Die Kultivierung von medizinischem Cannabis hat in den letzten Jahren weltweit stark an Bedeutung gewonnen. Dabei sind nicht nur die Auswahl geeigneter Sorten und die Kontrolle von Umweltfaktoren entscheidend, sondern auch die genaue Steuerung der Lichtqualität, welche einen enormen Einfluss auf Wachstum, Blüte und Cannabinoidproduktion ausübt. Besonders das Fernrotlicht, also Licht im Wellenlängenbereich von etwa 700 bis 800 Nanometern, rückt zunehmend in den Fokus der Forschung, da es neben der Photosynthese auch verschiedene physiologische Prozesse steuert. Medizinisches Cannabis benötigt für optimales Wachstum kontrollierte Bedingungen, insbesondere wenn es in Innenräumen oder Gewächshäusern angebaut wird. Hier spielt künstliche Beleuchtung eine zentrale Rolle.
Traditionell lag der Schwerpunkt auf den sichtbaren Anteilen des Lichtspektrums, vor allem dem roten und blauen Spektrum, welche primär Photosynthese fördern. Fernrotlicht wurde früher weniger beachtet, da man davon ausging, dass es kaum zur Photosynthese beiträgt. Neuere Studien offenbaren jedoch, dass die Rolle von Fernrotlicht komplexer ist und sowohl Wachstumsprozesse als auch die Effizienz der Photosynthese steigern kann, wenn es in Kombination mit anderen Lichtqualitäten eingesetzt wird. Ein zentrales Phänomen, das durch den Einsatz von Fernrotlicht ausgelöst wird, ist die sogenannte Schattenvermeidungsreaktion. Pflanzen reagieren darauf, wenn der Anteil an rotem Licht im Verhältnis zu Fernrotlicht niedrig ist, was typischerweise bei einer Beschattung durch benachbarte Pflanzen der Fall ist.
Für Cannabis bewirkt dies eine Verlängerung der Stängel und ein verändertes Blattwachstum, das die Pflanze anpassungsfähiger im Wettbewerb um Licht macht. Besonders interessant ist, dass diese Reaktion auch durch gezielte Manipulation des Lichtes künstlich ausgelöst werden kann, was Einfluss auf die Morphologie der Pflanze und letztlich den Ertrag nehmen kann. Neben der Morphologie hat Fernrotlicht bemerkenswerte Auswirkungen auf die Photosynthese. Wenn Cannabis mit einem Lichtspektrum versorgt wird, das sowohl rote als auch Fernrotanteile enthält, zeigt die Pflanze eine höhere Photosyntheseeffizienz. Dies ist zurückzuführen auf den Emerson-Effekt, der besagt, dass die Kopplung von Photosystem I und Photosystem II durch eine ausgewogene Beleuchtung mit roten und Fernrot-Photonen verbessert wird.
Denn während rotes Licht fast ausschließlich Photosystem II anregt, ist Fernrotlicht besonders wirksam bei der Anregung von Photosystem I. Diese Balance sorgt für einen effizienteren Elektronentransport und steigert damit die Produktion von Biomasse. Ein bahnbrechendes Ergebnis wurde in Expertenstudien anhand von medizinischem Cannabis festgestellt: Die Zugabe von Fernrotlicht am Ende des Tageslichtzyklus, insbesondere in Kombination mit einem verkürzten Vollspektrumlicht-Photoperiodenzyklus (beispielsweise 10 Stunden Licht anstelle der üblichen 12 Stunden), kann zu einer signifikanten Steigerung der THC-Konzentration führen. So wurde in der Sorte Northern Lights ein Anstieg der Gesamtkannabinoidausbeute um nahezu 70 Prozent erzielt, im Vergleich zu einem Kontrollzyklus mit herkömmlichen 12 Stunden Licht ohne Fernrotlichtzugabe. Dieses Ergebnis ist besonders relevant für Produzenten, da es eine Verkürzung die Beleuchtungsdauer bei gleichzeitiger Steigerung oder Erhaltung der Produktqualität ermöglicht und somit Energie- und Betriebskosten gesenkt werden können.
