Die Natur entlegener Inseln galt lange als ein Schutzgebiet, weitab von menschlichen Einflüssen und Verschmutzung. Doch seit einigen Jahrzehnten wird deutlich, dass selbst diese abgelegenen Ökosysteme Opfer der weltweiten Müllflut sind. Das Jahr 2017 markierte einen wichtigen Wendepunkt durch die Veröffentlichung einer umfassenden Studie zur außerordentlich schnellen Ansammlung von Plastikmüll auf Henderson Island, einer der isoliertesten Inseln der Erde im Südpazifik. Die Forschung offenbarte, wie enorm die Belastung durch anthropogenen Müll, insbesondere Plastik, bereits selbst an den entlegensten Orten des Planeten ist, und verdeutlichte die Herausforderungen, die diese Verschmutzung für Natur und Umwelt bedeutet. Henderson Island, Teil der Pitcairn-Inselgruppe, ist eine UNESCO-Welterbestätte und trotz ihrer Isolation von über 5000 Kilometern zu den nächsten größeren Landmassen stark von Müll betroffen.
Die Insel gilt als ein einzigartiges Naturparadies, das über Jahrtausende weitgehend unberührt blieb. Doch gerade wegen ihrer Lage nahe dem Südlichen Pazifik-Gyre, einer riesigen Meeresströmung, in der sich Müllpartikel sammeln, fungiert sie heute als Endlager für Millionen von Plastikteilen. Der Studie zufolge wurden auf der Insel etwa 37,7 Millionen Plastikstücke mit einem Gesamtgewicht von 17,6 Tonnen gezählt. Diese Mengen übersteigen alle bis dahin gemessenen Werte weltweit und zeigen auf erschreckende Weise, wie die globale Plastikverschmutzung selbst die entlegensten Ökosysteme erreicht hat. Der Plastikkonsum hat seit der massenhaften Produktion in den 1950er-Jahren explosionsartig zugenommen.
Von damals rund 1,7 Millionen Tonnen auf heute über 300 Millionen Tonnen jährlich weltweit. Dieses Wachstum ging einher mit einer kaum vorstellbaren Verbreitung von Kunststoff in allen Umweltbereichen, besonders in den Ozeanen, wo Plastik seinem natürlichen Verfall aufgrund seiner Beständigkeit nur sehr langsam begegnet. Das Ergebnis ist eine stetige Anreicherung von Mikropartikeln und größeren Abfallstücken, die auf der Wasseroberfläche treiben, in den Sedimenten landen oder sich an Stränden ansammeln. Die Untersuchung auf Henderson Island zeigte, dass nahezu 68 Prozent des angetroffenen Mülls teilweise oder vollständig im Sediment bis zu 10 Zentimeter tief verborgen lag. Diese Erkenntnis ist besonders wichtig, da viele bisherige Studien sich vor allem auf sichtbare Oberflächenverschmutzung konzentrierten und somit ein gigantisches Ausmaß an verstecktem Müll unberücksichtigt ließen.
Die dichte Verteilung von Plastik beträgt auf den betroffenen Stränden bis zu 671,6 Teile pro Quadratmeter, was im Vergleich zu anderen Studien ein Vielfaches an Verschmutzung darstellt. Die täglich neu anlandende Menge wurde auf bis zu fast 27 neue Teile pro Meter Strand geschätzt. Die Herkunft des Mülls auf Henderson Island ist vielfältig, was die globale Dimension dieses Umweltproblems unterstreicht. Ein großer Anteil stammt aus fischereiassoziierten Aktivitäten wie Netzen, Leinen und Bojen, die aus asiatischen Ländern wie China und Japan stammen, aber auch aus Südamerika, vor allem Chile. Dies hängt mit den Strömungen des pazifischen Ozeans zusammen, die Müllmassen von ihren Landquellen über lange Strecken bis hin zu unbewohnten Inseln transportieren.
