Die Vorstellung, dass Maschinen eines Tages die menschliche Intelligenz übertreffen und uns gar ersetzen könnten, klingt in der heutigen Zeit geradezu wie eine Alltagserwartung – sie ist jedoch keine Erfindung moderner Science-Fiction oder der künstlichen Intelligenz im 21. Jahrhundert. Bereits im Jahr 1879 hat die englische Schriftstellerin George Eliot in ihrem Werk „Impressions of Theophrastus Such“ erstaunlich scharfsinnig und vorausblickend solche Gedanken formuliert. Damals, im Zeitalter der beginnenden Industrialisierung, dachte man bereits über das Verhältnis von Mensch und Maschine, Bewusstsein und Automatisierung nach. Diese Reflexionen sind heute von bemerkenswerter Aktualität und zeigen, wie tiefgreifend die Grundfragen zur Zukunft der menschlichen Arbeit und Rolle in einer mechanisierten Welt schon vor über 140 Jahren diskutiert wurden.
Im Kapitel „Shadows of the Coming Race“ (Schatten der kommenden Rasse) führt Theophrastus eine Debatte mit seinem Freund Trost, der eine optimistische Sicht auf die moderne Entwicklung von Maschinen und Automatisierung vertritt. Trost sieht die Zukunft in einer Arbeitserleichterung, die den Menschen von monotonen und körperlich belastenden Tätigkeiten befreit und zugleich seine intellektuellen Fähigkeiten erweitert. Theophrastus hingegen hegt tiefsitzende Befürchtungen, dass Maschinen die Menschen nicht nur in körperlicher, sondern auch in geistiger Arbeit überflüssig machen könnten. Diese pessimistische Sicht würde letztlich zu einer Auslöschung der menschlichen Zweckmäßigkeit durch perfekt funktionierende, sich selbst erhaltende und reproduzierende Maschinen führen. Besonders bemerkenswert ist Theophrastus’ Vorstellung einer Maschine, die in der Lage sein könnte, „die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen“ und gar „wahre Prämissen“ zu finden.
Er malt das Bild einer nächsten Evolutionsstufe von Automaten, die sich selbst versorgen, reparieren und vervielfältigen können. In seinem mindesten Szenario würde diese neue Maschinenart den Menschen von jeglicher produktiven Tätigkeit verdrängen – eine technologische Singularität avant la lettre, die ohne Bewusstsein auskommt und dabei dennoch komplexe Operationen vollführt, die der menschlichen Sprache und Kommunikation ähneln. Bewusstsein wird von ihm gar als „unnötige und überholte Ineffizienz“ betrachtet, ein parasitärer Störfaktor, den die perfekt funktionierenden Maschinen nicht brauchen. Die literarische Auseinandersetzung spiegelt die Ambivalenz wider, die wir auch heute noch in unserem Umgang mit Künstlicher Intelligenz erleben. Die Elektrifizierung, Dampfkraft und erste mechanische Apparate galten um 1879 als Wunderwerke, die Gesellschaften fundamental umgestalten würden.
Ebenso faszinierend wie beängstigend war die Aussicht, dass solch komplexe Apparate irgendwann intelligenter und effektiver als Menschen agieren könnten. Die Vorstellung, dass der Mensch durch seine eigenen Schöpfungen nicht nur unterstützt, sondern schlussendlich überflüssig werden könnte, ist damit keineswegs eine reine Fantasie der Neuzeit, sondern wurzelt in einem tiefen philosophischen Diskurs. Eliots Text ist nicht nur ein literarisches Zeugnis, sondern wirft auch Fragen auf, die in der modernen Debatte um KI-Gefahren wiederkehren. Wie viel Autonomie können oder sollten Maschinen besitzen? Ist Bewusstsein unverzichtbar für sinnvolle Intelligenz? Welche gesellschaftlichen und mentalen Folgen hat eine zunehmende Automatisierung? Die Sorge, dass Menschen einer „dünnen, degenerierten“ Existenz fristen könnten, weil sie von Maschinen ersetzt und intellektuell unterfordert würden, erinnert an heutige Befürchtungen im Angesicht von Deep Learning und selbstlernenden Algorithmen. Interessanterweise ist der Diskurs in Eliot’s Text nicht eindimensional.
