Die Wikimedia Foundation, als Trägerin von Wikipedia und zahlreicher freier Wissensprojekte, hat im Mai 2025 eine rechtliche Herausforderung gegen die im Vereinigten Königreich in Kraft getretenen Regulierungsvorschriften des sogenannten Online Safety Act (OSA) eingeleitet. Dabei konzentriert sich der juristische Einspruch auf die sogenannten Kategorisierungsregelungen, die im Rahmen des OSA differenzieren sollen, welche Online-Dienste besonders strengen Pflichten, den sogenannten Kategorie-1-Pflichten, unterliegen. Diese Pflichten sind ursprünglich entworfen worden, um die gefährlichsten Online-Seiten zu regulieren, um Nutzer vor Missbrauch, Manipulation und anderen schädlichen Inhalten zu schützen. Die Wikimedia Foundation sieht sich durch die weit gefassten und in der Praxis unpräzisen Kategorisierungsregeln jedoch ernsthaft bedroht, da sie Wikipedia und seine Nutzer unnötigen Risiken aussetzen könnten und dabei die Funktionsweise der Plattform empfindlich stören würden. Wikipedia ist eine der weltweit meistbesuchten Webseiten und bietet in mehr als 300 Sprachen freien Zugang zu faktischem, gut geprüftem Wissen.
Diese Großartige Gemeinschaft aus Ehrenamtlichen, die im weltweiten Verbund Artikel schreiben, überprüfen und verbessern, stellt sicher, dass Wikipedia zuverlässig und als Enzyklopädie keine Plattform für Hass oder Desinformation wird. Genau diese gemeinschaftliche Arbeitsweise und Offenheit läuft Gefahr, durch die Kategorie-1-Pflichten untergraben zu werden. Eine zentrale Kategorie-1-Pflicht verlangt eine verpflichtende Nutzeridentitätsprüfung, um sogenannte anonyme Inhalte zu kontrollieren. Für Wikipedia würde dies bedeuten, dass Nutzer, die Informationen verfassen oder verändern wollen, womöglich ihre Identität offenlegen müssten, was nicht nur die Teilnahme für viele erschweren könnte, sondern auch die Freiwilligen abschreckt, die heute ohne Angst vor Repressalien und Datenschutzrisiken aktiv sind. Ferner sieht die Wikimedia Foundation ein erhebliches Gefahrenpotenzial durch die Möglichkeit, dass Nutzer ungeprüft andere Nutzer blockieren können, solange diese ihre Identität nicht verifiziert haben.
Dies könnte zu Missbrauch durch böswillige Personen führen, die beispielsweise neutrale oder kritische Beiträge verhindern möchten. Die freiheitliche gemeinschaftliche Kontrolle von Inhalten, die das Herzstück des Erfolges von Wikipedia darstellt, könnte so in ihrer Neutralität und Effektivität stark eingeschränkt oder gar beschädigt werden. Das Gesetz wurde ursprünglich dafür geschaffen, vor allem soziale Medien und Plattformen mit hohem Risiko in puncto Desinformation, Hassrede und Missbrauch zu regulieren. Wikipedia ist jedoch keine soziale Plattform im herkömmlichen Sinn. Es ist eine Enzyklopädie, deren Inhalte auf Überprüfbarkeit, Neutralität und gemeinschaftlicher Kontrolle beruhen.
Die neue Regulierung ignoriert weitgehend diese Unterschiede und setzt Wikipedia mit riskanteren, problematischen Webseiten auf eine Stufe. Dies führt zu einer unbeabsichtigten Überregulierung einer gemeinnützigen Organisation, die weltweit Millionen Menschen mit gebührenfreiem Wissen versorgt. Die Kategorisierungsregelungen sind zudem verblüffend breit gefasst und unklar definiert. So könnte bereits das Vorhandensein einer Empfehlungsalgorithmus-Funktion, wie sie von Wikipedia genutzt wird, um Freiwilligen neue zu überprüfende Artikel vorzuschlagen, als Grund für eine Kategorie-1-Einstufung dienen. Ebenso sind Sharing-Funktionen vage geregelt, wodurch einfache Funktionen wie das Teilen des sogenannten „Tagesbildes“ Risiken ausgesetzt werden.
