Die Residents gehören zu den mysteriösesten und zugleich faszinierendsten Künstlerkollektiven der letzten fünfzig Jahre. Ihre Arbeit überschreitet Grenzen von Musik, Performance, bildender Kunst und Multimedia und prägt eine eigenwillige Avantgarde, die selbst vielen eingefleischten Musikliebhabern noch immer verschlossen bleibt. Wer auf der Suche nach einer authentischen und tiefgründigen Auseinandersetzung mit der Kunst der Residents ist, steht vor einer Herausforderung: Das umfangreiche Werk aus Dutzenden Alben, Live-Performances und experimentellen Projekten kann jeden Neuling schnell überfordern. Doch ein richtiger Einstieg ist möglich, wenn man bereit ist, sich auf eine Reise ins Unbekannte einzulassen und gedanklich auch ungewöhnliche, mitunter schwierige Klangwelten anzunehmen. Dabei lohnt es sich, nicht zwangsläufig mit den ersten Veröffentlichungen zu beginnen, sondern einen gezielten Blick auf besondere Werke zu werfen, die die Essenz und Vielschichtigkeit der Residents besonders gut widerspiegeln.
Zu diesen gehört etwa das „Commercial Album“, eine Sammlung von 40 Songs, die alle exakt eine Minute lang sind. Ursprünglich als provokative Self-Promotion gedacht, bieten diese kurzen Stücke einen faszinierenden Überblick über die breite Palette, die das Kollektiv abdeckt. Jedes Stück ist eine andere Miniatur, die zeigt, wie vielseitig und kreativ die Residents ihre Klangwelten formen. In Verbindung mit Beiträgen von engen Mitwirkenden wie Snakefinger entsteht ein lebendiges Klangmosaik, das leicht zugänglich ist, da ein „flop“ nicht lange anhält – schon setzt das nächste Stück ein. Noch stärker in Richtung experimenteller Klangkunst geht das Album „Eskimo“.
Es ist eines der bekannteren Werke der Residents und verbindet komplexe, avantgardistische Klänge mit einer surrealen, fast absurden atmosphäre, die typisch für das Kollektiv ist. Besonders ins Auge fällt hier auch die erstmals auf dem Cover abgebildete ikonische Verkleidung der Bandmitglieder mit Anzügen und überdimensionalen weißen Augen – ein Symbol, das die Identität der Residents bis heute prägt. Neben diesen Schlüsselfassungen des Residents-Universums lohnt sich ein Blick auf die Zusammenarbeit mit Renaldo and the Loaf im Album „Title in Limbo“. Diese Kollaboration entstand in einer Phase, in der die Residents versuchten, ihre Einflussreichweite durch Veröffentlichungen weiterer Künstler auszudehnen. Kommerziell war das zwar kein Erfolg, doch musikalisch öffnet sich hier ein anderes Fenster auf das kreative Potenzial der Residents.
Das Album vermittelt die charakteristische Klangästhetik des Kollektivs durch eine neue Linse, geprägt von den durchaus skurrilen britischen Experimentalisten Renaldo and the Loaf, die die Residents dabei beeinflussten und gemeinsam mit ihnen neue Horizonte ausloteten. Eine weitere unkonventionelle, aber exemplarische Veröffentlichung ist „The Big Bubble“. Hier wird ein fiktionales Szenario präsentiert – eine imaginäre Popband aus einer unterirdischen Mole-Welt. Dies zeigt beispielhaft die Fähigkeit der Residents, populäre Musik auf das Wesentliche zu reduzieren, um sie in völlig neue, absurde und teilweise verstörende Kontexte zu transformieren. Die klare stilistische Handschrift und die gesellschaftskritische und surrealistische Herangehensweise machen „The Big Bubble“ zu einem Schlüsselwerk, um die künstlerische Intention der Residents zu verstehen.
Im weiteren Verlauf ihrer Karriere entwickelten die Residents sogenannte „American Operas“, besonders hervorzuheben ist hier „God in Three Persons“. Dieses Werk aus den späten 1980er Jahren ist ein Meilenstein sowohl musikalisch als auch erzählerisch. Wer Interesse an experimenteller Oper hat, sei es à la Robert Ashley oder anderen avantgardistischen Komponisten, wird in diesem Werk viel entdecken. Die Verbindung aus Sound, Storytelling und abstrakter Dramaturgie wirkt bis heute. Aufführungen von „God in Three Persons“ fanden erst Jahre nach der Veröffentlichung in musealen Kontexten wie dem New Yorker Museum of Modern Art statt, was die Bedeutung dieses Werks für die moderne Kunst untermauert.
