ära, in der das Reisen selbst Teil des Abenteuers war, dessen Geschichten weiterhin inspirieren, Grenzen zu überschreiten und neue Wege zu erkunden.