Seit über zwanzig Jahren lebt die Menschheit ununterbrochen im Weltraum. Die Internationale Raumstation, kurz ISS, die am 2. November 2000 zum ersten Mal von den Astronauten Bill Shepherd, Sergei Krikalev und Yuri Gidzenko bewohnt wurde, symbolisiert in vielerlei Hinsicht eine bisher nie da gewesene Leistung der Raumfahrtgeschichte. In etwa 400 Kilometern Höhe umkreist die 420 Tonnen schwere Station täglich sechzehn Mal die Erde. Tausende Experimente, die Rolle als Schauplatz internationaler Kooperation und die tiefgreifenden Erkenntnisse über das Leben in der Schwerelosigkeit zeigen eine Mischung aus Erfolg, Herausforderungen und kontroversen Debatten.
Die ISS dient gleichermaßen als Zuhause für Astronauten aus aller Welt wie auch als Labor für wissenschaftliche Forschungen in einem extremen Umfeld. Die Einrichtungen auf der Station sind erstaunlich umfangreich: Schlafkabinen, Trainingsgeräte zur Muskel- und Knochenerhaltung, Toiletten – bekanntlich oft ein heikles Thema im Weltraum – und die berühmte „Cupola“, ein gläsernes Beobachtungsfenster, das einen 360-Grad-Blick auf unseren Planeten bietet. Viele Astronauten berichten, dass der Anblick der Erde von der ISS aus eine intensive Bewusstseinsveränderung trägt – das Zerbrechliche unseres Planeten wird so besonders deutlich. Tim Peake, der erste offizielle britische Astronaut auf der ISS, brachte es auf den Punkt, als er betonte, wie dünn und verletzlich die Atmosphäre erscheint und welche Bedeutung das für das Umweltbewusstsein habe. Doch stellt sich die Frage: Lohnt sich der immense Aufwand für die ISS angesichts der Kosten von mehr als 100 Milliarden US-Dollar beim Bau und den jährlichen Unterhaltungskosten von rund vier Milliarden? Diese Ausgaben tragen vor allem die Vereinigten Staaten als Hauptfinanzierer.
Kritiker argumentieren, dass die wissenschaftlichen Fortschritte vergleichsweise überschaubar geblieben sind und die Mittel besser in robotergestützte Missionen oder Weltraumteleskope hätten investiert werden können. Sir Martin Rees, Astronom des Königshauses, äußerte, dass die erzielten Kenntnisse über den menschlichen Körper im Weltraum und die wenigen medizinischen und materialwissenschaftlichen Erkenntnisse den finanziellen Aufwand kaum rechtfertigen. Auf der anderen Seite vertreten Forscher wie Professor Ian Crawford von der Universität London eine positivere Sichtweise. Die ISS als Symbol internationaler Zusammenarbeit ist gerade in politischen Zeiten von Konflikten ein Leuchtturm, der zeigt, wie verschiedene Nationen auf gemeinsame Ziele hinarbeiten können. Dies eröffnet langfristig entscheidende Chancen für die bemannte Raumfahrt, vor allem im Hinblick auf kommende Missionen zum Mond und zum Mars.
Die Erfahrungen beim Leben und Arbeiten in der Schwerelosigkeit, dem Umgang mit Gefahren wie Mikrometeoriten oder technisches Know-how beim Aufbau umfangreicher Weltraumstrukturen sind für solche Pläne unverzichtbar. Der Bau der ISS erforderte eine Vielzahl von Raumflügen: Über 30 Space-Shuttle-Missionen der USA und rund 40 russische Raketenflüge lieferten die verschiedenen Komponenten an ihren Bestimmungsort. Die technische Herausforderung war enorm, zumal Module aus mehreren Ländern wie Kanada, Japan, Europa und Russland zusammengefügt wurden. Diese Komplexität macht die ISS nicht nur zu einem Meisterwerk der Technik, sondern zeigt auch, wie sich Raumfahrtorganisationen mit unterschiedlichen Kulturen, Protokollen und Technologien abstimmen können. Interessant ist auch, wie die ISS das Bewusstsein für die Ausbildung und den Schutz von Astronauten im Weltall verschoben hat.
Die Auswirkungen der Schwerelosigkeit sind gravierend: Muskel- und Knochenmasseerhaltung wird zur Herausforderung, ebenso wie Veränderungen beim Sehvermögen und sogar Geschmacksempfindungen. Es kann Jahre dauern, bis Astronauten nach einem mehrmonatigen Aufenthalt im All wieder vollständig genesen sind. Durch gezielte Physiotherapie, Trainingsgeräte und medizinische Forschung konnte jedoch signifikant verbessert werden, wie der menschliche Körper auf die Herausforderungen des Alls vorbereitet werden kann. Neben wissenschaftlicher Forschung und technischer Entwicklung ist die ISS auch ein Ort menschlichen Miteinanders. Zwischen den alltäglichen Arbeiten finden sich Momente der Kontemplation und kulturellen Bereicherung, wie Gitarrenkonzerte in der Schwerelosigkeit oder das erste im All aufgebrühte Espresso, den die italienische Astronautin Samantha Cristoforetti genoss.
Solche Momente zeigen die Intimität eines Lebens, das weit entfernt von der Erde stattfindet, aber doch menschlich und lebensnah bleibt. Doch die Frage nach dem künftigen Weg der ISS ist derzeit offener denn je. Die NASA plant, die Station noch für vier oder fünf Jahre zu finanzieren und sieht danach vor, dass private Unternehmen die Verantwortung übernehmen. Erste Interessenten wie das texanische Unternehmen Axiom Space haben bereits Verträge zur Entwicklung neuer Module abgeschlossen. Selbst die Unterhaltungsindustrie zeigt Interesse, eingeladen durch Prominente wie Tom Cruise, der Pläne hat, Filme auf der ISS zu drehen, oder Reality-TV-Projekte, bei denen Gewinner zur Raumstation reisen sollen.
Ob diese kommerziellen Initiativen ausreichen werden, um Betrieb und Wartung der ISS langfristig finanziell zu sichern, ist angesichts der enormen Kosten noch unsicher. Ein alternative Option wäre die Stilllegung und kontrollierte Zerstörung der ISS, was aber von Experten als großes Verlustargument gesehen wird. Der Aufwand, das gesamte Projekt auf internationalen Ebenen zu realisieren und die einmaligen technischen Errungenschaften, lassen einen solchen Schritt als Verschwendung erscheinen. Die ISS steht also an einem Scheideweg. Sie ist eine Ikone der menschlichen Ambition im All, eine Quelle wertvoller Daten, ein Symbol für friedliche Kooperation und zugleich ein gigantisches Budget, das stetig neue Rechtfertigungen verlangt.
Die Zwanzig-Jahre-Bilanz zeigt Erfolge und Herausforderungen gleichermaßen. Was bleibt ist, dass der Blick aus dem Orbit auf die Erde viele Menschen fasziniert und ermutigt, die Mühen weiterzugehen – für eine Zukunft, in der der Mensch vielleicht eines Tages dauerhaft auf anderen Himmelskörpern leben wird.