Die Faszination für Eisenbahnreisen verbindet viele Menschen weltweit. Für den österreichischen Bahnenthusiasten Helmut wurde dieses Interesse zur Lebensaufgabe, als er entschied, eine Reise quer über den eurasischen Kontinent bis nach Nordkorea zu unternehmen. Dabei nutzte er eine Route, die offiziell für Ausländer geschlossen ist: die Bahnverbindung von Wien über Moskau und den Grenzort Tumangan bis ins abgeschottete Pyongyang. Diese Reise ist nicht nur ein Abenteuer für Bahnliebhaber, sondern auch eine seltene Gelegenheit, ein Land zu erleben, das für seine Isolation und strengen Zugangsregeln weltweit bekannt ist. Seine Erlebnisse zeigen, wie Eisenbahnreisen mehr als nur ein Transportmittel sein können – sie eröffnen einen zeitlich langsamen, kulturellen Austausch auf einer tiefen Ebene und bieten damit fundamentale Einblicke in Länder und Kulturen, die sonst schwer zugänglich sind.
Helmut, geboren 1980 in Graz, Österreich, verband seine Leidenschaften für Züge und Reisen von Kindesbeinen an. Sein Beruf bei den Österreichischen Bundesbahnen seit 2007 ergänzte diese Hobbys nahtlos. Er bevorzugt lange, transkontinentale Zugfahrten – der Zug wird dabei nicht nur als Fortbewegungsmittel, sondern als ein Lebensraum betrachtet, in dem Zeit eine vollkommen andere Bedeutung bekommt. Die ruhige Atmosphäre und das Fehlen von Jetlag oder Flughafentrubel ermöglichen ihm nicht nur die Reise, sondern zugleich eine wertvolle kulturelle Entschleunigung. Das Gefühl, in einem Schlafwagenabteil zu leben, Zeit zu spüren und das Alltägliche hinter sich zu lassen, macht für ihn diese Art von Reisen zum unvergleichlichen Luxus.
Die Intention, nach Nordkorea auf der Schiene zu reisen, begann schon Anfang der 2000er Jahre, angeregt durch Fachliteratur wie das Thomas Cook Overseas Timetable, das erstmals internationale Bahnverbindungen sichtbar macht. Nordkorea als Reiseziel faszinierte ihn zunehmend, vor allem aufgrund seiner politischen Einzigartigkeit als isolierter, kommunistischer Staat. Die visuelle Vorstellung, von seiner Heimat Österreich über Russland auf die koreanische Halbinsel zu reisen, stellte für ihn das perfekte Fernziel dar, abseits des Massentourismus. Die bekannten Verbindungen nach Nordkorea führten über China, doch der weniger bekannte, offiziell verschlossene Grenzort Tumangan am Fluss Tumen war für Helmut ein besonderes Rätsel und Ziel. Sein Interesse wurde weiter angefacht durch Berichte anderer Reisender, die mit offizieller Begleitung trotz aller Sicherheitsvorkehrungen und Unfreundlichkeiten die Strecke von Moskau nach Pyongyang bewältigten.
Der damals übliche Prozess, mit zwingendem Guide und hohen Kosten, ließ jedoch nur Gruppenreisen zu – alleinreisende Individualreisende wie Helmut standen vor Hürden. Trotzdem war der Reiz, das Land auf einer eher ungewöhnlichen Route zu erreichen, enorm. Das Internetforum und die Bahnfanszene im deutschsprachigen Raum boten ihm schließlich wertvolle Tipps und bestätigten, dass die Zugverbindung über Tumangan zwar nicht offiziell für Touristen verfügbar war, aber faktisch existierte und regelmäßig bedient wurde. Im Dezember 2006 wagte Helmut einen ersten Testlauf. Er buchte ein Ticket für den nordkoreanischen Schlafwagen, der nur zweimal im Monat von Moskau aus verkehrt, und fuhr bis zum ersten großen Halt in Russland, Irkutsk.
Diese Fahrt allein war eine Gelegenheit, den ungewöhnlichen Wagen kennenzulernen und Einblicke in das Zusammenspiel zwischen russischem und nordkoreanischem Bahnpersonal zu erhalten. Der Aufenthalt mit drei nordkoreanischen Passagieren, die auf dem Weg in ihre Heimat waren, führte zu einem ungezwungenen, fast freundschaftlichen Austausch, der zeigte, dass hinter der Abschottung des Landes ganz normale Menschen stehen. Dieser Moment verstärkte Helmuts Entschluss, den gesamten Weg bis nach Pyongyang trotz aller Unwägbarkeiten und Risiken in Angriff zu nehmen. Die größte Herausforderung bestand darin, trotz der offiziellen Sperrung die Überquerung an der Grenze bei Tumangan zu organisieren. Die meisten Reisebüros weigerten sich, diese Strecke anzubieten oder behaupteten sogar, sie existiere gar nicht mehr.