Außerdem differenziert die Regulierung nicht zwischen intensiver und flüchtiger Nutzung, sodass bereits eine einmalige, kurze Nutzung der Seite für eine Kategorie-1-Einstufung ausreichen könnte. Diese stark vereinfachte Betrachtung berücksichtigt nicht, dass Nutzer Wikipedia aktiv zur Wissensrecherche nutzen und nicht für Stunden in problematische Inhalte eintauchen. Die Wikimedia Foundation hat über Jahre hinweg mit politischen Entscheidungsträgern und Regulierungsbehörden versucht, diese für Wikipedia existenziellen Probleme zu klären. Diese Gespräche blieben jedoch weitgehend erfolglos. Die britische Regierung zeigt sich zwar offen für Verbesserungen, stellt aber zugleich den schnellen Vollzug des Gesetzes über viele Einwände und Vorschläge.
Parlamentarische Vertreter räumten zwar ein, dass der Online Safety Act nicht perfekt sei, priorisieren aber das umgehende Inkrafttreten der Pflichten. Angesichts anstehender Einstufungen durch die Regulierungsbehörde Ofcom, die bereits Daten von der Wikimedia Foundation zur möglichen Kategorisierung anfordert, sah sich die Stiftung zur Klage gezwungen. Die Klage beschränkt sich ausdrücklich auf die Kategorisierungsregelungen und will nicht den gesamten Online Safety Act in Frage stellen. Es soll vielmehr verhindert werden, dass die aktuell formulierten Regeln auf Wikipedia angewandt werden und dabei dessen Freiwillige und die globale Verfügbarkeit und Integrität freien Wissens gefährden. Die rechtliche Herausforderung hat eine weitreichende Bedeutung für die Regulierung gemeinnütziger Online-Dienste.
Während viele vergleichbare Gesetze weltweit flexibel gestaltet sind und explizit gemeinnützige oder bildungsorientierte Organisationen ausnehmen, zeigt das Beispiel des OSA eine andere Entwicklung. Kritiker sehen die Regulierung als ein „Frankenstein-Gesetz“, das mit über 300 Seiten Länge und umfangreichen technischen Anleitungsvorgaben die Umsetzung komplex und schwerfällig macht. Insbesondere der Bereich der Kategorie-1-Pflichten gilt als besonders schwer zu handhaben und verursache erhebliche administrative Lasten, die für kleine oder ehrenamtlich getragene Projekte kaum zu bewältigen sind. Überdies stehen hinter der Regulierung theoretisch Möglichkeiten für eine schärfere Fokussierung auf risikoreiche Plattformen sowie für Entlastungen bei sozial nützlichen Webseiten. So wurden gesetzliche Sonderregelungen und Anpassungsbefugnisse für die Regierung und Regulierungsbehörden vorgesehen.
Diese wurden jedoch bislang nicht oder nur unzureichend genutzt, was zur Klage der Wikimedia Foundation geführt hat. Die Situation zeigt auch die komplexen Interessenskonflikte zwischen dem Bedürfnis nach wirksamen Online-Sicherheitsmaßnahmen und dem Schutz von Nutzerrechten, Transparenz und Freiwilligenarbeit auf. Die Wikimedia Foundation appelliert eindringlich an Gesetzgeber und Regulierungsbehörden, den Dialog fortzusetzen und Wege zu finden, die Sicherheit im Netz zu erhöhen, ohne die wertvollen Beiträge von gemeinnützigen Projekten wie Wikipedia zu gefährden. Der Schutz der Privatsphäre von Nutzern bleibt ein zentrales Anliegen, da gerade in repressiven Regimen die Identitätstransparenz mit erheblichen Risiken für Aktivisten und informierte Bürger verbunden sein kann. Eine Überregulierung könnte zudem die Zugangsfreiheit für Millionen Menschen weltweit behindern, die sich auf Wikipedia als verlässliche Quelle für Bildung und Information verlassen.
Die juristische Auseinandersetzung wird neben direkten Folgen für Wikipedia auch als wegweisendes Beispiel für die Regulierung digitaler öffentlicher Güter betrachtet. Sie illustriert, wie wichtig es ist, rechtliche Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sie sowohl Sicherheit als auch Freiheit, Innovation und Gemeinwohl ausgewogen berücksichtigen. Während die Debatte in Großbritannien weitergeht, signalisiert das Engagement der Wikimedia Foundation auch internationalen Plattformen und Regulierungsbehörden, solche Gesetze sorgfältig zu überprüfen, bevor sie in Kraft treten. Gerade im globalisierten Internet können nationale Regelungen weitreichende Konsequenzen haben und sollten daher mit Bedacht entwickelt werden, um unbeabsichtigte Kollateralschäden zu vermeiden. Das rechtliche Vorgehen der Wikimedia Foundation unterstreicht zudem die große Verantwortung gemeinnütziger Organisationen, die Zugangsbarrieren senken und das Wissen der Welt frei verfügbar machen.