Die bunten Kunststofffragmente sind meist unidentifizierbar, zu etwa 80 Prozent bestehen sie aus zerbrochenen Bruchstücken, daneben kommen Industriegranulate („Nurdles“) und verschiedene Arten von Verpackungen vor. Die Umweltfolgen dieser gigantischen Plastikbelastung sind vielfältig und bereits sichtbar. Die physische Präsenz von Müll an den Stränden schafft Barrieren für Tiere wie Meeresschildkröten, die an genau diesen Ufern ihre Nistplätze finden. Untersuchungen zeigen, dass die Plastikdecke die Anzahl der erfolgreichen Nistversuche reduziert und die Überlebenschancen der Jungtiere bedroht. Zusätzlich bieten Müllteile, wie beispielsweise Plastikbehälter, sogar neuen Lebensraum für invasive Arten wie Einsiedlerkrebse, die sich in den fremdartigen Umgebungen einnisten und das lokale Biodiversitätsgleichgewicht stören können.
Für Vögel, insbesondere Küstenseeschwalben, erhöht sich durch den Müll auch das Risiko der Verhedderung, was zu Sterblichkeit führt. Die Verschmutzung durch Plastik auf entlegenen Inseln lässt nicht nur die natürlichen Lebensräume zerbrechen, sondern wirkt auch als Mahnmal und Indikator für die Verteilung von Plastikmüll in den Weltmeeren. Die Tatsache, dass auf einem isolierten Fleck wie Henderson Island täglich zigtausende neue Plastikstücke angespült werden, wirft Fragen über den Zustand der Weltmeere und die Effektivität bestehender Schutzmaßnahmen auf. Es zeigt sich, dass konventionelle Ansätze, wie etwa lokale oder regionale Müllvermeidungsstrategien, nicht ausreichen, um das generelle Problem zu bekämpfen. Die Verschmutzung ist global und erfordert einen ebenso globalen Ansatz.
Ein zentraler Befund dieser Studie ist, dass die gegenwärtigen Schätzungen zur Verschmutzung durch Plastik in den Weltmeeren wahrscheinlich stark unterschätzt werden. Die Analyse berücksichtigte nur sichtbare und bis zu 10 Zentimeter tiefe Sedimentschichten; tiefer liegender Müll und noch feinere Mikroplastikpartikel blieben unberücksichtigt. Da ein Großteil des Plastiks durch Zersetzungsprozesse immer kleiner wird, ist der Umfang der Verschmutzung noch viel größer und mit steigender Tendenz. Diese Herausforderung ist zudem schwer zu erfassen, weil viele der am stärksten betroffenen Regionen extrem schwer zugänglich sind. Die Studienergebnisse haben weitreichende Implikationen für den Schutz der biologischen Vielfalt und die Nachhaltigkeit von Ozeanen und Küstensäumen.
Die fortlaufende Zunahme von Plastik in solch sensiblen Ökosystemen gefährdet nicht nur einzelne Arten und Lebensgemeinschaften, sondern könnte langfristige Auswirkungen auf Nahrungsketten und ökologische Prozesse haben. Die Verschmutzung durch Plastik beeinträchtigt auch die Wahrnehmung und den ästhetischen Wert dieser einzigartigen Naturzonen, die von Wissenschaftlern, Naturschützern und Tourismusbranchen gleichermaßen geschätzt werden. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse von Henderson Island nicht nur ein wissenschaftliches Alarmsignal, sondern auch ein Aufruf zu dringenden Maßnahmen. Die Reduzierung der globalen Plastikproduktion und die Verbesserung der Abfallbewirtschaftung weltweit sind notwendige Schritte, um die Weiterverbreitung von Müll in den Meeren zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen. Gleichzeitig müssen internationale Abkommen und Kooperationen verstärkt werden, um Müllströme besser zu überwachen und zu kontrollieren.
Darüber hinaus zeigt sich die Wichtigkeit von systematischen und wiederholten Strandbeobachtungen, um Trends und Effekte der Verschmutzung zu dokumentieren. Remote-Inselschutzzonen könnten als Indikatoren für den Zustand der Ozeane fungieren und so Politik und Öffentlichkeit sensibilisieren. Innovative Forschung zu biologischen und technischen Recyclingmethoden könnte ebenfalls einen Beitrag zur Bewältigung des Problems leisten. Plastikabfälle müssen zudem besser erkannt und umweltgerecht entsorgt oder durch natürliche Alternativen ersetzt werden. Das Beispiel von Henderson Island macht unmissverständlich klar, dass die Folgen unseres linearen Konsummodells und der globalen Wegwerfgesellschaft längst nicht mehr auf einzelne Regionen begrenzt sind.