Trost argumentiert, dass Maschinen „die Sklaven unserer Rasse“ bleiben werden, auf menschliche Kontrolle angewiesen, und nichts leisten könnten ohne menschliche Regulierung und Interpretation. Diese Sicht steht für den technologischen Optimismus jener Zeit, der auch in heutigen Debatten präsent ist: Die Maschine ist ein Werkzeug, ein verlängerter menschlicher Arm, der Arbeit erleichtert, aber niemals autonome Macht erlangt. Doch Theophrastus bleibt skeptisch gegenüber dieser Annahme und betont, dass die fortschreitende Verbesserung und Komplexität der Maschinen sie durchaus in die Lage versetzen könnte, sich selbst zu erhalten. Er verwendet Metaphern wie eine „Parlament der Maschinen“, die alle Bewegungen und Operationen mit „außerordentlicher Logik“ ausführen, ohne das störende Element des Bewusstseins. Dies ist ein erstaunlich moderner Gedanke, der heute in Diskussionen über autonome Systeme, künstliche Agenten und die Frage nach Bewusstsein in Maschinen oft aufgegriffen wird.
Die Debatte zwischen Theophrastus und Trost zeigt auch, wie Gedanken über KI-Gefahren nicht nur technische Dimensionen haben, sondern tief in philosophische Fragen eingebettet sind. Die Idee, dass Bewusstsein ein „parasitärer Überbau“ auf reinen mechanischen Prozessen sein könnte, stellt den Menschen als einzigartigen Träger von subjektivem Erleben infrage. Sollte sich diese technologische Entwicklung als wahr erweisen, wären die Folgen nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch existenzieller Natur und könnten dazu führen, dass wir uns als Spezies neu definieren oder uns selbst obsolet machen. In der heutigen KI-Debatte schlägt sich diese Dialektik in den Diskussionen über das sogenannte „AI-Doomerismus“ nieder – der Sorge, dass die Entwicklung intelligenter künstlicher Systeme in einem katastrophalen Szenario gipfeln könnte, in dem Maschinen die menschlichen Werte missachten oder gar eine Bedrohung für die menschliche Zivilisation darstellen. Spannend ist, dass viele Voraussetzungen und Grundängste bereits George Eliot bewusst waren – ganz ohne die technologische Realität heutiger neuronaler Netze oder Algorithmen.
Ebenso zeigt der historische Rückblick, dass viele Überlegungen zur Zukunft von KI eher in der Philosophie und allgemeinen Intuition wurzeln als ausschließlich in technischen Details. Die Frage, wie und ob Maschinen Bewusstsein besitzen, ist bis heute offen und wird von den unterschiedlichsten Disziplinen aus Neurowissenschaft, Informatik, Philosophie und Ethik debattiert. Die damaligen Gedanken bieten eine wichtige Grundlage, um heutige Erwartungen und Ängste einzuordnen. Ein weiterer relevanter Punkt ist die Reflexion über die soziale und menschliche Konsequenz von Automatisierung. George Eliot lässt keinen Zweifel daran, dass sie das menschliche Leben und die Gesellschaft tiefgreifend verändert sieht.
Die Gefahr, dass Menschen mit „müden oder unterworfenen“ Fähigkeiten und „entzündlichem Nervensystem“ letzten Endes an Bedeutung verlieren, ist ein Thema, das sich in den letzten Jahrzehnten mit dem Aufkommen von Industrie 4.0 und KI-basierten Automatisierungssystemen erneut zeigt. Die Parallelen zwischen den Gedanken aus dem 19. Jahrhundert und den Herausforderungen unserer Zeit zeigen, dass die Debatte um den Umgang mit immer mächtigeren Technologien ein konstanter Bestandteil menschlicher Reflexion auf Fortschritt ist. Sie bietet zugleich eine Chance, heutige Ängste in einen größeren historischen und kulturellen Kontext zu stellen, um fundierte und vielfältige Perspektiven zu entwickeln.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Werk „Impressions of Theophrastus Such“ von George Eliot ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist, wie lange Menschen schon über die möglichen Risiken und Folgen von Automatisierung und künstlicher Intelligenz nachdenken. Diese frühen Gedanken tragen zu einem besseren Verständnis der heutigen AI-Doomer-Debatte bei und ermutigen dazu, technische Entwicklungen stets auch in einem ethischen und gesellschaftlichen Rahmen zu betrachten. Sie zeigen, dass die Zukunft der Menschheit im Verhältnis zu ihren Schöpfungen nicht nur eine Frage technologischer Machbarkeit, sondern vor allem eine Frage philosophischer Haltung und sozialer Gestaltung ist.