Die späten 80er Jahre markieren außerdem eine spannende Phase, in der die Residents den amerikanischen Musikkanon auf eigene, ironische und zugleich respektvolle Weise interpretierten. Das Projekt „Cube-E“ steht sinnbildlich für diesen Ansatz. Das umfangreiche Live-Show- und Albumprojekt beschäftigt sich mit Ikonen wie Hank Williams und Elvis Presley, nimmt aber auch zeitgenössische Pop-Elemente auf und verfremdet diese. Durch eine innovative Mischung aus Live-Abenden, Remixes und multimedialer Präsentation gelang es den Residents, einerseits retrospektiv amerikanische Musikgeschichte zu betrachten, andererseits aber immer mit ihrer eigenwilligen und unkonventionellen Note. Die umfangreich dokumentierten Tour- und Studioaufnahmen zeigen die Versiertheit und Spielfreude der Gruppe in einer Phase, die auch den Einstieg in kommerzielle TV- und Radioformate erlaubte – überraschend angesichts der oft sperrigen Klangästhetik der Residents.
MIt dem Projekt „The Freak Show“ zeigten die Residents ihre Affinität zu neuen Medien und Technologien, zu denen damals die CD-ROM gehörte. Als frühe Vorreiter im Bereich Multimedia lagen sie hier an der Spitze einer kurzen Ära, bevor das Internet alles veränderte. Die CD-ROM kombinierte Musik, interaktive Elemente und grafische Erzählungen zu einem immersiven Erleben einer „Freak Show“, in der man eigenartige Figuren und Geschichten entdeckte. Eingebettet in eine MIDI-kompatible Klangsprache, symbolisierte dieses Werk eine durchaus experimentelle aber auch spielerische Seite der Residents. In der neueren Phase ihres Schaffens verschob sich der Schwerpunkt von reinen Studioproduktionen zu ausgefeilten Live-Performances mit einem festen Live-Kerngespann, zu dem auch Musiker wie Nolan Cook und Sängerin Molly Harvey gehörten.
„Wormwood“, ein Konzeptalbum mit biblischen Geschichten, verdeutlicht diese Entwicklung hin zu komplexeren Erzählstrukturen und besserer Live-Umsetzung. Die lebendigen Konzertaufnahmen fangen oft die besondere Stimmung und Intensität ein, die in den Studioaufnahmen nur angedeutet werden – ein Phänomen, das bei den Residents häufig zu beobachten ist. Nach Tourneen wie „Icky Flix“, in denen umfangreiche Videoarchive und Klassiker präsentiert wurden, kamen Veröffentlichungen wie „Demons Dance Alone“ heraus. Dieses Album aus dem Jahr 2002 besticht durch seinen gleichzeitig düsteren, melancholischen und durchaus federnden Charakter. Es ist ein Werk, das das Publikum mitnimmt in eine emotionale Tiefe, die weit über das hinausgeht, was reine Hörspiele oft schaffen.
Hier zeigt sich auch, wie die Residents sich trotz fortschreitenden Alters immer wieder neu erfinden und zugleich ihrer Linie treu bleiben. „Animal Lover“ von 2005 markiert eine neue musikalische Epoche der Residents, in der sich das Kollektiv vom typischen Tourbandformat entfernte und noch stärker auf digitale Technologien und komplexe Studioarbeit setzte. Diese Arbeit präsentiert sich als vielschichtig, dunkel, oft rätselhaft und dabei in der Lage, große emotionale Resonanzen hervorzurufen. Mit einem Fokus auf Tier-Metaphern wird zugleich die menschliche Zerbrechlichkeit betrachtet, was dem Werk eine gewisse philosophische Tiefe verleiht. Zuletzt verdient auch „Coochie Brake“, veröffentlicht von Sonidos de la Noche, Erwähnung.
Dieses Werk umfasst musikalische Arbeiten von Mitgliedern der Residents außerhalb der regulären Bandkonstellation, insbesondere von Hardy Fox, der über Jahrzehnte als Komponist und musikalischer Leiter der Residents fungierte. Fox’ Einfluss war enorm, und sein vorzeitiger Tod 2018 hinterlässt eine Lücke im kreativen Herzen der Band. Seine musikalischen Experimente, etwa im Rahmen von Sonidos de la Noche, dokumentieren eine kontinuierliche Weiterentwicklung, die eng mit den Residents verwoben war und dennoch eine eigene Stimme fand. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Zugang zur Welt der Residents bestenfalls offen und neugierig erfolgt. Ihre Verschmelzung aus rätselhaften Klängen, ungewöhnlicher Erzählweise und visuell bemerkenswerten Auftritten stellt hohe Ansprüche, belohnt den Hörer jedoch mit einer unvergleichlichen künstlerischen Erfahrung.
Das Kennenlernen beginnt sinnvollerweise mit exemplarischen Alben, die die unterschiedlichen Facetten der Residents beleuchten – von experimentellem Minimalismus der Kurzstücke bis hin zu großen Konzepten und multimedialen Abenteuern. Wer bereit ist, sich auf diese verschiedenen Ebenen einzulassen, kann die Residents nicht nur hören, sondern unmittelbar erleben: als ein Kunstprojekt, das seit Generationen die Grenzen von Musik und Performance auslotet und das Publikum immer wieder herausfordert und begeistert.