Helmut hingegen fand heraus, dass in jedem nordkoreanischen Visum Tumangan als Einreisepunkt vermerkt wird, auch wenn Touristen für gewöhnlich über die chinesische Grenze nach Sinuiju einreisen. Von diesem kleinen Detail ließ er sich ermutigen, diese „verbotene“ Route heimlich anzustreben. Zusammen mit einem Freund von den Schweizer Bundesbahnen plante er für September 2008 eine individuelle Reise zum Zweck, den mysteriösen Grenzort zu passieren und in Nordkorea einzureisen. Die Beantragung des Visums gestaltete sich erstaunlich unkompliziert. Anders als in vielen Berichten schildert Helmut seine Erfahrung mit der nordkoreanischen Botschaft in Wien als sehr entspannt und selbst im Westen kaum erwartbar bürokratiefrei.
Nach kurzem Austausch erhielt er sein Visum in wenigen Minuten – ohne Anwendung von strengen Kontrollen oder komplizierten Formalitäten. Dies stand im starken Kontrast zur sonstigen geheimnisumwitterten und oft undurchsichtigen Politik Nordkoreas. Die folgende Zugreise von Wien über Moskau, durch die weiten Landschaften Sibiriens, weiter in den Fernen Osten Russlands und zur wenig bekannten Grenzstation Tumangan war eine Fahrt voller Eindrücke und Unwägbarkeiten. Helmut beschrieb die Natur, das Wetter und das Leben an den Bahnhöfen entlang der Strecke ebenso detailreich wie die Begegnungen mit Einheimischen, Bahnpersonal und anderen Reisenden. Speziell die Umstellung der Waggonräder am Grenzbahnhof durch technische Anpassungen für das unterschiedliche Schienennetz war eine spannende Erfahrung.
Trotz der enormen Verspätungen und teils widrigen Bedingungen blieb die Faszination für die „verborgene“ Reise unverändert. Das Betreten nordkoreanischen Bodens im abgelegenen Tumangan-Gebiet war für Helmut nicht nur die Erfüllung eines Kindheitstraums, sondern auch ein Schritt in eine Welt, die von den meisten Touristen nie wahrgenommen wird. Auch wenn die Reise von den offiziellen nordkoreanischen Behörden streng kontrolliert wurde und die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt war, gelang es ihm, durch die Bahnfahrt und seine Pläne mehr über das Land und seine Infrastruktur zu erfahren als durch jeden sonstigen Zugangsweg. Auf der Weiterfahrt durch Nordkorea per Bahn beeindruckte Helmut die Infrastruktur und der Zustand der Züge, die im Vergleich zur modernen Technik Europas manchmal kurios anmuten, aber dennoch verlässlich funktionieren. Die Bahnhöfe in Städten wie Pyongyang oder die teilweise noch von sowjetischem Einfluss geprägten Bahnanlagen zeigten ein Bild, das seit Jahrzehnten kaum verändert wurde.
Dabei erkannte er, wie tief die Bahnlinie nicht nur als Verkehrsweg, sondern auch als Symbol für Verbundenheit und Isolation einerseits und Durchhaltevermögen andererseits zu einer Identität Nordkoreas beitrug. Seine Reise endete erst in der nordkoreanischen Hauptstadt Pyongyang, wo er neben der Bahnreise auch Einblicke in die Alltagskultur und städtische Einrichtungen gewinnen konnte – von der Metro, dem Kinderspielplatz bis hin zu spektakulären öffentlichen Aufführungen wie den „Arirang“-Spielen. Diese Kombinationsreise aus Langstreckenzugfahrt und kultureller Entdeckung machte „Die verbotene Eisenbahnstrecke Wien-Pyongyang“ zu einem unvergleichlichen Erlebnis. Die Relevanz von Helmuts Reise liegt weit über dem individuellen Abenteuer hinaus. Sie ergänzt die ohnehin spärlichen Reiseberichte über Nordkorea um eine Perspektive, die Eisenbahn als Brücke zwischen zwei Welten erfahrbar macht.
Zugreisen als nachhaltige, entschleunigte Methode, Kultur und Gesellschaft zu erleben, zeigen hier ihr volles Potenzial. Zudem spricht Helmuts Dokumentation viele Menschen an, die sich für ungewöhnliche Reiseziele und ehrliche Begegnungen interessieren. Er zeigt, dass Mut, Planung und das Verständnis für komplexe bürokratische und politische Hintergründe notwendig sind, um Grenzen zu überwinden – sei es im geografischen oder zwischenmenschlichen Sinn. In der heutigen Zeit, in der Flugreisen dominieren und Schnelllebigkeit oft die Erfahrung trübt, lädt diese Reise ein, Bahnfahren neu zu entdecken – als eine Form des Reisens, die Bewusstsein schafft und Tiefgang ermöglicht. Die Route Wien-Pyongyang bleibt eine der geheimnisvollsten Übergänge auf der Landkarte der Eisenbahn.
Helmuts Reisebericht ist ein inspirierendes Zeugnis davon, wie man mit viel Leidenschaft, Geduld und Beharrlichkeit auch verbotene Wege finden kann. Für alle Eisenbahnfreunde, Abenteurer und an Entschleunigung Interessierte ist dieses Beispiel ein Aufruf, sich Herausforderungen zu stellen und verborgene Schätze Europas, Asiens und darüber hinaus zu entdecken.