Die Anwendung von Fernrotlicht verändert dabei nicht nur die Menge an Biomasse, sondern auch die Verteilung zwischen Blüten- und vegetativer Masse. Interessanterweise zeigten Sorten wie Hindu Kush und Cannatonic bei Zugabe von Fernrotlicht unter 12-Stunden-Photoperioden eine Zunahme der Gesamtbiomasse, jedoch mit einer Verschiebung zugunsten vegetativer Gewebe. Dies legt nahe, dass hohe Dosierungen von Fernrotlicht das Blühen verzögern können, was in der Praxis nicht immer erwünscht ist. Aus diesem Grund muss die Dosierung und der Zeitpunkt der Lichtbehandlung sorgfältig an die jeweilige Sorte angepasst werden. Die Forschung weist darauf hin, dass die Anwendung von 2 Stunden Fernrotlicht am Beginn der Dunkelphase am besten geeignet ist, um Wachstumssteigerungen ohne negative Effekte auf die Blütezeit zu erzielen.
Der Einfluss von Fernrotlicht auf die Cannabinoidprofile ist ebenfalls sortenspezifisch. Während bei hoch-THC-haltigen Sorten wie Hindu Kush und Northern Lights eine deutliche Steigerung von Δ9-THC bzw. THCA beobachtet werden konnte, blieb die Gesamtcannabinoidausbeute in CBD-reichen Sorten unverändert oder wurde nur geringfügig beeinflusst. Es zeigt sich, dass durch das Fernrotlicht nicht nur das Wachstum gefördert, sondern auch die chemische Zusammensetzung der Pflanze beeinflusst werden kann, was für die Produktion von medizinisch wirksamen Cannabisextrakten enorm wichtig ist. Neben dem biologischen Nutzen bietet der Einsatz von Fernrotlicht auch ökologische und wirtschaftliche Vorteile.
Die Beleuchtung in der Indoor-Cannabisproduktion ist einer der größten Kostenfaktoren und bedingt einen hohen Energieverbrauch, der mit beträchtlichen CO2-Emissionen einhergeht. Die Möglichkeit, die Photoperiode bei gleichbleibender oder steigender Erntequalität zu verkürzen, führt zu einer merklichen Einsparung von Stromkosten und einer Reduktion des ökologischen Fußabdrucks. Studien aus Australien berechnen Einsparungen von etwa 5,5 Prozent beim Stromverbrauch und entsprechen einer erheblichen Senkung der CO2-Emissionen, wenn die Beleuchtung durch eine gezielte Fernrotlichtbehandlung ergänzt wird. Für die Praxis bedeutet dies, dass Produzenten durch intelligente Lichtmanagementstrategien nicht nur die Erträge der Pflanzen steigern, sondern auch nachhaltiger und kosteneffizienter wirtschaften können. Die Implementierung von LED-Technologien, die eine flexible und präzise Einstellung des Spektrums erlauben, unterstützt dabei diese Entwicklung maßgeblich.
Die Integration von Fernrotlicht in bestehende Beleuchtungssysteme erfordert jedoch eine genaue Abstimmung und Sortenanalyse, um unerwünschte Nebenwirkungen wie verzögerte Blüte oder übermäßige Streckung der Pflanzen zu vermeiden. Zudem eröffnen sich durch die Kenntnis über die Wirkung von Fernrotlicht neue Möglichkeiten für vertikale Anbausysteme. Hier ist die Pflanzenhöhe ein kritisches Merkmal, das durch das richtige Verhältnis von Rot zu Fernrot beeinflusst werden kann. Exklusion oder Reduzierung von Fernrotlicht führt zu kompakteren Pflanzen, die besser für enge Anbauräume geeignet sind, während ein kontrollierter Einsatz zu einem gezielteren Wachstum mit höherer Photosyntheseeffizienz beitragen kann. Die Forschung weist auch auf die Notwendigkeit weiterer Studien hin, insbesondere um den optimalen R:FR (Rot zu Fernrot) Verhältnis sowie die ideale Dauer und Zeit des Fernrotlichteinflusses für verschiedene Sorten genau zu bestimmen.