Der technologische Riese Google befindet sich an einem Wendepunkt. In einer Zeit, in der Künstliche Intelligenz (KI) die Art und Weise, wie Menschen Informationen suchen und konsumieren, grundlegend verändert, steht das einst unantastbare Suchmaschinenimperium unter immensem Druck. Ein prominenter Analyst von DA Davidson, Gil Luria, hat kürzlich in einem Interview mit Yahoo Finance darauf hingewiesen, dass Google durch eine umfassende Aufspaltung, einen sogenannten „Big Bang Breakup“, einen Unternehmenswert von erstaunlichen 3,7 Billionen US-Dollar erzielen könnte – eine Summe, die deutlich über der aktuellen Marktkapitalisierung von knapp unter 2 Billionen Dollar liegt. Der Vorschlag stößt dabei auf großes Interesse, vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden regulatorischen Herausforderungen und dem rasanten Fortschritt in der KI-Technologie. Die Kernfrage lautet: Warum braucht Google eine solch radikale Umstrukturierung und wie könnte diese die Zukunft des Konzerns sichern? Die Antwort liegt in der sich wandelnden Suchlandschaft.
Jahrzehntelang war Google die dominierende Kraft im Bereich der Internetsuche. Doch mit dem Aufkommen von KI-gesteuerten Chatbots und intelligenten Assistenten, die Fragen direkt beantworten und nicht nur Links auflisten, steht Googles traditionelle Suchmaschine vor einer ernsthaften Bedrohung. Die Wahrscheinlichkeit, dass Google seine marktbeherrschende Stellung in absehbarer Zeit verliert, ist für viele Experten nicht mehr auszuschließen. Deshalb fordert Gil Luria seine Klienten – eine vielfältige Gruppe institutioneller Anleger – auf, nicht auf die eher vorsichtigen Vorschläge der US-Justiz zu setzen, die isolierte Abspaltungen wie etwa die Herauslösung von Chrome oder des Anzeigennetzwerks empfehlen. Vielmehr sieht er in einer vollständigen Zerlegung des Konzerns den Schlüssel zur Entfaltung verborgener Werte.
Jede der einzelnen Geschäftseinheiten von Google – YouTube, Google Search, Google Cloud, Waymo sowie die diversen KI-Segmente – verfügt über enormes Wachstumspotenzial und sollte als eigenständiges, an der Börse gelistetes Unternehmen agieren. Das würde laut Luria nicht nur das Vertrauen der Anleger stärken, sondern auch deren Wertschätzung deutlich erhöhen. Derzeit wird Alphabet, die Muttergesellschaft von Google, mit einem ungewöhnlich niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 16 bewertet – eine Bewertung, die gemessen an vergleichbaren Unternehmen in den einzelnen Technologiebereichen wie Cloud Computing, autonomen Fahrzeugen oder Streaming-Diensten unterdurchschnittlich ist. Wenn die Segmente jedoch unabhängig voneinander bewertet würden, könnten sie sich an den Bewertungen der erfolgreichsten Wettbewerber auf ihren jeweiligen Märkten orientieren. Waymo, beispielsweise, könnte sich mit der Marktkapitalisierung von Uber messen, Google Cloud wäre vergleichbar mit Snowflake und YouTube ließe sich an Netflix orientieren.
Besonders spannend ist Lurias Einschätzung zu Googles KI-Geschäft, inklusive der Tensor Processing Units (TPUs) und DeepMind. Dieses Segment könnte mit einem Wert von rund 760 Milliarden US-Dollar bewertet werden – ein Blickfang, der die enorme Bedeutung von KI für die Zukunft von Technologie und Wirtschaft unterstreicht. Hinter diesem Vorschlag steckt nicht nur eine finanzielle Perspektive, sondern auch eine strategische Überlegung. In einer immer dynamischeren und stärker regulierten Welt könnten kleinere, fokussierte Unternehmen agiler und innovationsfreudiger agieren als ein monolithischer Gigant wie Alphabet. Die Zerlegung würde außerdem Wettbewerb fördern und den Verbrauchern sowie Investoren mehr Wahlmöglichkeiten bieten.
Rechtsseitig rückt Google aufgrund kürzlich erfolgter Gerichtsentscheidungen zunehmend in den Fokus. Ein US-Bundesrichter hat das Unternehmen für die illegale Monopolisierung des Suchmaschinenmarktes verantwortlich gemacht, und die US-Justiz fordert derzeit Maßnahmen wie die Veräußerung von Chrome und Teilen des Anzeigen-Netzwerks. Diese Maßnahmen verdeutlichen, dass der juristische Druck weiter zunimmt und die traditionellen Geschäftsmodelle von Google infrage gestellt werden. Ein „Big Bang Breakup“ könnte eine proaktive Antwort darauf sein und Google ermöglichen, sich neu aufzustellen, bevor regulatorische Auflagen noch schwerwiegender werden. Anleger und Marktbeobachter zeigen sich aktuell zwiegespalten.
Auf der einen Seite steht die Stabilität und der kontinuierliche Cashflow der bestehenden Geschäftsmodelle, auf der anderen Seite die Notwendigkeit zur Anpassung an eine sich rasant verändernde Technologielandschaft. Die Debatte rund um eine Aufspaltung ist daher auch eine Debatte um den Erhalt von Wettbewerbskraft und Innovationsfähigkeit. Ein markanter Kursanstieg von Alphabet-Aktien könnte der erste Indikator dafür sein, dass der Markt positiv auf die Aussicht einer Neuordnung reagiert. Lurias Schätzung, dass die Alphabet-Aktie zwischen 240 und 300 US-Dollar erreichen könnte, ist ein deutlicher Kontrast zum aktuellen Handelspreis von rund 160 Dollar. Dies spiegelt das nicht ausgeschöpfte Wertpotenzial wider, das durch die Auftrennung freigesetzt werden könnte.
Darüber hinaus ist die Tech-Branche von starken Synergieeffekten geprägt, die bei einem Zerlegen zwar teilweise verloren gehen, jedoch durch einen klareren Fokus in den einzelnen Geschäftseinheiten vielfach kompensiert werden. Auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Weiterentwicklung von KI, die nicht nur maßgeblich für Suchmaschinen, sondern auch für Cloud-Dienste, autonome Fahrzeuge und personalisierte Medieninhalte ist, gewinnt diese Spezialisierung an Bedeutung. Google hat in der Vergangenheit bewiesen, dass es innovative Technologien erfolgreich entwickeln kann, doch der Wettbewerb hat sich verschärft. Firmen wie Microsoft mit OpenAI, Amazon im Cloud-Bereich und eine Vielzahl von Startups erhöhen den Druck. Eine breiter aufgestellte Marktpräsenz durch verschiedene Unternehmen könnte Google helfen, flexibler auf technologische Umwälzungen zu reagieren und sich zugleich regulatorisch zu entlasten.
Vor allem für Anleger wäre diese Neustrukturierung attraktiv, da sie die Möglichkeit böte, gezielter in einzelne Geschäftsbereiche mit hohen Wachstumsraten zu investieren. Während einige Geschäftssegmente stabile, wenn auch mäßig wachsende Einnahmen liefern, stecken in anderen Bereichen wie KI und autonomem Fahren enorme Zukunftspotenziale. Insgesamt steht Google vor einer Transformation, die möglicherweise die Art und Weise revolutioniert, wie Großkonzerne agieren. Die Kombination aus Wettbewerbsdruck, regulatorischer Intervention und rasanten technologischen Fortschritten macht eine Anpassung zwingend notwendig. Die vorgeschlagene „Big Bang Breakup“-Strategie ist ein visionärer Weg, der Google nicht nur vor kurzfristigem Wertverfall schützen könnte, sondern auch die Weichen für ein nachhaltiges, diversifiziertes Wachstum in der Zukunft stellt.
Sollte Alphabet den Schritt wagen, könnten wir Zeugen einer der bedeutendsten Neustrukturierungen in der Geschichte der Tech-Branche werden – mit weitreichenden Auswirkungen auf Investoren, Konkurrenten und Verbraucher weltweit. Die Diskussion um Googles Zukunft ist damit zugleich eine Diskussion um die Rolle und den Wert von Technologie im 21. Jahrhundert.